Reminiscere / 2. Sonntag der Passionszeit (25. Februar 2024)
4. Mose 21, 4-9
Zur PredigtDer Weg des Glaubens gleicht manchmal an einer anstrengenden Wanderung. Da liegen beglückende Erfahrungen des Glaubens hinter einem. Länge und Mühe des Weges lassen die Seele kurz werden. Unzufriedenheit und Müdigkeit setzen ein. Auch die Frage, ob Gott es wirklich gut meint und ob sie nicht falschen Versprechungen gefolgt sind. Undankbarkeit macht sich breit. Gottes Volk steckt in der Krise. Und wie reagiert Gott?
Predigttext4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.
Liebe Gemeinde,
wie sind sie unterwegs? Ich meine, wie sind sie im Glauben und im Leben unterwegs? Christen sind Menschen, die mit Jesus Christus unterwegs sind. Sie haben erfahren, dass Gott sie liebt und befreit. Sie haben erfahren, wie Gott ihnen durchhilft und ihren Weg begleitet. Und doch kann auch der schönste Weg zur Qual werden. Wer sich schon einmal auf einer längeren Wanderung oder Pilgerreise begeben hat, kann ein Lied davon singen.
Wir sind ein wanderndes GottesvolkWir sind ein wanderndes Gottesvolk. So war es zu allen Zeiten. So war es auch beim Volk Israel. . Hoffnungsvoll waren sie in Ägypten aufgebrochen und ausgezogen. Auf ihrem Weg in die Freiheit hatten sie Wunder erlebt. Gott bewahrte sie vor den nachjagenden Ägyptern und brachte sie heil durchs Schilfmeer. Mit einer Wolke hatte er ihnen am Tag und mit einer Feuersäule hatte er sie in der Nacht begleitet. In der Wüste hatte der Herr sie mit Wachteln und Manna versorgt. Sogar Wasser ließ er aus einem Felsen hervorquellen, um ihren Durst zu stillen. Ihr Weg ging durch die Wüste. Gewiss. Doch Gott war bei ihnen. Was sollte ihnen da fehlen?
Doch schauen wir in unserem Text. Statt Jubel hören wir Klage. Statt fröhlichen Gesang hören wir Gemurre und Gemaule. Statt dass sie Gott danken, sind sie voller Vorwürfe!
„Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege.“ So heißt es in der Lutherübersetzung. Wörtlich übersetzt muss es heißen: Die Seele des Volkes wurde kurz auf dem Wege. Die Bildsprache der Bibel drückt das Gemeinte sehr viel besser aus. Eine kurz gewordene Seele hat ihre Spannkraft verloren. Sie ist ungeduldig und kann nicht mehr warten. Einer kurzen Seele geht der Atem aus. Sie ist erschöpft. Wenn die Seele kurz wird, dann mag sie einfach nicht mehr. Was war geschehen? Wie hat es so weit kommen können?
Irgendwann reicht es den Israeliten. Unmut macht sich breit. Misstrauen schleicht sich ein.
Zweifel in unwegsamem GeländeWürden sie das Ziel jemals erreichen? Wäre es vielleicht nicht doch besser gewesen, in Ägypten zu bleiben? Ihr Frust richtet sich direkt an Gott und auch an Mose: „Ihr habt uns diese Suppe eingebrockt. Ach hätten wir doch niemals auf euch gehört?“
Israel sagt: „Du Gott führst uns in die Irre. Du führst uns ins Verderben. Du lässt uns verhungern. Ägypten war immer noch besser als all das hier.“ Wir Menschen sind sehr vergesslich für das Gute, das Gott getan hat.
