Pfingstsonntag (05. Juni 2022)
Römer 8,1-2(3-9)10-11
IntentionIm Predigttext geht es um unsere Leiblichkeit. Und damit um unser Menschsein. Denn wir sind Menschen aus Fleisch und Blut. Nur „im Fleisch“ haben wir die einmalige Gelegenheit des Lebens. Doch bei Paulus kommt das „Fleisch“ gar nicht gut weg, so scheint es jedenfalls. Redet er hier einer generellen Leibfeindlichkeit das Wort? Es besteht Klärungsbedarf.
Wir alle sind Menschen aus Fleisch und Blut. So hat uns Gott geschaffen. Aber im Römerbrief des Apostels Paulus kommt das „Fleisch“ gar nicht gut weg. Wie kommt das? Hören Sie selbst:
1 So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. 2 Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, 4 damit die Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, in uns erfüllt werde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. 5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. 6 Denn fleischlich gesinnt sein ist der Tod, doch geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7 Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch sich dem Gesetz Gottes nicht unterwirft; denn es vermag's auch nicht. 8 Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, da ja Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. 10 Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.
Wunder und Wunden: Unsere leibliche ExistenzAls Sie auf die Welt gekommen sind, haben Ihre Eltern gewiss gestaunt: Unser Kind - was für ein Wunderwerk der Schöpfung! Und heute? Hoffentlich ist das Staunen nicht zu Ende: In was für einem phantastischen Körper leben wir! „Diese ist nun endlich Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (1. Mose 2,23a), jubelt Adam in der biblischen Schöpfungsgeschichte, als er die Frau sieht. Und er hat allen Grund dazu. Denn gerade in ihrer Leiblichkeit begegnen sich Menschen, kommunizieren miteinander, machen sich reich. Sie können sich wahrnehmen, sich einander zuwenden, einander aufhelfen und beistehen, sich berühren und sogar „ein Fleisch sein“, wie das die Bibel so trefflich ausdrückt. Das Fleisch – es ist die Gestalt, in der wir Menschen lebendig sind.
Es gibt also keinen Grund, das Leibliche abzuwerten. Für Gott schon gar nicht! Er schafft uns Menschen als Geschöpfe aus Fleisch und Blut und spricht: „Siehe, es ist sehr gut“. Leider hat es Zeiten in der Kirche gegeben, in denen unsere Körperlichkeit mit der Sünde in einen Topf geworfen wurde. Vielen Menschen hat das die Freude an ihrem Körper ausgetrieben. Alle Sinnlichkeit, alle Lust und Leidenschaft wurden als etwas Verdächtiges, ja Schmutziges angesehen. Das ist hoffentlich ein für allemal vorbei.
Unser Leib ist ein großes Wunder. Aber er macht uns auch verwundbar.Jeder Sturz, jede Krankheit erinnert uns daran. Erst recht hat uns das Corona-Virus das schonungslos vor Augen geführt. Und da ist vor allem die Wunde der Vergänglichkeit. Mit zunehmendem Alter werden wir damit konfrontiert. Das Wunderwerk Körper wird mehr und mehr zur „Baustelle“. Mit Gras, das verdorrt und mit Blumen, die abgehauen werden, vergleicht die Bibel uns in unseren „sterblichen Leibern“ (vgl. Psalm 103,15f., Jesaja 40,6-8). Ein harter Realismus! Kaum zum Aushalten. Denn das wirft über unser ganzes Dasein den Schatten eines großen Umsonst. Alles wird am Ende zu Staub. Was bleibt dann noch von uns?
Können wir dem Zwiespalt der leiblichen Existenz entrinnen?Es scheint einen Ausweg zu geben. Wir versuchen, unser Leben ins Grenzenlose zu steigern: grenzenlos jung – grenzenlos gesund und schön - grenzenlos stark und erfolgreich – grenzenlos, was auch immer. Grenzen zu überschreiten zählt zur DNA unserer modernen Kultur. Und auch hinter dem Angriffskrieg auf die Ukraine steht ja im Grunde ein Hauptmotiv: mehr Macht. Mehr Einflusssphären. Mehr imperiale Größe. Auf Teufel komm raus.
