Trinitatis (27. Mai 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Dr. Eberhard Grötzinger, Stuttgart-Weilimdorf [e.groetzinger@vodafone.de]

Epheser 1, 3-14

Die Frage nach dem Sinn des Glaubens an Gottes DreieinigkeitAm heutigen Sonntag, der dem Nachdenken über Gottes Dreieinigkeit gewidmet ist, mag sich mancher fragen: Welchen Sinn hat diese komplizierte Vorstellung? Warum sollen in Gott überhaupt drei „Personen“ unterschieden werden, nämlich Gott-Vater, Sohn und Heiliger Geist, wenn es doch nicht drei Götter sind, an die wir glauben, sondern nur der eine Gott?

Eine Hilfe zum Verständnis bietet uns heute ein Abschnitt aus dem Brief an die Epheser, obwohl auch er beim ersten Hören alles andere als leicht zu verstehen ist. Der Brief beginnt mit einem überschwänglichen Loblied auf Gott:

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.
Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe; er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.
In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade, die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit.
Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn.
In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens,
damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben.
In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.“

Ein Brief aus dem GefängnisNahezu alle Ausleger sind sich heute einig, dass der Brief nicht von Paulus stammt, sondern von einem seiner Schüler, der ihn in späterer Zeit so verfasst hat, als habe ihn der Apostel selbst diktiert. Es gibt aber auch gute Gründe für die Annahme, er gehe tatsächlich auf den Apostel selbst zurück. Auch wir schreiben ja nicht jeden Brief im selben Stil. Und auch wir schreiben nicht dasselbe in jedem Brief. Wichtiger als die Frage der Verfasserschaft ist die Situation, in der sich der Verfasser damals nach eigener Aussage befunden hat: Er war ein Gefangener, der in der Isolation seiner Haft nicht mehr wie zuvor für eine oder mehrere Gemeinden tätig sein konnte. Durch Briefe und durch Boten hielt er Kontakt zu den Gläubigen, mit denen er sich in gegenseitiger Fürbitte verbunden wusste. Diese Situation passt sowohl für Paulus als auch für viele Gemeindeleiter der nächsten und übernächsten Generation.

Im Gefängnis hat man sehr viel Zeit zum Nachdenken. Im Gefängnis gewinnt man wohl oder übel auch Abstand zu den kleinen und großen Sorgen des Alltags, die draußen das Leben bestimmen. Paulus wusste nicht, ob seine Haft mit der Freilassung oder mit seiner Hinrichtung enden würde. In einer solchen Situation steht alles auf dem Spiel. Es fragt sich, welchen Sinn das bisherige Leben hatte, welchen Sinn die gesteckten Ziele, welchen Sinn das Risiko, das darin bestand, diese Ziele zu verfolgen. Gefangene können über ihrem Grübeln verbittern. Oder sie sehen klarer als sonst, was Sinn macht und welches die Ursachen einer verhängnisvollen Entwicklung waren.

Für wache Geister ist das Gefängnis daher oft auch der Ort für Visionen: Wie könnte eine Welt aussehen, die so ist, wie sie nach Gottes Willen sein sollte? Was bedeutet dies für uns Christen? Was für die zukünftige Gestalt der Kirche? Nicht ohne Grund haben die Briefe, die Dietrich Bonhoeffer aus der Einsamkeit seiner Gefängniszelle schrieb, nach seinem Tod bei vielen Lesern eine große Nachdenklichkeit ausgelöst.

Das Gotteslob aus dem Munde eines GefangenenAn unserem Abschnitt aus dem Epheserbrief fällt auf, dass sein Verfasser nicht mit seinem Schicksal hadert und sich auch nicht darin ergeht, seine Gegner anzuklagen, die ihn in diese traurige Lage gebracht haben. Er beginnt vielmehr mit einem Loblied, in dem er Gott für das, was er getan hat, dankt: „Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.“ Pointiert spricht der Verfasser von „geistlichem“ Segen, also nicht von Gesundheit, Glück im Leben und materiellem Wohlstand, womit Gott ja auch segnen kann. Was aber soll denn ein „geistlicher Segen“ sein?

Gott öffnet GrenzenFür Paulus ist Gottes „geistlicher“ Segen so konkret wie äußeres Glück und Wohlstand. Er besteht in der offenkundigen Tatsache, dass Gott auch den Nicht-Juden den Zugang zu ihm ermöglichte. Auch den sogenannten „Heiden“, d.h. allen Nicht-Juden gelten die Verheißungen, die Gott seinem Volk gegeben hat. Auch sie sind Miterben, nicht nur Gäste, sondern ebenbürtige Glieder in Gottes Hausgemeinschaft. Alle bilden, wenn sie sich so verstehen, eine Gemeinschaft, die von Gottes Gnade lebt und miteinander zur Ehre Gottes zu leben versucht.

Das ist eine grandiose Vision, die jede Abwertung eines anderen Menschen auf Grund seiner sozialen Herkunft, Rasse oder Nationalität verbietet. Was die Gemeinschaft der Christen verbindet, ist die gegenseitige Fürsorge in Liebe. Paulus ist glücklich darüber, an dieser Grenzüberschreitung Gottes beteiligt gewesen zu sein. Die Botschaft der Gnade auch den Nicht-Juden zu bringen, war und ist seine große Mission.

Aber ist diese Mission nicht gerade in Gefahr? Was wird daraus werden, wenn er einmal nicht mehr ist? Wer wird sie weiterführen? Im Gefängnis hat Paulus sehr viel Zeit, sich Sorgen zu machen. Doch im intensiven Nachdenken über Gott und über sein Wirken in der Welt werden ihm drei Einsichten bewusst, die geeignet sind, ihm die Sorge über die Zukunft seiner Mission zu nehmen.

