Rogate (14. Mai 2023)
1. Timotheus 2, 1-6
IntentionRogate – Betet ist der Name des Sonntags. Die Predigt benennt und überprüft verschiedene Erfahrungen mit dem Beten im Gegenüber zum Predigttext. In der Liturgie dieses Sonntags sollte in den Gebeten auch nicht vergessen werden, dass am 14. Mai Muttertag ist.
Beten, glauben, vertrauenNot lehrt beten, heißt ein Sprichwort. Ich habe diese Einsicht immer ein bisschen verachtet. Na, wenn Menschen nur in der Not beten, wenn nichts anderes mehr geht, dann ist ja nicht viel dran an ihrem Glauben – habe ich gedacht.
Anfang des Jahres habe ich im Bekanntenkreis etwas erlebt, das mich eines Besseren belehrt hat: Bei jungen Leuten wurde ein Kind geboren, leider mit erheblichen Komplikationen. Das Kind schien beinahe leblos und auch das Leben der Mutter war gefährdet. Gott sei Dank passiert das heutzutage nicht mehr oft – aber da war es nun passiert. Und ich habe erlebt, wie die Eltern, die noch jungen Onkeln und Tanten verstört waren von dieser Erfahrung. Am meisten hat mich der jüngste der Onkel beeindruckt. „Kann ich denn nicht irgendwas tun?“, hat er gefragt, „nur hoffen und beten?“ „Ja, man kann nur hoffen“, habe ich ihm geantwortet. „Und wenn man kann, beten.“ „Dafür haben wir das doch gelernt…“ hat er mir da geantwortet. Und ich bin sicher: Er hat gebetet. Und die anderen, Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel sicher auch.
Vorher hatte ich mit den jungen Leuten eigentlich nie über das Beten gesprochen, auch nicht über ihren Glauben. Kirchgänger waren sie alle nicht, das wusste ich. Deshalb wollte ich sie nicht weiter bedrängen. Und jetzt das: Beten! Beten war nun das Einzige, was man tun konnte – wo sie doch sonst immer so tatkräftig ihr Leben selbst in die Hand genommen hatten.
Seither denke ich: Es wird gebetet – viel mehr, als ich erwartet und geglaubt hatte. Junge Leute treten vielleicht verstärkt aus der Kirche aus. Aber sie beten! Wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind, wenn sie merken, dass sie nichts ausrichten können: Dann beten sie. Und das ist gut. Und das tut ihnen wahrscheinlich auch gut. Wenigstens das kann man tun in so einer Situation. Inzwischen meine ich: Ob ein Mensch an Gott glaubt, ob er ein Christ ist, das entscheidet sich nicht daran, ob er in der Kirche ist. Auch nicht daran, ob er das Glaubensbekenntnis und meinetwegen den 23. Psalm auswendig sagen kann. Ob einer an Gott glaubt, das zeigt sich, wenn er oder sie betet. Denn glauben heißt vertrauen. Auf Gott vertrauen. Sich ihm anvertrauen. Wer betet, vertraut.
Bete und arbeite, ora et laboraBeten ist nicht ein bequemer Rückzug aus der Wirklichkeit, als ob das Beten das Handeln ersetzen könnte. Im Gegenteil. Wer betet, bleibt nicht untätig. Die Onkel und Tanten in der Familie, die ich kennengelernt habe, haben alle auch etwas getan. Sie haben telefoniert, sich die Ängste der Eltern angehört, ihre Tränen ausgehalten. Sie haben Süppchen gekocht und Kuchen vorbeigebracht für die anderen Kinder der Familie. Sie haben die Kinder zum Spielen eingeladen, damit die Eltern genug Zeit für das Neugeborene hatten. Beten geschieht nicht, um sich das Tun zu ersparen. Im Gegenteil, Beten ermutigt und motiviert, dann auch etwas zu tun. Gott braucht Menschen, die sich von ihm ermutigen lassen und für andere da sind. Es soll „allen Menschen geholfen werden“. Dazu braucht es Menschen, die beten und für andere da sind. „Ora et labora“ haben schon in alter Zeit die Mönche zu ihrem Motto gemacht. „Bete und arbeite.“
Paulus über das BetenDer Sonntag Rogate erinnert ans Beten. Und im Briefabschnitt aus der Bibel, der heute für die Predigt vorgesehen ist, weiß Paulus noch viel mehr über das Beten.
