Trinitatis (22. Mai 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Ute Stolz, Weilheim-Hepsisau [ Ute.Stolz@elkw.de]

Römer 11, 33-36

Liebe Gemeinde,
heute ist das „Fest der Heiligen Dreieinigkeit“, Trinitatis, ein herausgehobener Sonntag im Kirchenjahr, der erste nach Pfingsten. Aber: Empfinden wir diesen Sonntag als Fest?
„Trinitatis“, so erlebe ich es, feiern wir nicht, obwohl es doch um etwas geht, das unseren Glauben auszeichnet. Um den einen Gott, der sich uns offenbart als der Vater, der alles geschaffen hat, als der Sohn, der eines Wesens ist mit dem Vater und als der Heilige Geist, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht. So bekennt es das Nicänische Glaubensbekenntnis.
In einem theologischen Lexikon kann man unter dem Begriff „Trinitatisfest“ lesen, dieses habe weder in der römischen noch in der protestantischen Kirche besondere Bedeutung erlangt. Das bestätigt mein Empfinden und Ihres vielleicht auch.

TrinitätIm Studium sind mir die Lehrgebäude der altkirchlichen Theologen zur Trinität, all die Versuche, die Dreieinigkeit Gottes zu denken, sperrig und fremd geblieben. Ich habe sie gelernt, aber ganz verstanden und gar verinnerlicht habe ich sie nie. Ich habe mich nicht an ihnen gefreut, im Gegensatz zu vielem anderen, womit ich mich beschäftig habe.
Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Ich habe Achtung vor dem Bestreben der Kirchenväter, die Dreieinigkeit Gottes klar zu denken und in Worte zu fassen. Auch bin ich dankbar, dass ich im Studium gelernt habe, theologisch zu denken und zu argumentieren.

Gott denken und Gott als GeheimnisDoch bin ich zutiefst davon überzeugt, dass vor allen Versuchen, Gott zu denken, steht, was Gott zu Mose sagt, als er ihn beauftragt, sein Volk aus Ägypten zu führen. Mose fragt Gott, was er dem Volk sagen dürfe, wer er sei, und Gott antwortet: „Ich werde sein, der ich sein werde“ und macht damit deutlich, dass er nicht festzulegen sei. Gott ist immer größer als unsere Gedanken, und ihn mit unserem Verstand fassen zu wollen, ist so sinnlos, wie der Versuch, das Meer auszulöffeln.
Gott ist und bleibt ein Geheimnis für uns. Ein Geheimnis, dem wir uns letztlich nur ehrfürchtig nähern können. Das wir, wie Tersteegen in seinem schönen Lied “Gott ist gegenwärtig“ (EG 165) dichtet, preisen, lieben und ehren können und darum bitten, dass wir es schauen dürfen in Geist und Wahrheit.
So wie im Römerbrief am Ende eines Abschnittes, in dem Paulus mit sich und seinen Gedanken ringt, immer wieder neu fragt, argumentiert, Gegenargumente formuliert, wie er dort schließlich überraschend voller Staunen das Geheimnis Gottes preist.
Ich lese den Predigttext, der uns für den heutigen Trinitatissonntag gegeben ist, aus dem Römerbrief, Kapitel 11, die Verse 33 bis 36:
"O welch eine Tiefe des Reichtums Gottes, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege. Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen“? (Jesaja 40, 13) Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste“? (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen."

Der Römerbrief ist der letzte Brief des Paulus. In ihm unterbreitet der geniale Theologe, damals der Gemeinde in Rom und heute uns, seine Theologie wie ein großes und kostbares Vermächtnis: Die Offenbarung des Heils in Jesus Christus für alle Menschen.

