Reminiscere / 2. Sonntag der Passionszeit (21. Februar 2016)
Pfarrerin Katrin Büttner, Stuttgart [Katrin.Buettner@elkw.de]
Römer 5, 1-5; 5, 6-11
Liebe Gemeinde!
„Dass Christen sich gegenseitig Segen wünschen, das ist ein schöner Brauch, der mich immer wieder berührt. Aber ich zweifle doch daran, dass eine persönliche Beziehung zu Gott möglich ist, so wie es die Bibel erzählt.“ Das schreibt mir ein Jubilar als Antwort auf einen Brief der Kirchengemeinde zu seinem runden Geburtstag.
Zugang zu Gott?Was ist, wenn sich die Wege vor unseren Füßen nicht ebnen und uns der Wind scharf ins Gesicht bläst? Kann Gott zum Gegenüber werden, das mich persönlich meint, interessiert an meiner Person, meinem Schicksal? Ein Gott, der ansprechbar ist und vernehmbar antwortet? Haben wir Zugang zu Gott?
Viele empfinden, dass ihnen dieser Zugang verschlossen bleibt. Dass Gott mit ihrem Alltag und seinen Schwierigkeiten und Aufgaben nichts zu tun hat. Dass Gott keine Antwort ist auf die Enttäuschungen ihres Lebens.
Sie können Kriege und Unrecht in dieser Welt nicht zusammendenken mit einem liebevollen und gerechten Gott. Dem Leid, dass ihnen selbst widerfährt, scheint Gott fremd und teilnahmslos gegenüber zu stehen. Verschlossen.
Dann verschließt sich auch der Mensch.
Eine Tür scheint zugefallen, eine Brücke abgebrochen.
Zugang im Glauben – Erinnern an den GekreuzigtenPaulus aber behauptet: Die Tür ist offen, der Zugang möglich. „Wir haben Frieden mit Gott. Wir haben Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen.“
Aus unserer abgeschlossenen, sich selbst genügenden, sich selbst überlassenen Welt treten wir ein in einen Raum der Gnade: im rechten Verhältnis und im Frieden mit Gott.
Paulus sagt: „Wir sind gerecht geworden durch den Glauben.“ Das ist sein ureigenstes persönliches Bekenntnis. Doch ist es darauf angelegt, andere zu erreichen und mit eintreten zu lassen in diesen Raum der Gnade: die Christinnen und Christen in Rom – und heute auch uns, die wir uns Christen nennen. Mit unserem Glauben und Kleinglauben, mit Zweifeln, Gottesfremdheit und Gottesenttäuschung. Und manchmal eben auch Gottesfeindschaft.
Paulus erinnert daran: Passion und Auferstehung Jesu Christi sind der Grund, dass wir jetzt Frieden mit Gott haben. Das Kreuz Christi ist für ihn das entscheidende Friedenszeichen, Zeichen der Gnade, in der wir stehen. Und Hoffnungszeichen, das in eine Zukunft weist, die von Gottes Herrlichkeit geprägt sein wird.
Dabei war doch das Kreuz als Instrument der Hinrichtung ein Zeichen der Schande. Den schändlichen Tod eines Verbrechers ist Jesus gestorben, eines von Menschen Ausgestoßenen und von Gott Verfluchten. Verspottet und beschämt auf seinem Leidensweg und selbst noch, als er am Kreuz hing. „Wo ist denn nun dein Gott?“, höhnen sie. „Steig doch herab vom Kreuz, wenn du Gottes Sohn bist!“ Jesus stirbt mit dem Schrei: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Aus Schande und Scham wird RühmenMit Jesu Auferweckung hat Gott dieses Zeichen der Schande und Gottverlassenheit verwandelt in ein Zeichen des Friedens und der Hoffnung.
Der Glaube daran verwandelt die Existenz der Glaubenden. Er verwandelt das Schämen in Rühmen.
„Ich schäme mich des Evangeliums nicht“ schreibt Paulus schon zu Beginn seines Briefes. Weltgewandten und gebildeten Griechen muss das peinlich und absurd erscheinen. Fromme Juden können es nur anstößig und blasphemisch finden, einen als Verbrecher Hingerichteten als Gott zu verehren. Eine Karikatur scheint dieses Bild des Gekreuzigten – lächerlich für die einen, empörend und blasphemisch für die anderen.
Aber: „Wir rühmen uns und schämen uns nicht“, bekennt Paulus in starken und vollmundigen Worten, nicht kleinlaut und verschämt.
In dem Maße, in dem wir uns dieses Bildes nicht schämen, müssen wir uns auch unserer selbst nicht mehr schämen. Wir haben Zugang zum Raum der Gnade. Wir sind willkommen mit unserem durchschnittlichen Leben, mit den nie verwundenen Niederlagen, den beschädigten Beziehungen, mit den großen Bosheiten, den kleinen Gemeinheiten, den schäbigen Egoismen. Mit all dem, was uns von einem vorzeigbaren Hochglanzleben trennt.
All das gerät ins Licht eines neuen Horizontes.
„Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.“
Bedrängnisse im Horizont der HoffnungHoffnung auf zukünftige Herrlichkeit und Vollendung ist das eine. Viel schwieriger ist zu verstehen, dass Paulus sagt: Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, die wir jetzt noch erleiden.