Ich lese Ihnen mal vor nach der Übersetzung der Basisbibel
1. Timotheusbrief 2, 1-6:
„Zuerst und vor allem bitte ich euch, im Gebet für alle Menschen einzutreten: Bringt eure Wünsche, Fürbitten und euren Dank für sie vor Gott. Betet auch für die Könige und alle übrigen Machthaber. Denn wir wollen ein ruhiges und stilles Leben führen –in ungehinderter Ausübung unseres Glaubens und in Würde. So ist es recht und gefällt Gott, unserem Retter. Er will ja, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn nur einer ist Gott und nur einer der Vermittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus. Der hat sich selbst hingegeben als Lösegeld für alle Menschen. Das gilt es zur rechten Zeit zu bezeugen.“
Beten für alle Menschen in NotSie haben es gehört: Beten für alle Menschen. Alle, für die wir wünschen und hoffen. Besonders die, bei denen Menschen nur noch hoffen und beten können. Bei dem so schwierig zur Welt gekommenen Neugeborenen ging es gut aus. Das Kind hat sich ins Leben gekämpft. Inzwischen scheint alles gut. Die jungen Leute, die gebetet haben, haben erfahren: Beten ist gut. Vielleicht beten sie wieder, wenn neue, andere Schwierigkeiten auftauchen in ihrem Leben.
Aber wenn es nicht so gut ausgeht? Wenn der geliebte Mensch, für den ich gebetet habe, doch sterben muss? Ich denke an die vielen, die vor ein paar Wochen für die Opfer der Erdbebenkatastrophe in der Türkei gebetet haben. Gewiss, die haben wahrscheinlich eher zu Allah gebetet. Aber ist unser Gott nicht der Gott aller Menschen, auch wenn sie verschiedenen Namen für ihn haben? Wir haben doch gerade gelesen, er will, „dass alle Menschen gerettet werden“. Und dort in der Türkei und in Syrien sind so viele umgekommen!
Oder die Friedensgebete in so vielen Gemeinden. Hier im Stuttgarter Westen beten wir seit acht Jahren für den Frieden, seit im März 2014 die Ukraine besetzt wurde. Aber bringt das etwas? Aus dem Konflikt ist ein schlimmer Krieg geworden. Und kein Ende in Sicht. Tausende sind gestorben, Millionen geflohen. Hat es Sinn, für den Frieden zu beten? Können Sie und ich überhaupt etwas tun für den Frieden? Für den Frieden im Kleinen –da kann man etwas tun: erst mal tief durchatmen, statt mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Sich bemühen, auch den anderen zu verstehen. Wenn es sein muss, auch mal einen Schritt zurückgehen. Aber in der großen Politik?
