Rogate (21. Mai 2017)
Lukas 11, 5-13
Liebe Gemeinde,
der junge Vater war etwas blass um die Nase, und unter seinen Augen waren dunkle Schatten. Ja, es sei sehr anstrengend mit dem Neugeborenen, nachts müsse dauernd einer raus; und, klar, der Schlaf käme gerade deutlich zu kurz; und mit einem leichten Grinsen fügte er hinzu: „Alles andere eben auch.“
Ja, so ist das, und viele von uns erinnern sich deutlich daran, wie es war damals, als die Kinder noch ganz klein waren, und andere stecken noch mitten drin. Was tun wir nicht alles für unsere Kinder. Am Anfang ist es das Fläschchen und die volle Windel, später ist es die Jagd nach diesen ganz besonderen Turnschuhen und die Hilfe beim Einmaleins, das so schwer in das kleine Gehirn geht, und irgendwann dann endlose Debatten um Geld und Führerschein. Dazwischen pusten wir über aufgescheuerte Knie, trösten bei der Fünf in Deutsch und halten die zugeknallten Türen und den ersten Liebeskummer mit aus. Und wir machen das fraglos und sind dabei nicht immer glücklich, aber erfüllt und lebendig. Und wenn die Kinder aus dem Haus sind, fehlen sie uns, und wir freuen uns riesig, wenn sie anrufen und sogar vorbeikommen. Jeder Besuch ist ein kleines Fest.
Warum ich das alles erzähle? Weil es uns deutlich macht, was Jesus meint, wenn er von Gott spricht und uns ermutigt, Gott wirklich so zu behandeln wie Kinder ihren Vater, ihre Mutter: rücksichtslos und schamlos im Wünschen und Begehren.
Wenige Verse vor unserem Predigttext steht das „Vater unser“. Jesus ermutigt uns, Vater zu sagen und Vater oder Mutter zu meinen. Und damit wir verstehen, wie rücksichtslos wir sein dürfen in unserem Bitten und Betteln, setzt er noch eins drauf und erzählt nicht nur vom Vater, der seinen Kindern Fisch und Ei gibt, sondern auch noch von einem Freundespaar und dem unverschämten Bitten und Betteln des Freundes.
Wenn nun wir, die wir böse sind, unseren Kindern und unseren Freunden geben, um was sie bitten, wieviel mehr sollte Gott, an dem nichts Böses ist, uns geben und unser Beten und Bitten erhören.
So dürfen, ja, sollen wir beten, bittend und drängend und fordernd und unverschämt.
Der Freund, der mitten in der Nacht vor der Tür des Freundes steht, er hat wirklich ein Problem. Denn die Gastfreundschaft, von der Jesus erzählt, hat nichts mit unserer westlich-höflichen Gastfreundschaft zu tun. Da geht es nicht um eine Kaffeeeinladung, die lange geplant war, und nun stellt man fest, dass man die Sahne vergessen hat. Mitten in der Nacht klopft einer, hungrig und auf der Suche nach einem Bett und Brot, um den leeren Magen zu füllen. Wer weiß, wie lange der Freund unterwegs war. Und kein Mensch aus dem Orient würde den Freund, der anklopft, hungrig zu Bett schicken. Und wenn kein Brot mehr im Haus ist, dann muss eben der Freund um die Ecke helfen.
Und es ist selbstverständlich, dass er dann Hilfe bekommt. Selbst wenn der so aufgeweckte ärgerlich wäre, so würde er doch die Tür aufmachen.
Mit Gott redenSo dürfen wir also mit Gott reden ohne Rücksicht auf das, was sich anscheinend gehört. So zu beten, das hat nichts mit den frommen Floskeln zu tun, die wir manchmal benützen. So zu beten, ist auch nicht unser schön formuliertes Gebet im Gottesdienst. So zu beten, das ist Herzenssache und kehrt mein Innerstes nach außen.
Schamlos dürfen wir vor Gott sein, und alles, was uns auf der Seele liegt, darf da raus. Bitten, suchen, anklopfen.
Meine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, meine tiefsten Ängste, meine Schuld, das, was ich niemand anderem sagen möchte und sagen kann. Alles hat bei Gott Platz, alles findet den Weg in sein Herz. Gott hört mein Rufen in tiefster Nacht unter Tränen und in bitterer Einsamkeit. Gott hört mich am hellen Tag in der Sonne. Und erhört er mich auch?
„Denn wer da bittet, der empfängt, wer da sucht, der findet, und wer da anklopft, dem wird aufgetan“, so verspricht es Jesus. Und zu allen Zeiten haben Menschen das ja erlebt, dass ihre Bitten nicht verhallt sind, dass der Schmerz getröstet wurde, dass es Kraft gab um weiter zu machen, dass die Sorgen leichter wurden, ja, und dass kleine und große Wunder geschehen.
Ich bin sicher, auch hier und heute Morgen im Gottesdienst sitzen Menschen, die von wunderbarer Bewahrung erzählen können, von Heilung an Leib und Seele, von dem Glück, das nach so vielen Gebeten um Versöhnung möglich wurde, dass die Kinder ihren Weg fanden, dass die Hoffnung zurück kam.
Wenn nichts passiertAber, und auch das haben Menschen zu allen Zeiten erlebt, und sicher auch manche hier unter uns, dass eben nichts oder scheinbar nichts passiert ist. Keine Erhörung, kein Wunder. Scheinbar unerhört verhallen die Bitten im luftleeren Raum: Suchen und nichts gefunden, Klopfen und ewig verschlossene Türen.