Wenn ich ältere Menschen frage, was im Leben wichtig sei, erhalte ich oft die Antwort: „Zufriedenheit.“ Früher konnte ich mit dieser Antwort wenig anfangen. Je älter ich allerdings werde, sehe ich, wie wahr sie doch ist. Unzufriedenheit ist eines der größten Merkmale von uns Menschen, eines der größten Merkmale unserer Zeit. Wir erleben das derzeit an allen Ecken und Enden. Die einen sind unzufrieden mit der Arbeit der Regierung. Die anderen sind unzufrieden mit ihrem Job, mit ihrer Familie, mit ihren Nachbarn und ihrem Einkommen. Es gibt tausend Gründe, im Leben unzufrieden zu sein. Die einen stöhnen über zu viel Arbeit und die anderen stöhnen, weil sie keine Arbeit haben. Den einen ist das Tempo der Veränderung zu schnell, andere beklagen ihre Langsamkeit. Unzufriedenheit hat sich in unserer Gesellschaft festgefressen. Könnte es sein, dass die allseits, um sich greifende Unzufriedenheit etwas mit Gott zu tun hat?
Dankbarer Glaube macht zufriedenIch bin überzeugt, dass der Glaube an Gott eine kraftvolle Quelle der Zufriedenheit sein kann. Für das Gute, das ich empfange, statte ich ihm meinen Dank ab. Dankbarkeit aber erhöht die Zufriedenheit. Das was mir fehlt, kann ich, auch, wenn es nicht immer einfach ist, aus seiner Hand nehmen. Ich muss mich also nicht vom Neid zerfressen lassen. Der Glaube an Gott ist in jedem Falle eine gute Ressource zu einem zufriedenen Lebensgefühl. Umgekehrt ist es allerdings, wenn wir Gott als den Geber aller guten Gaben nicht mehr wahrnehmen. Wenn wir seine Güte nicht mehr sehen und nicht mehr vertrauen können, dass er auch in schwierigen Wegabschnitten mit uns auf dem Weg ist.
Israel jedenfalls war unzufrieden. Gottes Güte wird nicht mehr wahrgenommen. Seine schützende Hand wird verschmäht. Hier zeigt sich etwas vom Wesen der Sünde. Sünde ist ihrem Wesen nach ein Reduziert-Sein des Menschen auf sich selbst. Hochmut ist die äußerste Form des Egozentrismus. In seinem Kern ist Hochmut nichts anderes als Unglaube. Es ist das Misstrauen, dass Gott es nicht gut mit einem meint.
Undankbarkeit und Egozentrismus sind SündeWie wird der verschmähte Gott nun reagieren? Wir sind es heute nicht mehr gewohnt, von einem zornigen, strafenden Gott zu reden. Ist Gott doch der Liebende, der gerne verzeiht und von jeder Strafe absieht. Tatsächlich ist Gott der Gnädige, der Liebende, so wie er sich uns in Jesus Christus gezeigt hat. Und doch wäre es zu billig, von ihm nur als dem „lieben Gott“ zu reden, der immer ein Auge zudrückt. Das wäre harmlos und würde der Bibel und auch dem Leben, wie es ist, nicht gerecht. Gott kann auch zürnen und strafen.
Gott kann die Umstände so führen und wenden, dass er uns Menschen dadurch zur Selbstbesinnung und Umkehr führt. Letzteres ist hier der Fall. Gott lässt die Schlangen los. Dass es in der Wüste todbringende Giftschlangen gibt, wundert uns nicht. Nun aber werden diese todbringenden Schlangen zu Instrumenten Gottes. Es klingt hier so, als ob Gott ihnen freie Hand lässt. Sie dürfen tun und lassen, was sie wollen. Die Menschen sind ihnen hilflos ausgeliefert.
Schlangen sind in der Bibel nicht nur jene gefährlichen Wesen, die man in der Stuttgarter Wilhelma hinter Glas betrachten kann, sondern immer auch ein Symbol für das Böse. Schlangen stehen für das Unheimliche, für das, was Angst macht, was bedroht. Die Psychologen sagen, dass die Schlangen für die Urängste des Menschen stehen. Paulus würde sagen: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den Mächten der Finsternis“ (Eph 6,12). Der Mensch, der der sich von Gottes Güte abwendet, bleibt sich selbst und am Ende den Mächten und Kräften dieser Welt überlassen. Trostlos. Haltlos. Schutzlos. Dies ist die ganze Tragik auch in unserer Geschichte. Sie haben ihren Gott verschmäht. Nun aber werden sie zum Spielball der Mächte und Kräfte dieser Welt. Dem Menschen ohne Gott wird die Welt unheimlich. Wo er das große „Fürchte dich nicht“ mehr hört, macht die Angst sich breit!
