Rogate (26. Mai 2019)
Pfarrer Christoph Hoffmann-Richter, Stuttgart [Christoph.Hoffmann-Richter@elkw.de]
Johannes 16, 23-33
16,23 b-33 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist. Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Intention der PredigtIm Gebet kommen wir mit Christus zu Gott und haben das Versprechen seiner Gegenwart in unserem Leben.
Liebe Gemeinde,
im Gebet sind wir eng mit Christus verbunden. Wenn wir in seinem Namen mit Gott reden, öffnet sich Gott für uns. Beten ist wie einatmen und ausatmen. Wir kommen Gott ganz nahe und nehmen ihn in uns auf. Wir lauschen und hören, wie er zu uns spricht. Und langsam verwandelt uns das Gebet. Wie beim Ausatmen handeln wir dann in der Welt als Kinder Gottes. Wie im Ausatmen wird Gott durch uns in der Welt erlebbar. Ja, der Evangelist Johannes spitzt dies noch zu: Wer im Namen Jesu betet, betet so, als ob Jesus selbst betet. Eine solche Beterin steht Gott so nahe wie Jesus seinem Vater. Darum erfüllt Gott diese Gebete. Wer so im Geist mit Jesus verbunden ist, deren Gebet wird erhört.
Das ist ein starker Gedanke. Und er lässt mich erschrecken. Wenn ich bete, ist das so, als ob Christus selbst betet? Wer bin ich denn, dass Gott mich so hört, als ob er Christus hört? Wenn ich auf meinen schwachen Glauben sehe, dann stockt mir der Atem bei einem solchen Gedanken. – Aber gerade dazu will uns der Evangelist ermutigen: Traut eurem Gebet etwas zu! Wer in Christus lebt, wer mit ihm lebt, der ist schon verwandelt. Der ist tatsächlich eng mit Christus verbunden. Der ist eng mit Gott verbunden.
Mit Christus betenSchon im Vaterunser lädt Jesus die zu ihm gehören ein, mit seinen Worten zu beten. Oder mit dem Reformator der Stadt Genf, Calvin, gesprochen: Wir beten „comme sa bouche“, wie sein eigener Mund.
Karl Barth, der große Theologe des letzten Jahrhunderts, wird nicht müde zu versichern: Wer glaubt, hat Gott auf seiner Seite. Wer darum mit ihm redet, rechnet mit einer Antwort. In Jesus tritt Gott an unsere Seite. Ein ungeheurer Gedanke: Wir stehen mit Gott auf Augenhöhe. Er will mit uns Gemeinschaft haben.
Das ist wie mit den eigenen Kindern: Ich will, dass diese mit mir reden. Ich will wissen, wie es ihnen geht. Ich will wissen, welche Sorgen sie haben und was ihnen Freude macht. Und dann antworte ich ihnen, komme mit ihnen ins Gespräch. Wenn das gut gelaufen ist, dann hat sich etwas getan: Bei ihnen und bei mir. Und wir verstehen uns besser.
Darum kann Karl Barth sagen: „Indem Jesus Christus bittet und indem wir es mit ihm tun, hat Gott sich selbst schon zum Garanten der Erhörung unserer Bitten gemacht, ja hat er sie schon erhört.“ (KD III 4, 119)
… wird er‘s euch gebenAber wird denn wirklich jedes Gebet erhört? Das ist die ewig wiederkehrende Frage. Was ist mit den zahllosen Gebeten derer, die ein schweres Leiden oder eine tiefe Wunde vor Augen haben? Die sich nichts sehnlicher wünschen als Heilung bei anderen oder an sich selbst? Müssten sie nur ein bisschen mehr in Gottes Nähe eintauchen, um die Not als gottgewollt anzunehmen? Oder wäre alles viel besser, wenn sie das nur „richtig“ und ausreichend täten? Auch hier haben wir Jesus als Vorbild. Als er im Garten Gethsemane von Angst überfallen wird, wendet er sich an Gott. „Lass diesen Kelch an mir vorüber gehen, lass mich doch noch am Leben bleiben“, bittet er einmal und dann noch einmal und noch ein drittes Mal. Auch Zweifel, auch Angst dürfen sein. Gerade hier ist es gut, sich an Gott zu wenden. Voll Vertrauen. Was auch immer geschieht: Gott ist da.