Da betet eine Frau um Kinder und nichts passiert. Monat auf Monat folgt eine Enttäuschung auf die andere, und es wird eben nicht so wie bei Sara und Hanna und all den anderen Müttern der Bibel.
Wie viel Gebete und Bitten, und der Krebs geht nicht weg, im Gegenteil, am Ende bleibt nichts als ein langsames Sterben.
Leider macht mancher selbst ernannte Prediger es sich dann ganz einfach: Wessen Gebete nicht erhört werden, der hat eben nicht richtig gebetet, nicht richtig geglaubt.
So etwas hören wir nicht nur von den feurigen Predigern im Fernsehen im fernen Amerika, sondern solche Aussagen finden sich auch bei uns in frommen Gruppen und Kreisen, innerhalb und vor allem außerhalb unserer Landeskirche.
Ich finde das zynisch und boshaft, und dass so eine Aussage Gott zu einem Spielball unserer Gedanken macht. Und zugleich richtet es so großen Schaden in der Seele der Betroffenen an.
Uns bleibt leider gar nichts anderes übrig als auszuhalten, dass manchmal eben kein Wunder geschieht. Wir können nur die Wunde offen halten, schreien und weinen und schimpfen, wenn Gott unsere Bitten ins Leere laufen lässt. Vielleicht müssen wir wieder lernen, Gott zu klagen, ihn sogar anzuklagen, so wie Kinder sich bitter bei ihren Eltern beschweren und schimpfen und schreien. Denken Sie nur an die Tobsuchtsanfälle eines Zweijährigen an der Kasse, wenn er kein Hanuta bekommt. Vielleicht sind wir mit unseren Gefühlen viel zu zivilisiert, viel zu weit weg von unserer Seele, viel zu weit weg von Gott. Vielleicht sind wir viel zu erwachsen, viel zu domestiziert. Die Menschen, deren Stimmen wir in den Psalmen hören, die konnten noch klagen und schimpfen und schreien.
Dass Gebete nicht erhört werden, das erleben wir. Nicht nur in unserem persönlichen Leben, sondern auch als Gemeinde. Sonntag um Sonntag singen wir „Verleih uns Frieden gnädiglich“, und es ist Krieg an so vielen Orten der Erde.
Ich glaube, es gehört zu unserem Leben als Christen, auszuhalten, dass trotz der Verheißung Jesu nicht immer gefunden, gegeben und aufgetan wird.
Anders als erwartetOder anders gegeben, anders gefunden, anders aufgetan, als wir es gerne hätten. Wenn der Sohn, von dem Jeus erzählt, einen Fisch will, bekommt er keine Schlange, und wenn er ein Ei will, bekommt er keinen Skorpion. Aber was er bekommt, das verrät Jesus uns nicht. Auch der bittende Freund bekommt, so viel er bedarf, aber da steht nicht, dass er drei Brote bekommt. Sie können jetzt einwenden, dass diese Überlegung eine ziemliche Haarspalterei sei, aber ich hoffe, wir kommen der Wahrheit damit doch auf die Spur.
Möglicherweise erhört Gott unser Bitten ganz anders, als wir es uns vorstellen. Auch das kann zynisch klingen, wenn ich es vollmundig einer trauernden Witwe sage, die so lange um Genesung für ihren Mann gebetet hat. Deswegen kann man so etwas eigentlich auch nur ganz leise und eigentlich auch nur im Gespräch von Angesicht zu Angesicht sagen. Vielleicht kann man so eine Aussage auch nur selber für sich finden, rückwärts gerichtet im Nachdenken über das eigene Leben. Und manchmal entdecken wir dann, dass uns Gott ganz anders geholfen hat. Und wenn wir auch da nichts entdecken, dann bleibt es uns nicht erspart, mit dem Schmerz und der Enttäuschung zu leben. Auch im Glauben geht nicht alles auf, so wie wir auch mit mancher Enttäuschung in der Liebe weiter leben und lieben.
Auch Jeus hat das erlebt. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“, ruft er sterbend am Kreuz. Und dass Gott ihn nicht verlassen hat, das zu erleben braucht drei lange Tage und Nächte im Grab.
Und noch ein Gedanke zum Schluss. Jesus erzählt eine Geschichte von zwei Freunden. Vielleicht kann uns das anregen, darüber nachzudenken, dass wir ja manchmal gar nicht den lieben Gott bitten müssen, sondern dass es reicht, einen andern zu bitten: Den Nachbarn, der mir vielleicht helfen kann in meiner Einsamkeit, weil er genauso allein zu Hause sitzt wie ich; die Pfarrerin, die sich Zeit nehmen kann für ein Gespräch, wenn ich sie nur frage; den Arzt, den ich nur nachdrücklich genug löchern muss, damit er mit mir Klartext redet.
Jesus macht mir Mut, nicht nur bei Gott anzuklopfen, sondern auch bei den Menschen.
Der Dichter Reiner Kunze hat dazu ein wunderbares kleines Gedicht geschrieben:
Die letzte aller Türen
Doch nie hat man
an alle schon geklopft.
Amen.
Literaturhinweis: Reiner Kunze, Gedichte, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 3. Aufl. 2007, S.107.
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