„Viele aus dem Volk starben!“ Panik macht sich breit. Aus dem Murren werden Angstschreie. Die Menschen kämpfen verzweifelt mit dem Tod und dieselben, die eben noch gemurrt haben, müssen nun erleben, wie da kein Heiland ist, der tröstend seine Hand unter ihr Haupt legt (Matthias Claudius). Hilflos sind sie der Macht der Verderben bringenden Schlangen ausgeliefert. Oder sagen wir es mit Paulus: „Der Tod ist der Sünde Sold“ (Röm 6,23).
Auch in der Gefahr steht Gott den Menschen beiDas Ende der Geschichte ist überraschend. Mose soll vor Gott für die Israeliten eintreten, dass dieser die Schlangenplage beende. Doch davon hören wir nichts. Allzugern hätten wir dies, dass Gott die Plagen nimmt, dass er die Angst einfach beseitigt oder uns aus der Situation der Gefahr herausnimmt. Dies geschieht allerdings nicht. Jesus bittet an anderer Stelle den Vater, dass er die Seinen nicht aus der Welt herausnehme, sondern dass er sie vor dem Bösen bewahrt. Seine Hilfe lautet nicht Schonung vor der Gefahr, sondern Beistand in der Gefahr.
Wir leben mit den Ängsten unserer Zeit. Wir schütteln die Umstände, mit denen wir zu kämpfen haben, nicht einfach ab. Schon gar nicht können wir als Glaubende dem Sterben, der Krankheit, dem Krieg und dem Krebs lächelnd gegenübertreten. Jesus nimmt uns nicht aus dieser Welt. Doch ruft er uns zu: „Seid getrost. Ich habe diese Welt überwunden.“ In diesem Vertrauen sollen wir Zuversicht finden.
Die Schlangenplage führt am Ende dazu, dass Gottes Volk umkehrt. Krisen sind immer auch Zeitansagen Gottes. Sie dienen der Umkehr und Neuausrichtung auf ihn. Die Krisen unserer Zeit sollen nicht dazu dienen, dass wir uns von der allgemeinen Unzufriedenheit anstecken lassen, sondern dazu, dass wir Gottes Angesicht suchen und uns zu ihm wenden.
Gott ist barmherzig – das zeigt sich im Kreuz JesuUnd wie reagiert der Gott Israels auf diese Hinwendung? Er lässt sich erweichen. Besser: Er übt Barmherzigkeit. Er lässt Gnade vor Recht ergehen. Mose soll eine Schlange aufrichten. Die Archäologen sagen uns, dass es wohl eine aus Kupfer bzw. Bronze gefertigte Signalstange war. Wer auf diese Stange hochschaute, blieb – auch wenn er von der Schlange gebissen war - am Leben.
Gott hat in unserer Welt des Hochmuts, des Überdrusses, der Undankbarkeit und der Unzufriedenheit ein Zeichen aufgerichtet. Dieses Zeichen ist ein Siegeszeichen über alle Sünde, Tod und Teufel. Das Johannesevangelium sagt es so: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ ((Joh 3,15). Das Kreuz wird zum Zeichen des Lebens. Jesus wird zum Gegenmittel gegen den Tod. Wohin wendet sich unser Blick in diesen Tagen und in diesen Zeiten? Angstvoll auf die bedrohlichen Schlangen? Unzufrieden auf die allgemeinen Umstände? Unzufrieden auf andere Menschen oder auf Gott? Der Blick auf Jesus verändert nicht die Welt. Aber er verändert unser Herz. Und noch mehr: der Blick auf Jesus gibt uns Mut, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern weiterzugehen und sich nicht entmutigen zu lassen. In einer Welt des Todes, des Misstrauens und der Unzufriedenheit ist sein Kreuz ein Zeichen für das Leben und der Hoffnung. Schauen wir auf Jesus.
Wie sind Sie unterwegs? Wie sind Sie im Glauben und im Leben unterwegs. Der Weg wird nicht immer einfach sein. Doch nun ist uns ein Zeichen gegeben. Unser Weg geht auf Karfreitag und Ostern zu. Lasst uns aufsehen auf Jesus. Amen.
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