Septuagesimae (12. Februar 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Martina Servatius, Laupheim [Martina.Servatius@elkw.de]

Lukas 17, 7-10

Der Knecht singtLiebe Schwestern und Brüder!
Stellt euch vor, wir wären jetzt zum Mitarbeiterempfang unserer Kirchengemeinde in unserem Gemeindehaus versammelt. An die hundert Frauen und Männer, die das Gemeindeleben am Laufen halten, die sich ehrenamtlich oder hauptamtlich engagieren. Auf die freundliche Einladung der Gemeindeleitung hin haben wir uns angemeldet. Nun sind wir pünktlich gekommen. Haben gute Laune mitgebracht. Freuen uns auf einen gemütlich-geselligen Dankeschön-Abend im Kreise ähnlich gesinnter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ein Rundblick im Saal zeigt: Der Kirchengemeinderat ist fast vollzählig anwesend; ebenso die Mitarbeiterinnen vom Kindergarten, Posaunenchor und Kirchenchor. Auch das Jugendwerk füllt munter einen Tisch. Senioren, Frauenkreis, Männerkreis, Besuchsdienst, Gemeindebriefausträger … alle da. Wir haben einen Platz am Tisch gefunden und jemanden zum Reden. Die erste freundliche Gesprächswelle baut sich auf. Gutes Essen steht in Aussicht. Einige Ehrungen sind zu erwarten, und vielleicht hat der Pfarrer auch wieder seine dichterische Ader angezapft und gibt eines seiner unterhaltsam- augenzwinkernden Gedichte zum Besten.

Zuvor aber die Andacht. Da steht er auch schon am Rednerpult, unser Pfarrer; räuspert sich; signalisiert freundlich, dass er beginnen möchte. Die Gespräche verebben. Nachdem er die Anwesenden freundlich begrüßt hat, erklärt der Pfarrer: Zur Andacht will ich heute ein Gleichnis Jesu vorlesen. Es steht im Lukasevangelium, Kapitel 17,7-10, unter der Überschrift: Vom Knechtslohn. Jesus sagt da:

„Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?
Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; und danach sollst du essen und trinken?
Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?
So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“

Wie würden diese Worte wirken? Beim Mitarbeiterempfang? Würden sie betretenes Schweigen hervorrufen; Stirnrunzeln; Kopfschütteln? Empörung? Würden sie als Beleidigung empfunden? Traut sich jemand, zu protestieren: „Was soll das denn heißen? Sollen wir uns jetzt hier als ‚unnütze Knechte‘ fühlen?“ Wagt jemand, zu lachen? –

Selbstentwertung versus „Ehrenkäsigkeit“?Ich gestehe, dass ich schon öfter an dieses sperrige Gleichnis vom Knechtslohn gedacht habe, wenn ich die allzu deutliche Erwartung gespürt habe, jemandem danken zu müssen. Oder wenn die Landeskirche mal wieder aufgefordert hat, die Ehrenamtlichen deutlicher und systematischer zu ehren. Oder wenn ich peinlicherweise vergessen hatte, jemandem ausdrücklich zu danken, dem oder der ich danken wollte. Da kann man sich schon mal sehnen nach diesem herrlich nüchternen Satz: „Wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ Predigt das Gleichnis nicht deutlich gegen „Ehrenkäsigkeit“?
Aber Achtung: Auch das kann ja fatal wirken. Ich weiß nicht, ob unser Gleichnis dafür verantwortlich ist, aber es gibt ja in der Kirche auch diejenigen, die sich partout nicht danken lassen wollen. Schon gar nicht vor anderen. Sie halten sich keines Dankes für wert. „Wir sind unnütze Knechte.“ Selbstentwertung. Puhhh. Ach, liebe Schwestern und Brüder, man kann bekanntlich auf zwei Seiten vom Pferd fallen. Sollten am Ende Ehrenkäsigkeit und Selbstentwertung die zwei Seiten ein- und derselben Medaille sein?

