Reformationsfest (31. Oktober 2020)
Pfarrer Stephan Schwarz, Ulm [hochschulpfarramt.ulm@elkw.de]
Matthäus 10, 27-33
IntentionDer Zuspruch Jesu „Fürchtet euch nicht!“ (oder positiv gewendet: „Habt Vertrauen!“) ist der zentrale Gedanke, der der ganzen Predigt zugrunde liegen soll. Ihn brauchen wir, wenn es ganz grundsätzlich darum geht, Jesus nachzufolgen, Gott zu vertrauen und im Reich Gottes mitzuarbeiten.
Liebe Gemeinde,
wir feiern das Reformationsfest: Aber was feiern wir da eigentlich? Martin Luther? Die evangelische Kirche? Uns selbst? Das hätte den Reformatoren nicht gefallen.
Sie stellten sich nicht selbst in den Vordergrund. Sie lenkten den Blick der Menschen neu auf das Evangelium, auf die „gute neue Mär“.
Sie wollten auch keine neue Kirche gründen. Denn gegründet hat sie Jesus Christus selbst. Daran lässt sich nichts verändern. Paulus hat das ein für alle Mal zum Ausdruck gebracht: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“
So lasst uns an diesem Abend uns darin vergewissern, auf welchem Grund unser Glaube steht. Und lasst uns erkennen, welchen Schatz wir damit haben und vor welchen Herausforderungen wir als Gemeinde Jesu Christi damit stehen.
Was Jesus seinen Jüngern mit auf den Weg gibtEin paar wenige Sätze von Jesus an seine Jünger helfen uns dabei. Jesus sandte seine Jünger in die umliegenden Dörfer und Städte, damit sie dort das nahe gekommene Reich Gottes bekanntmachen. Sie sind wohl schon bereit zum Losgehen und er gibt ihnen noch mit auf den Weg:
„Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern.
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt.
Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.
Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel.
Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.“ (Mt 10,27-33)
Zuspruch oder Drohung? Worte, die unterschiedlich wirkenMit diesen Worten im Ohr machten sich die Jünger auf den Weg. Wie Jesu Worte wohl auf sie gewirkt haben? Was bewegte sie unterwegs?
Und wie wirken sie auf uns?
Es gibt sicher Menschen, die spüren, wie Jesus ihnen damit Mut macht. „Fürchtet euch nicht. […] Wer […] mich bekennt, zu dem will auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel“. Das bestärkt mich. Ich brauche keine Angst zu haben. Dreimal sagt Jesus: „Fürchtet euch nicht.“ Damit ich es ganz bestimmt nicht vergesse.
Andere hören vor allem das, was Angst macht und einschüchtert: „Wer mich […] verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.“ Denn Gott kann „Leib und Seele verderben […] in der Hölle“. Das kann einem wirklich Angst machen.
Muss Jesus denn seinen Jüngern drohen? Klingen Jesu Worte nicht wie Zuckerbrot und Peitsche, wie schwarze Pädagogik, die gezielt Angst als Druckmittel einsetzt?
Noch unverständlicher erscheint das, wenn wir uns bewusst machen, in welcher Situation Jesus das sagt. Jesus schickt seine Jünger zu den Menschen und macht ihnen ungeschönt deutlich: Ihr dürft nicht damit rechnen, dass ihr überall auf Wohlwollen stoßt. „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ (1) Wenn es darum geht, zu meinem Glauben zu stehen, wünsche ich mir von Jesus unterstützende Worte, keine Drohgebärde, die mir zusätzlich Kraft raubt. Oder habe ich da etwas in den falschen Hals bekommen?
Dietrich Bonhoeffers Deutung„Wer mich […] verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.“ Manche hören diese schroffen Worte mit Unverständnis. Denn zu entscheiden, sich offen zu Jesus zu bekennen oder ihn zu verleugnen, geht in unserem Land in dieser Zeit nicht mit Angst um das eigene Leben einher. Es scheint eher so, als ob es gleichgültig sei. Jedenfalls leben wir in einem Staat, in dem das Recht, seine Religion auszuüben, zu den vornehmsten Grundrechten gehört. Natürlich kann es passieren, dass sich jemand über meinen Glauben lustig macht. Natürlich kann es passieren, dass ich irgendwo anecke. Aber ich muss augenblicklich keine Angst haben „vor denen, die den Leib töten […] können“. Selbstverständlich ist das nicht.
Ganz anders ist das für unsere Glaubensgeschwister in zahlreichen Ländern Asiens und Afrikas. Sie müssen um Leib und Leben fürchten: In Nordkorea, in Somalia, im Jemen und in vielen anderen Ländern dieser Welt kann es lebensgefährlich sein, sich zu Jesus zu bekennen. Wie sie Jesu Worte wohl hören?
Und wie haben sie wohl die Glaubensgeschwister gehört, die in unserem Land während der Zeit der Diktatur um ihres Glaubens willen verfolgt wurden? Einer von ihnen war der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Während der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft schloss er sich denjenigen an, die dieses Unrechtssystem beseitigen wollten. Er musste dies mit vielen anderen mit seinem Leben bezahlen. Seine Aufrichtigkeit und seine Stärke sind uns bis heute ein Vorbild.
Was es heißt, Jesus nachzufolgen, war für ihn ein Lebensthema. Vor allem mit seinen Vikaren, die er im Predigerseminar Finkenwalde ausbildete, dachte er darüber nach. Sie waren sich deutlich bewusst, in was für feindliche Umgebung sie kommen können, wenn sie als Pfarrer und Prediger in ein Dorf gesandt werden. 1937 gab Bonhoeffer sein Buch „Nachfolge“ heraus. Darin gibt er einen Einblick in das, was ihn in seinem Glauben bestärkt und was auch seine Schüler stärken soll. Und es sind gerade Jesu Worte aus einer Aussendungsrede, die ihm Mut machen.