Gott gibt dem Leben eine BestimmungFür Paulus steht erstens klar vor Augen, was der Sinn ist, den Gott in das menschliche Leben gelegt hat: Wir sollen uns gegenseitig zur Freude am Leben verhelfen, einander, wenn’s Not tut, unterstützen, und auf diese Weise Gott die Ehre geben. Dies ist der Zweck, den Gott für das Leben eines jeden Menschen vorgesehen hat, nämlich etwas Besonderes zu sein, etwas ihm, Gott, Zugehöriges: ein Leben in Liebe, so wie es seinem Willen entspricht.

Gott zeigt sich uns in Jesus ChristusEines jeden Menschen? Zunächst ist es ja eine Besonderheit der jüdischen Religion gewesen, das Verhältnis des ewigen Gottes zu seinem Volk und das Verhältnis des Volkes zu ihm als eine Liebesbeziehung zu verstehen. Dass dies jedoch allen Menschen gelten soll, war keine eigene fixe Idee des Paulus. Es ist eine Erkenntnis, die ihm durch Jesus Christus offenbar wurde. Dies ist der zweite Gedanke, der ihm im Gefängnis Mut macht. Jesus selbst hatte den Glauben in einen universalen Horizont gestellt. Durch seinen Opfergang ans Kreuz hatte er gezeigt, dass Gottes Gnade über die Beziehung zu einem einzelnen Volk hinaus reicht. Er schloss alle in die Versöhnung mit Gott ein, seine jüdischen Widersacher wie auch die römischen Soldaten, die das Urteil vollstreckten. Sie alle waren im Unrecht. Für sie alle hat er gebetet: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Für Jesus waren alle Menschen „Kinder Gottes“. Was heißt das? Wir beschweren uns zwar zu Recht, wenn Erwachsene behandelt werden, als wären sie noch kleine Kinder. Aber die Vorstellung, Gott gegenüber ein Kind zu sein, kann auch eine befreiende und entlastende Wirkung haben. Kinder sind nicht fertig. Kinder sind im Wachsen, in der Entwicklung, äußerlich und im Blick auf die Bildung ihrer Persönlichkeit. Kinder machen oft Blödsinn. Aber verständige Eltern und Erzieher können damit umgehen. Sie verzeihen, ohne den Trotz oder den Übermut einfach zu tolerieren.

Sind wir Erwachsene so sehr viel anders? Machen nicht auch wir vieles falsch? Sind wir nicht manchmal geradezu die Spielverderber in der wunderbaren Welt, die Gott geschaffen hat? Und vor allem: Sind nicht auch wir ständig noch in der Entwicklung, bis ins hohe Alter? Im Bild des Kindes liegt beides: die Liebe Gottes, die der Liebe der Eltern und Erzieher entspricht, aber auch die Notwendigkeit jedes Menschen, sich zu einer reifen Persönlichkeit zu entwickeln, um ebenso zu handeln, wie es seiner göttlichen Bestimmung entspricht: in Liebe zu Gott und in Liebe zu seinen Mitmenschen wie zu sich selbst.

Gottes Geist wirkt unter uns in der GegenwartPaulus sieht drittens im Gefängnis, dass die Wende, die Jesus Christus gebracht hat, bereits in der Gemeinde zu Ephesus Gestalt gewonnen hat. Die Eingrenzung liebevoller Beziehungen auf das soziale Umfeld des eigenen Volkes gilt in einer christlichen Gemeinde nicht mehr. Hier gibt es keine nationalen Schranken. Denn Christus hat sie aufgehoben. Durch ihn verstehen sich alle in gleicher Weise als von Gottes Gnade beschenkt und zu gegenseitiger Liebe aufgerufen. Paulus sieht voll Freude, wie dieser neue Geist neue Regeln für das Zusammenleben schafft. Daher will er nun mit seinem Brief seine Mitchristen darin bestärken, sich der Freiheit auch bewusst zu sein, die der Glaube an Christus ermöglicht.

Gott – das Geheimnis seines WirkensPaulus ist überzeugt: Dies war schon von Anfang an das geheime Ziel, das Gott mit der Menschheit vorhatte. Doch erst durch Christus ist das Geheimnis des zuvor verborgenen göttlichen Willens offenbar geworden.

Woher weiß er denn, was sich Gott gedacht hat, „ehe der Welt Grund gelegt war“? Er kann es im Grunde gar nicht wissen. Aber es ist ihm in der Einsamkeit seines Gefängnisses klar geworden. Es wurde ihm zu einer inneren Gewissheit: Das Werk, dem ich mein Leben gewidmet habe, steht und fällt nicht mit meiner Person. Es ist Gottes Werk. Von Anfang an. Und deshalb wird er es auch zu Ende führen, so sehr es in der Gegenwart auch bedroht sein mag.

Warum also die so kompliziert erscheinende Unterscheidung in Gott-Vater, den Sohn und den Heiligen Geist? Ganz einfach: Weil Gott schon am Anfang steht, vor unserem Glauben und Verstehen, und unserem Leben eine Bestimmung gibt. Und weil allein Christus uns zu Gott führt, trotz unseres Unglaubens und trotz unseres Unverständnisses. Und weil der Geist der Liebe und der Demut unsere Gemeinschaft bestimmen kann, vorausgesetzt, dass wir uns nicht gegen ihn sperren. So gibt uns der heutige Sonntag wie einst dem Verfasser des Epheserbriefes Anlass, ein Loblied auf Gott zu singen, auf ihn, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Amen.


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