Beten verändert, tröstet, stärktEs ist wahr: Verhindert haben die Gebete für den Frieden den Krieg nicht, auch nicht seine Eskalation. Aber es macht mir Mut, wenn ich jeden Montag für den Frieden bete. Und ich glaube, den anderen Beterinnen und Betern auch. Wir sprechen an diesen Abenden gemeinsam die Seligpreisungen: „Selig sind, die Frieden stiften.“ So erinnern wir uns gegenseitig an Gott, der Frieden auf Erden will. Das glaube ich – und bin frustriert. „Wie kann das sein, Gott“, denke ich oft: „So viele Menschen, die dich bitten, und der Krieg geht einfach weiter? Es heißt doch, du bist ein Freund des Lebens!“ Ich merke: Beim Beten für den Frieden zu beten, hilft mir, sich das immer neu klar zu machen und sich gegenseitig darin zu bestärken. Die gemeinsamen Friedensgebete verändern wohl nicht die Welt – aber sie verändern mich. Sie stärken mich. Vielleicht nützen die Friedensgebete also doch etwas. Nicht, weil wir dadurch Gott beeinflussen. Sondern weil Gott damit uns beeinflusst. Meine Gebete machen mir klar: Gott will, dass allen geholfen wird. Und wenn es schlimm steht und schlimm ausgeht – dann kann ich das nicht einfach Gott in die Schuhe schieben. Unsere Welt ist nicht das Paradies, wo alles sehr gut war. Tod und Leid und Sterben gehören zu unserer Welt dazu. Leider. Irgendwann möchte ich Gott gern fragen, warum er das so eingerichtet hat. Aber bis dahin vertraue ich darauf: Auch wenn es schlimm kommt, lässt er seine Menschen nicht allein. Er kann mich und die anderen stärken und motivieren, dass wir einander helfen. Er kann die trösten, die meinen, alles sei aus und vorbei.
So verändern auch die Gebete für den Frieden jeden einzelnen und uns als Gemeinschaft. Wir werden nicht unsicher und sagen weiterhin: Auch wenn es im Augenblick wohl nicht anders geht – Frieden entsteht nicht durch Waffen. Man muss Wege suchen, sich zu verständigen. Und vielleicht stärkt es ja auch die Ukrainer, wenn sie wissen: In vielen Ländern beten viele Menschen für uns und den Frieden in unserem Land. Ich gebe zu: Das alles ist viel weniger als das, worauf ich eigentlich hoffe und wofür ich bete. Aber es ist viel mehr als nichts. Und es macht mich bereit, für die vielen, die um ihr Leben fürchten und fliehen müssen, Verständnis zu haben. Das gibt Kraft, denen zu helfen, die Hilfe brauchen.
Beten bewahrt vor HassWer betet, behauptet Paulus, gewinnt Abstand vom Weltgeschehen. Gewinnt Abstand auch von der Logik der Gewalt und Gegengewalt, von der Logik des Schneller, Höher-Hinaus, Weiter-nach-Vorn. Wer betet, gewinnt Abstand von dem, was man „Realpolitik“ nennt. Eine Frau beim Friedensgebet sagt immer wieder, dass sie auch für Putin betet – und für Selenskyj und für alle anderen Politiker und Verantwortlichen. Dass Gottes Geist sie erleuchten möge, dass er ihnen Wege zum Frieden zeigt. So rettet das Beten einen auch vor der Logik des Hasses. Wer auch für die Putins und Kims und Revolutionsführer der Welt beten kann, der verfällt nicht dem Hass. Wer betet, hofft und geht davon aus, dass Gottes Geist Menschen verändern kann. So verändern, wie die Betenden selbst vom Geist Gottes erleuchtet und erfüllt werden. So kann man ein Leben führen ohne die Fratze des Hasses – im Vertrauen auf Gott und in Würde. Würde ist ein anderes Wort für die Ehrbarkeit, von der Luthers Übersetzung spricht.
In Würde, zuversichtlich, vertrauensvoll lebenBeten hilft, die eigene Würde zu bewahren. Denn das Beten befreit aus den Fesseln der Welt und ihrem Hass und ihrer Verzweiflung. Deshalb: Wer seinen Kindern und Enkeln ein Beispiel ist im Beten – der trägt dazu bei, dass ihr Glauben wachsen kann. Glauben heißt doch: auf Gott vertrauen und beten! Wer betet, muss sich nicht abfinden mit dem, was nicht bleiben kann, wie es ist. Und auch, wenn die Dinge manchmal nicht so gut ausgehen, wie wir es hoffen: Wer betet, kann zuversichtlich und vertrauensvoll leben. Amen.
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