Bonhoeffer schreibt:
„Fallen wir in der Menschen Hände, trifft uns Leiden und Tod durch menschliche Gewalt, so sind wir doch dessen gewiss, dass alles von Gott kommt. Er, der keinen Sperling zu Boden fallen sieht ohne sein Wollen und Wissen, er lässt den Seinen nichts geschehen, als was ihnen und der Sache, für die sie stehen, gut und nützlich ist. Wir sind in Gottes Händen. Darum „fürchtet euch nicht!“ (2).
Eine starke BeziehungBonhoeffer geht es also wie Jesus darum, uns die Angst vor den Menschen zu nehmen, und nicht uns Angst vor Gott zu machen.
Ich brauche keine Angst zu haben, weil ich in Gottes Händen bin. Die Beziehung zu ihm trägt mich: „Mein treuer Gott, auf deiner Seite bleibt dieser Bund wohl feste stehn“ singen wir in einem Lied zur Taufe.(3) Ich brauche keine Angst davor zu haben, dass mir Gott „Leib und Seele in der Hölle verdirbt“, selbst wenn er es kann. So wie ein Kind seinen Eltern vertraut, dass sie ihm nichts Böses tun. So wie in einer guten Partnerschaft jeder das Gute für den anderen will. So wie in einer Freundschaft es ganz selbstverständlich ist, dass man für den Freund, für die Freundin da ist, wenn sie einen braucht. Wir verlassen uns darauf, dass Vertrauen nicht missbraucht wird. Obwohl wir wissen, dass es doch immer wieder geschieht.
Wo aber Beziehungen verlässlich sind, da tragen sie auch durch schwere Zeiten. Das haben viele von uns in den letzten Monaten der Corona-Epidemie erfahren. Da hat sich für viele noch einmal die Frage gestellt: Auf wen kann ich mich verlassen? Worauf kommt es im Leben an? Worauf kann ich mich verlassen?
Zu einer Freundschaft oder Beziehung gehört auch, dass ich dem anderen verzeihen kann, wenn er mich enttäuscht. Und warum sollte das nicht auch für meine Gottesbeziehung gelten oder da sogar erst recht? Hatte nicht Jesus von Gott als einem liebenden Vater gesprochen? Hatte er nicht im Gleichnis davon erzählt, wie ein gescheiterter Sohn wieder ganz selbstverständlich Aufnahme zuhause findet. (4)
Jesus gibt seinen Jüngern die Warnung mit: „Wer mich […] verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel.“ Aber wenn es darauf ankommt, tut er das genaue Gegenteil. Er geht auf seinen Freund zu, der ihn verleugnet und enttäuscht hat. Der Apostel Petrus hat dies erlebt. Drei Mal hatte er Jesus „verleugnet vor den Menschen“. Doch auf Jesu Seite blieb „dieser Bund wohl feste stehen“. Er hält zu ihm und traut ihm nach wie vor zu, sein Apostel zu sein. „Weide meine Schafe“, sagte er letztlich zu Petrus. (5)
Kostbar und geliebtEin Mensch kann mit den Fehlern seiner Liebsten leben, weil er sie oder ihn liebt. Nicht weil er keine Fehler hat, liebt er ihn oder sie. So auch kann der Geliebte mit meinen Fehlern leben, weil er mich liebt. Und so lebt Jesus auch mit unseren Fehlern und Schwächen, und lässt daraus Gutes entstehen – wie bei Petrus. Denn in seinen Augen sind wir kostbar – so wie wir sind.
Er unterstreicht das, in dem er auf die Spatzen zeigt: „Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.“ Spatzen wurden als unbedeutendes Federvieh betrachtet. Sie galten als „Geflügelbraten der kleinen Leute.“ (6) Aber selbst um die kümmert sich Gott. Um wieviel mehr kümmert er sich um uns Menschen. „Ihr seid kostbarer als viele Sperlinge.“
Mutig glauben, mutig bekennen, mutig handelnWeil ich in den Augen Jesu so wertvoll bin, kann ich mein Vertrauen zu ihm ungeniert zeigen, gerade so, wie ich zu meinem Partner, meiner Partnerin stehe und wir es ungeniert öffentlich zeigen: „Wir gehören zusammen.“
Ich vertraue darauf, dass Jesus zu mir steht. Daraus erwächst mir neuer Mut. Ich gebe die Hoffnung für die Welt nicht auf trotz allem Unrecht, das geschieht, trotz aller Zerstörung der Umwelt, trotz aller Krankheit und ihren gravierenden Folgen. Aus diesem Vertrauen heraus erwächst der Drang, es offen auszusprechen und zu kritisieren, wo die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird. Und es erwächst die Kraft, in der Nachfolge Jesu für das Leben zu kämpfen und alles dafür zu tun, dass sich die Welt zum Guten wandelt. Oder wie es Dietrich Bonhoeffer gesagt hat:
„Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht,
dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen,
vorher aber nicht.“ (7)
Amen.
Anmerkungen
(1) Matthäus 10,16.
(2) Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, München 1982, 190.
(3) EG 200: Ich bin getauft auf deinen Namen.
(4) Lukas 15,11-32.
(5) Johannes 21,15-23.
(6) Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Teilband 2, Neukirchen-Vluyn 1990, 128.
(7) Dietrich Bonhoeffer, Ethik, München 1998, 36.
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