Paulus und IsraelIn den Kapiteln 1 bis 8 geht es um die wunderbaren Wege der Gnade Gottes für das Volk Israel und für die Heidenvölker. Und Kapitel 8 schließt mit dem Bekenntnis, dass nichts, aber auch gar nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Was danach folgt, ist in meiner alten Lutherbibel überschrieben mit „Gottes Weg mit Israel“. Paulus ist seinem Volk immer noch innig verbunden, obwohl er nun an Christus glaubt, und er wünscht sich von Herzen, dass Israel wie er Christus als das Heil der Welt und damit auch als Heil Israels erkennt. Natürlich kennt Paulus die Schriften der Propheten, er weiß um die dort angekündigte Rettung für den immer wieder abtrünnigen Augapfel Gottes, und für ihn ist diese in Christus wahr geworden.
Wie muss es Paulus schmerzen, dass das Volk, in dem er seine Wurzeln hat, diesen Christus mehrheitlich ablehnt. Zu Anfang von Kapitel 9 schreibt er, er habe große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in seinem Herzen wegen seiner Verwandten und wolle um ihretwillen selber von Christus geschieden sein, wenn sie doch begreifen würden…Ich glaube, jeder Mensch, der es erlebt, wie ein ihm geliebter und nahestehender Mensch einen für ihn unbegreiflichen Weg geht oder gehen muss, kann das nachvollziehen.
Und nun tut Paulus etwas, das ebenso zutiefst verständlich ist. Er versucht, für sich einen Weg zu finden, das zu verstehen, was da zwischen Israel und Gott geschieht und es gleichzeitig der Gemeinde in Rom nahe zu bringen. Letztlich beschäftigt ihn keine Frage des Verstandes, sondern eine Frage des Herzens, nämlich die, ob Israel durch seine Haltung der Weg zum Heil verbaut ist. Und gleichzeitig weist er diesen Gedanken weit von sich als etwas, das gar nicht sein kann, denn dann wäre ja Gottes Erwählung hinfällig, Gott würde also sich selber untreu. Unmöglich!
Ebenso betont Paulus, dass die Heidenvölker keinen Vorzug vor Israel haben und warnt sie davor, sich Israel überlegen zu fühlen.
Lese ich diese Zeilen des Paulus, geht es mir immer gleich, seit ich mich mit dem Römerbrief beschäftige. Ich fühle mit ihm dieses Hin und Her zwischen dem „Kann es denn sein…“ und dem „Nein, das ist unmöglich…..“ und merke, wie ich mit meinen Gedanken an Grenzen komme, die ich nicht durchbrechen kann.

Gottes Gnade bleibt, und er steht zu seiner ZusageAber Paulus ringt weiter. Er gibt nicht klein bei. Und endlich findet er zum erlösenden Gedanken, dass Gott sich schließlich aller erbarmen wird, der Juden und der Heiden, der Sünder und der Gerechten. Wenn die Fülle der Völker Christus erkannt hat, wird auch Israel gerettet werden.
Hinter den Wegen also, die uns oft so verwirrend und rätselhaft erscheinen und die uns auch zur Verzweiflung bringen können, steht Gott, der um alles weiß und dessen Gnade nicht durch menschliche Verbohrtheit und Unzulänglichkeit hinfällig wird.
Diese Erkenntnis, die höher ist als das, was ein Mensch logisch nachvollziehen und argumentativ beschreiben kann, die für Paulus das Tor am Ende der gedanklichen Sackgasse öffnet, lässt ihn dankbar und staunend ausrufen:
„O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Von ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen.“
Gottes Gnade ist für Paulus nicht hinfällig, auf sie ist Verlass ohne Wenn und Aber. Ein Grund, Gott zu preisen und aufs Neue das auszudrücken, was er am Ende von Kapitel 8 schreibt und das auch die Züge eines staunenden Lobpreises atmet: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes!“

…trotz allemSo weit so gut, könnte jetzt jemand sagen. Das klingt ja alles ganz schön. Aber wie sieht es denn aus im sogenannten Heiligen Land? Wie viel Leid und Elend erleben Menschen dort tagtäglich? Wie verroht sind die Herzen der Menschen, die der Israeliten und der Palästinenser? Wie kann Gott zulassen, was sich dort an Gewalt und Vergeltung abspielt, wo er doch so weise ist? Wo ist Gottes Reichtum, wenn man vor Zerstörung und unfassbarem Terror steht?
Was hat Gottes auserwähltes Volk erfahren und erfährt es bis heute an Demütigung und Verfolgung, und wie verrennt es sich seinerseits immer wieder in seinem verständlichen Wunsch nach Sicherheit und Ruhe, der doch genau das Gegenteil hervorbringt.
Da ist doch so viel Irrtum und so viel Elend.