Paulus selbst geriet immer wieder in Not und Lebensgefahr. Er wurde angefeindet und verfolgt. Er war krank. Er wurde von Gegnern und Konkurrenten verleumdet. Vielleicht auch bedrängt von seiner eignen gewalttätigen Vergangenheit.
Er hat das alles nie bagatellisiert. Er war kein Held, kein Übermensch. Er hat seine Schwäche zugegeben. „Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um“(2. Kor 4, 8f).
Paulus macht die Erfahrung: Was ihm zustößt, bringt ihn oft an die Grenze seiner Kräfte und des Aushaltbaren. Aber es kann ihn nicht zerstören. Und vor allem: Es trennt ihn nicht von Gott. Gerade in dem, was ihn schwächt und bedroht, spürt er die Kraft Gottes, die ihn nicht im Stich lässt. Die ihn im Gegenteil immer fester an Jesus Christus bindet. Gerade die Bedrängnisse stärken seine Hoffnung, am Leben Jesu Anteil zu bekommen.
Kein Grund besteht, Bedrängnisse als solche herbeizuwünschen oder sie zu verklären.
Allein vom verheißenen Ziel und Ende her ist Rühmen gerechtfertigt: „weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden“. Eine kraftvolle Behauptung!
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist demgegenüber eine matte, resignative Phrase. Sie unterstellt, mit einem gewissen Zynismus, dass der Mensch eben etwas braucht, an das er sich klammern kann, und sei es auch bloß sein Wunschdenken oder eine Illusion.
Für Paulus ist die Hoffnung begründet. Sie wurzelt nicht in der Prognose oder der vagen Aussicht auf ein gutes Ende. Sondern sie hat ihr festes Fundament in der Hingabe Jesu.
Darum lässt sie nicht zuschanden werden. Sie wird uns nicht in die Irre führen oder bloßstellen.
Sie folgt aus der Bewährung. „Bewährung bringt Hoffnung“ – so der Apostel. „Je länger man geht, umso weniger lässt sich die Hoffnung entmutigen“, schreibt Fulbert Steffensky.(1)
Was wahr ist, wird sich bewährenIm Wort Bewährung steckt ja das Wort wahr. In schwierigen Zeiten kommt es nicht nur darauf an, durchzuhalten und auszuhalten – sondern vor allem, sich an das zu halten, was wahr ist. In aller Unübersichtlichkeit und Ungewissheit bei dem zu bleiben, worauf Verlass ist.
Frieden haben mit Gott und in den Raum der Gnade eintreten, zeitigt eine Praxis der Hoffnung, die sich auf das verlässt, was wahr ist und das Wahre stärkt.
Sie brauchen wir in der tiefen Verunsicherung durch die große Zahl der Flüchtlinge in unserm Land. Unabsehbar ist, wie die riesigen Aufgaben gemeistert werden können. Doch nur mit der Praxis der Hoffnung tragen wir zu einer guten Entwicklung bei. Mitgefühl nicht zu verlernen, sich weiter in Gastfreundschaft zu üben, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten, auch nicht verbal –so können die handeln, in deren Herzen die Liebe Gottes ausgegossen ist.
Und in Zeiten der Bedrängnis im persönlichen Leben: nicht aufhören zu fragen, uns erinnern, das Gespräch suchen mit den Glaubensgeschwistern und mit Gott. Empörung und Zweifel wagen, aber auch das Vertrauen, dass Gott selbst sich bewähren wird. Dass wir bewahrt bleiben.
Was wahr ist, ist mehr als nur ein Satz oder eine Fest –Stellung. Wahrheit ist nicht einfach abzulesen an den Ereignissen. Sie ist etwas, was auf Dauer sich zeigt, in der Zeit. „Die Wahrheit hat zu währen. “(Byung-Chul Han)(2) In Jesu Geschichte hat sie sich gezeigt. Sie wirkt und bewegt uns Richtung Zukunft. In der Zeit zwischen dem Kreuz Jesu und der zukünftigen Herrlichkeit. In unserer Geschichte, die in diese besondere Zwischen-Zeit gehört, will sie aufleuchten.
In ihrem Gedicht „Was wahr ist“ beschwört Ingeborg Bachmann Kraft und Dynamik der Wahrheit. Daraus einige Zeilen:
„…was wahr ist, rückt den Stein von deinem Grab.
……………………………………
Du haftest in der Welt, beschwert von Ketten,
doch treibt, was wahr ist, Sprünge in die Wand.
Du wachst und siehst im Dunkeln nach dem Rechten,
dem unbekannten Ausgang zugewandt.“(3)
So unbekannt der Ausgang vieler Geschichten noch sein mag – so gewiss ist uns doch der Zugang zu Gottes Gnade.
Amen.
Anregungen und Zitate aus:
1 Fulbert Steffensky, Wider den Luxus der Hoffnungslosigkeit, in: Wo der Glaube wohnen kann, Stuttgart 1989, Zitat S. 59.
2 Byung-Chul Han, Duft der Zeit, Bielefeld 2009, Zitat S. 44.
3 Ingeborg Bachmann, Sämtliche Gedichte, München 2002, S. 128.
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