Trinitatis (30. Mai 2021)
Pfarrer Konrad Autenrieth, Kernen [Konrad.Autenrieth@elkw.de]
Johannes 3, 1-8
IntentionMit einer Gottesdienstreihe “beziehungsweise“ wollen wir in unserer Gemeinde in diesem Jahr sichtbar machen, was Juden und Christen verbindet, nicht, was sie trennt – weg vom „besser“ hin zu einem „auch gut“.
Der Predigttext fordert dazu heraus, den im Johannesevangelium mehrfach formulierten Anspruch, allein der Weg über Jesus führe Menschen zu Gott, zum Thema zu machen. Gerade im Blick auf die Juden – der Pharisäer Nikodemus steht hier für sie – gilt es, das Harsche und Polemische bei Johannes aufzubrechen.
3,1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist.
Die gute Botschaft hervorholenWenn´s um Religion geht, dann geht´s um etwas Absolutes. Es geht um Gott selbst. Aber statt von seiner Schönheit und Liebe zu sprechen, schieben sich oft Konkurrenzgefühle in den Vordergrund: „Entweder ich hab Recht oder du hast Recht.“ Wenn´s um Religion geht, geht´s zugleich um Grundüberzeugungen, Traditionen und Bräuche, die unserem Leben ein Fundament geben. Das ist auch heute so, wo Religion scheinbar so wenig bedeutet. Religion zum Thema zu machen in einem Nachtgespräch der lockeren Art –bei Wein und Bier – ist immer wieder riskant. Da kann es schnell prinzipiell und verbissen werden, und die Stimmung geht in den Keller. Diese Gefahr bestand sicher auch damals, als Jesus zu Nikodemus gesagt hat: „Amen, ich sage dir…“ Auch das klingt grundsätzlich und endgültig. Ein bisschen fundamentalistisch.
Neugeboren werden – eine lebenslange SehnsuchtAber bei Jesus kommt dann die gute Botschaft – keine Abgrenzung. „Du kannst ins Reich Gottes kommen“, sprich: Du kannst Gottes Gegenwart und Güte erfahren, indem du dich noch einmal neu zur Welt bringen lässt.
Nikodemus reagiert mit einer ziemlich naheliegenden Frage: „W i e soll das gehen, noch einmal geboren werden?“ Er fragt nicht danach, wie man überhaupt auf so eine Idee kommt. Er fragt gleich nach dem „Wie“. Denn gerade als altem Mann sagt ihm das was: „neu geboren werden“. Wer wollte nicht manches aus diesem schönen Leben noch einmal machen, manches vielleicht auch anders, besser machen?
„Ich fühl mich wie neu geboren.“ Das sagt auch mir was. Dieses Gefühl hab ich nach einer erfrischenden Dusche genauso wie nach einem mitreißenden Konzert. „Ich fühl mich wie neu geboren.“ Das sagt der glückliche Besitzer einer neuen Arbeitsstelle geradeso wie die Frau, die mit der operierten Hüfte wieder schmerzfrei gehen kann oder wer nach langem Warten endlich seine zweite Impfung bekommen hat.
Ganz so einfach ist das freilich nicht immer, ja es scheint eigentlich unmöglich mit dem Neuwerden. Bin ich nicht das halbe Leben mit meinen Grenzen konfrontiert? Immer wieder holen sie mich ein, sind Hindernis für den Frieden mit den Menschen, die zu mir gehören.
Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: „Was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch.“ Wir Menschen werden eben nicht als unbeschriebene Blätter geboren und wären heute alle harmonische und liebenswerte Wesen, hätte man uns nur richtig erzogen. Mit der „fleischlichen Geburt“ – wie die Bibel es so bildhaft sagt – ist uns noch das Uralte unserer Gattung mitgegeben, der „Alte Adam“, die „Alte Eva“. Modern gesprochen: All das, was uns durch unsere Gene mit den Tieren verbindet an Instinkten, Aggressionen und angeborenen Reaktionen, es gehört zu uns. Und es ist doch ein oft bedauerliches Hindernis zu unserer vollen Menschlichkeit.
Nur ein einziger Weg zu Gott?Die Religionen zeigen unterschiedliche Wege auf, wie wir uns von dieser Altlast lösen könnten, um wahre Menschen in Gottes Licht zu werden.
Juden – im heutigen Text verkörpert in Nikodemus – sagen: Öffne dich für die Thora, die Weisung Gottes in der Schrift. Sie ordnet dein Leben und gibt dir zugleich den passenden Freiraum.
Muslime sagen: Führe dein Leben nach den Geboten des einen Gottes Allah, wie Mohammed sie überliefert hat. So wird es schön sein.
Buddhisten sagen: Arbeite an dir selbst. So wirst du die ständige Wiedergeburt in diese leidvolle Welt hinein irgendwann überwinden und Frieden finden.
Jesus sagt: Gelöster Mensch in Gottes Licht kann allein der sein, der „durch Wasser und Geist neu geboren“ wird,
Zur Zeit des Johannes wusste jeder, was damit gemeint war: Wasser und Geist. „Wasser“ bedeutet die Taufe auf Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Und „Geist“ ist die Kraft und Ermutigung, die von ihm ausgeht.
Jesu Christus genügtDeshalb sind Menschen Christen geworden. Und Sie sind hoffentlich auch heute hauptsächlich deshalb Christin und Christ, weil das, was von Jesus ausgeht, Sie überzeugt und Ihnen zu leben hilft. Und Sie sind Christen geblieben, weil Ihnen, was von Jesus ausgeht, auch genügt. So genügt, dass Sie keine Angst davor zu haben brauchen, wenn andere auch etwas Gutes haben.
„Nur wer durch Wasser und Geist neu geboren wird“, kann wahrer Mensch in Gottes Licht sein. Ein ungeheuerlicher Anspruch!
Kann er uns helfen für heute? Gelingt es uns, fröhliche Christen zu sein, ohne etwa die Juden als alt und erneuerungsbedürftig hinzustellen? Schaffen wir es, die Haltung abzulegen, nur wir kennten die Wahrheit, nicht die anderen? Gott hätte uns auch unter Muslimen auf die Welt kommen lassen können! Schaffen wir es, das zu denken? Schaffen wir es, alle Religion als Erfahrungen zu begreifen, die Menschen mit dem einen Gott gemacht haben?
Für uns Christen sind diese Erfahrungen an Jesus gebunden. Er ist das geöffnete Fenster zu Gott. Durch dieses Fenster sehen wir ihn und seine vergebungsbereite Liebe. Um es mit dem Bild der Neugeburt zu sagen: „Wenn du Jesus begegnest, wenn du dich von seinem Geist berühren lässt, bist du neu geboren. Du kannst die Last zurücklassen, die du dir in deiner bisherigen Lebensgeschichte aufgebürdet hast oder die dir aufgebürdet wurde.
Deshalb bist du willkommen wie ein neugeborenes Kind. Es mag manches unwiederbringlich anders oder gar schief gelaufen sein in deinem Leben, du kannst dich trotzdem annehmen so wie du bist und nie anders sein kannst. Immer irgendwie unvollkommen und unfertig kannst du doch frei und unbestritten leben.“
Das ist´s, aus dem Geist Jesu neu geboren sein. Amen.
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