Ein anderer Sinn: Ein Gleichnis vom GlaubenJe länger ich das Gleichnis Jesu bedenke, desto deutlicher wird mir: Es hat wahrscheinlich gar nicht viel zu tun mit unseren Dankritualen oder Belohnungssystemen und unseren Problemen damit. Auch der Titel führt ein wenig in die Irre. „Vom Knechtslohn“, das ruft ja quasi eine Lohndebatte auf den Plan und bringt Entrüstung auf darüber, dass in diesem Gleichnis offenbar Knechtschaft, wörtlich genommen sogar Sklaverei, einfach akzeptiert wird. Kritisiert wird sie hier jedenfalls nicht.
Aber wenn Jesus dieses Gleichnis (übrigens nur im Lukasevangelium!) erzählt, dann sicher nicht, um Sklaverei zu rechtfertigen. Es muss einen Sinn unter der Oberfläche der Reizworte geben. Einen tieferen Sinn.
Dem möchte ich versuchen, auf die Spur zu kommen. Da fällt mir auf: Wenn ich das Gleichnis mehrfach lese, wenn ich die kleine Szene sozusagen meditiere, dann verändert sich ihr Charakter. Es entsteht – im Kontext der Zeit Jesu – eine Alltagsszene von großer Selbstverständlichkeit. Ein Sklave kommt gegen Abend vom Feld heim. Er wäscht sich die Hände, geht in die Küche, bindet sich die Schürze um und richtet seinem Herrn oder seiner Herrin das Abendbrot. Bei Tisch bedient er. Und als der Herr oder die Herrin die Mahlzeit beendet hat, setzt sich der Sklave, isst und trinkt und ist guten Mutes. Da ist gar nichts Störendes. Die Szene atmet Frieden. Das Ganze ist eine Einheit. Die Rollen sind klar. Jeder füllt die seine aus. Jeder verhält sich innerhalb der Verhältnisse. Gut so.
Absurd würde es da, wo man mitten in der Szene die Rollen tauschen wollte. Oder wo Herr oder Herrin den heimkommenden Sklaven mit Dank überschütten würde für etwas, wo der überhaupt keine Wahl hat. Das wäre schlichtweg unangebracht. Das passt nicht. Es passt nicht zu den wahren Verhältnissen.
Vielleicht will das Gleichnis genau dies sagen: Es gibt Verhältnisse, in denen Dank verkehrt ist. Unangemessen. Unangebracht.
Ich glaube, Jesus spricht hier vom Glauben. Er erzählt im Gleichnis von unserem Verhältnis zu Gott. Vielleicht spricht er auch zuallererst von seinem Verhältnis zu Gott. Er schildert es jedenfalls als völlig ungestörte Einheit. Frieden. Groß und ganz, stark und gut.
Im Lukasevangelium steht unmittelbar vor unserem Gleichnis die Szene, wo die Apostel Jesus bitten: „Stärke uns den Glauben!“ Und Jesus antwortet mit dem Bild vom Senfkornglauben, der imstande ist, einen Maulbeerbaum zu versetzen (Lk 17,5-7). Wenn man den Zusammenhang betrachtet, kann man also sagen: Nachdem Jesus im Bild vom Senfkornglauben erklärt hat, wozu selbst ein winziges Körnchen Glaube imstande ist, stellt er jetzt im Gleichnis das Wesen des Glaubens vor Augen. Wie der Glaube ist; wie er sich anfühlt. Wie es ist, in einem Glaubensverhältnis zu Gott zu sein. Jesus schildert es als ein gutes Sein; ein Sein, in dem du im Verhältnis zu Gott deine Rolle gefunden hast; ein Sein, in dem du in diesem Verhältnis glücklich und zufrieden bist; ein Sein, in dem du das Selbstverständliche in fraglos ungestörtem Einverständnis bist und tust.
Was für eine Verheißung, liebe Schwestern und Brüder! Ich stelle mir vor: Der Knecht singt.
Da fällt mir, wie ein Gleichnis aus unserer Zeit, jene Frau ein, die in der Krankenhaus-Cafeteria hinter dem Tresen steht. Rund und strahlend steht sie da und sagt: „Wenn ich an meinem Kaffeeautomaten stehe und die Leute kommen, bin ich glücklich.“
Und ich denke an Dietrich Bonhoeffer, der auf seine Weise unser Gleichnis gelebt hat. Er hat im Glauben seine Rolle gefunden. Als sich 1939 in Deutschland die Verhältnisse – für den Pfarrer und bekennenden Pazifisten – zuspitzten, erhielt Bonhoeffer durch Freunde in Amerika eine Einladung in die USA. Bonhoeffer folgt der Einladung und erlebt glücklich Tage und inspirierende Begegnungen. Aber schon nach kurzer Zeit entschließt er sich zur Rückkehr nach Deutschland. Den Freunden, die nicht verstehen, wie er sich so in Gefahr bringen kann, versucht er es so zu erklären: „Ich werde kein Recht haben, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens nach dem Krieg in Deutschland mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile.“ Als er in diesen Tagen die Losung liest, fühlt er sich bestätigt. Paulus bittet seinen Mitarbeiter Timotheus, noch vor dem Winter zu ihm zu kommen. Bonhoeffer notiert dazu: „Das geht mir den ganzen Tag nach… wir kommen nicht mehr davon los. Nicht als wären wir nötig, als würden wir gebraucht (von Gott?), sondern einfach, weil dort unser Leben ist und weil wir unser Leben zurücklassen, vernichten, wenn wir nicht wieder dabei sind.“
Dazu also, liebe Schwestern und Brüder, dazu stärke uns dieses Gleichnis Jesu. Dass wir im Verhältnis zu Gott unsere Rolle finden. Dass wir im Glauben wissen, wer wir sind. Und wozu wir da sind. Und dass wir das, was wir tun und lassen, in diesem Verhältnis tun und lassen. Immer wieder überraschend eins und einig mit unserem Herrn. Der Knecht singt.
Amen.

Anmerkung: Die Bonhoeffer-Zitate sind zu finden in dem Buch von Werner Milstein, Einen Platz in der Welt haben. Dietrich Bonhoeffer entdecken, 2. Auflage, Gütersloh 2006, S. 58.

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