Es gibt kein objektives Maß für richtiges Beten. Es gibt keine Regel dafür, wie lange einer klagen darf oder soll. Und es gibt ebenso keine Regel, sich mit dem Bösen und dem Leid eben nicht abzufinden, wie es ein Hiob zu Recht gegen die Mahnung der Freunde getan hat. Es gibt keine Regel dafür, ab wann der Glaubende sich demütig einfinden soll in das, was unverständlich ist. Wo verläuft die Grenze zwischen Widerstand und Ergebung? Wo dürfen das Gebet und die Tat eben nicht nachlassen, sondern muss Gott unermüdlich und immer wieder gebeten werden? Wie viele mussten schon die Gratwanderung gehen mit allen Kräften bis zum bitteren Ende? Einige haben es dennoch vermocht, wie Christus eine Auflösung dann allein Gott zu überlassen wie z.B. ein Dietrich Bonhoeffer. Er konnte aus der Todeszelle an seine Verlobte schreiben: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag.“ Und das heißt: Letztlich überlasse ich alles dir, Gott, was auch immer geschieht.
Einsam und doch in Gottes GegenwartSo fügt Jesus dreimal seiner Bitte die Worte an: „Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ – „Ihr werdet mich allein lassen“, sagt Jesus hier im Johannesevangelium seinen Jüngern. Er spielt damit auf jene Begebenheit im Garten Gethsemane an, als die Jünger ihn in seiner Not allein lassen. Zuerst schlafen sie und dann fliehen sie. Auch Christus selbst muss sich in seiner eigenen Not mühsam an Gottes Willen annähern. Nur so konnte er der Gefangennahme und Verurteilung entgegensehen. Auch Christus selbst muss sich in seiner eigenen Not Gottes Willen annähern, um dann schließlich wahrzunehmen, dass auch darin Gott gegenwärtig ist Und dann am Kreuz erlebt er: Gott ist gegenwärtig, auch wenn ich mich von ihm verlassen fühle. Es braucht den Blick von Ostern, der dann den Jüngern in ihrer Not Trost gibt. Erst von Ostern her haben sie das Wort Jesu verstanden: „Ich habe die Welt überwunden.“ Das gibt ihnen die Kraft, sich auf Jesus zu verlassen.
In Angst und in Freude – vor Gott lebenBeten und mit Gott in großem Vertrauen verbunden sein, ist ein und dasselbe, schreibt der Theologe Friedrich Schleiermacher. Wer regelmäßig betet, denkt, fühlt und atmet in Gottes Gegenwart. Wer betet bleibt nicht in sich. Wenn wir beten, machen wir eine Tür auf. Wir treten heraus aus unserem kleinen, engen Zimmer und treten ein in eine größere Welt. Wir treten hinaus in die Weite. Wir atmen die Luft, die wir zum Leben brauchen. Wenn wir beten, verlassen wir unsere kleine Welt. Um mehr Raum zu haben für den Schmerz, der zu groß ist, als dass er in diesem Zimmer Platz hätte. Um mehr Platz zu haben für das Glück, das uns zu Luftsprüngen drängt. Wenn wir beten, treten wir mit unserer Angst hinaus in die Weite, in der Gott gegenwärtig ist. Und kehren dann gestärkt wieder zurück in unsere Welt, mit neuem Atem und mit großer Freude. Wir kehren zurück, um unser Leben in dieser unserer einzigen Welt zu bestehen. Und fassen neuen Mut im Vertrauen auf Jesus, wenn er sagt: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Amen.
Wichtige Anregungen für diese Predigt sind entnommen aus: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III 4, besonders S. 119; Rudolf Bultmann, Das Evangelium Johannes, Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, Vandenhoeck & Ruprecht (zur Stelle); Ders., Predigt über Johannes 16,22-33, Marburger Predigten, Tübingen, 2. Aufl., 1968; Jörg Zink, In dir sein, Gott, ist alles, Herder 2009.
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