Das Unbegreifliche in unserem LebenUnd nicht nur im Hinblick auf Israel, auch wir stehen doch immer wieder vor Rätseln, die Gottes Weisheit und Gnade in Frage stellen. Eine Freundin, selbst Theologin, sagte mir nach dem Tod ihrer Mutter, angesichts der Einsamkeit und des Schmerzes ihres Vaters, von Gottes Weisheit und seinem Geheimnis zu sprechen, das wir jetzt nur noch nicht erkennen, empfinde sie geradezu als zynisch. Und wenn ich mir die vielen menschlichen Schicksale anschaue, die ich gerade durch den Aufenthalt in einer Rehaklinik mitbekomme, kann ich nachvollziehen, was mir eine Frau neulich beim Mittagessen sagte: Was sich Gott bei dem allem eigentlich denke, das frage sie sich oft.
Menschen werden heimgesucht von Krankheiten. Sie suchen Hilfe und tragen doch selbst dazu bei, dass sie krank werden oder ihre Genesung verhindern. Ärzte machen Fehler. Und wir sagen, das dürfe eigentlich nicht passieren. Menschen erleben es als Zumutung, was ihnen das Leben auferlegt. Und sie empfinden auch in unserer aufgeklärten Welt als Strafe Gottes, manchmal mit bangem Herzen als gerecht, allermeist aber als ungerecht, was sie erleiden.
„Wie unbegreiflich sind Gottes Gerichte und wie unerforschlich seine Wege“, ruft Paulus aus. Und noch deutlicher: „Wer hat Gott zuvor etwas gegeben, dass er es ihm vergelten müsste?“ Ich gebe zu, dass mich solche Worte ärgern können. Dass ich gegen sie aufbegehre. Dass ich mich frage, ob ich sie hören wollte, wäre ich schwer krank oder käme ich in eine Situation, in der ich Gott so gar nicht mehr verstehe.

Vielleicht ein Weg zu verstehen?Und gleichzeitig weiß ich: Wenn ich mich daran festbeiße, wenn ich es zulasse, dass sich in meinem Herzen der Anspruch einnistet, Gott sei bitteschön dafür zuständig, dass es mir gut geht und ich in Ruhe und ohne störende Zwischenfälle vor mich hinleben kann, dann ist das ein Weg, den ich nicht gehen möchte. Der mich meiner Verantwortung enthebt. Und der mir auch nicht weiterhilft für mein Leben.
Und so wende ich gegen mich selbst, gegen meine eigene Neigung und die Neigung, die Sie, liebe Gemeinde, vielleicht auch von sich kennen, dass wir aus Gott einen lieben Gott machen, ihn aber nicht mehr als Geheimnis achten, als den, den wir fürchten und lieben, wie Luther es vor die Erklärung jedes Gebotes gesetzt hat. Dass wir uns richtig verstehen: Ich will nicht zurück zu den falschen Ängsten vor Gott, der uns als strenger Aufpasser mit Argusaugen verfolgt. Aber es tut uns nicht gut, wenn wir ihn verharmlosen als den, der immer lieb und gut und für unser Wohl zuständig ist.
Ich halte mich mit Paulus fest daran, dass Gott größer ist, als ich es bin. Dass er weiser ist, als ich es bin. Und dass er reicher ist an Liebe und Güte, als ich es je sein kann. Und ich möchte achten, dass er mir auch oft fremd ist, dass ich seine Wege nicht verstehe und mich immer weiter in das Vertrauen hineinüben muss, dass er um den Sinn weiß, wo wir den Sinn nicht erkennen.
Noch einmal Gerhard Tersteegen: „Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge“ (EG 165, 1). Dieses Lied hat eine zarte Erhabenheit, die mich, sooft ich ihm begegne – ich kann es nicht anders sagen – glücklich macht und mich die Kostbarkeit unseres Glaubens empfinden lässt.
Und in solchen Augenblicken werde ich gewahr, dass Gott mir nichts schuldig ist und mir doch alles, was ich habe und bin, schenkt. Ich bin Teil seiner Schöpfung, verbunden mit allem und mit ihm, von dem und durch den und zu dem hin alles ist. Ihm sei Ehre in Ewigkeit.
Und sein Friede, der höher ist als unsere Gedanken verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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