So stoßen wir im Nahbereich und in der Weltpolitik auf die Gier. Sie wird zur mächtigen Herrscherin. „Nie genug!“ das ist der Ungeist, den sie verbreitet. Widerspruch duldet sie nicht. Auch nicht von Gott. Oder mit den Worten von Paulus: „Das Fleisch (unter der Herrschaft der Gier) unterwirft sich nicht dem Gesetz Gottes“. Die Gier verspricht: „Mit mir entkommst du der eigenen Endlichkeit.“ Doch so mächtig sie sich gebärdet: Hinter ihr lauert die Angst und die Ahnung, dass alles nichts helfen wird. Dass wir einer schweren Niederlage entgegengehen. Denn die Vergänglichkeit ist stärker: Unser Leben endet tödlich.
Und immer massiver werden wir damit konfrontiert, dass die Natur endlich ist. Sie lässt sich nicht grenzenlos ausbeuten. Die Erderhitzung und das Artensterben sind Endlichkeitsphänomene. Und im Grunde wissen wir es: Wenn alle Menschen so leben würden wie wir in den Wohlstandsgesellschaften, dann kollabiert die Welt.
Liebe Gemeinde, das meint Paulus mit „fleischlich gesinnt sein“. Es ist der verzweifelte Versuch, diesen Zwiespalt der leiblichen Existenz selbst zu überwinden. Der Mensch setzt auf sich allein, auf seine Macht, auf seine Kraft. Er will sein eigener Erlöser sein. Und bleibt doch ein vergänglicher, sterblicher Mensch. Dabei gerät er unter die Macht der Gier. Wir sehen in diesen Wochen mit Schrecken, was dabei herauskommt.
Die Rettung: Gott wird selber „Fleisch“Diese Niederlage wäre unser Schicksal. Wir würden zeitlebens vergebens danach jagen, unser Leben ins Grenzenlose zu steigern. Wenn es nicht Gott gäbe! Und der reagiert. Seine Reaktion spricht Bände. Was kein Mensch sich vorstellen kann: Der erhabene Gott wird Mensch mit allem, was körperlich dazugehört. Der Heilige Israels nimmt selbst Fleisch an. In Jesus Christus teilt Gott das Wunder und die Verwundbarkeit unserer leiblichen Existenz.
Gott weiß aus leidvoller Erfahrung, wie schwer es ist, seine Menschen zu erreichen. Darum wählt er diesen Weg. Darum kommt er uns in Jesus Christus so nahe. Damit wir es ihm glauben: Ich komme nicht, um euch zu verurteilen, ich komme, um euch zu retten. „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Jesus Christus sind.“
Liebe Gemeinde, uns sollen die Augen aufgehen – durch Jesus Christus. Auf dass wir erkennen, wer wir in Wahrheit sind: nicht Knechte der Gier, sondern Töchter und Söhne des lebendigen Gottes. Menschen seines Wohlgefallens – trotz allem, was dagegenspricht. Trotz unserer Angst und Verzweiflung. Trotz der finsteren Abgründe, in die ein Mensch viele andere stürzen kann mit seiner Gier.
Mit Jesus Christus kommt ein neuer Geist in unsere Welt. Besiegelt durch seinen Tod und seine Auferstehung. Und den feiern wir am heutigen Pfingstfest! Was für eine Nachricht: Gott schickt uns seinen befreienden Geist. Wir sind auch in diesen Krisenzeiten nicht von allen guten Geistern verlassen! Im Gegenteil, Gottes Geist zieht auch bei uns ein. Ja, Sie haben recht gehört: ein neuer Mitbewohner in unserem Lebenshaus! Ein richtiger Glücksfall für jede/n von uns. Denn mit ihm kommt Leben ins Haus, Leben von neuer Güte!
Wie der neue Mitbewohner unser Lebenshaus verändertWo Gottes Geist einzieht, da wird es hell und weit. Denn mit ihm kommt Gottes Ewigkeit herein. Er macht uns klar: „Dieses kurze Leben hier ist nicht die einzige und letzte Gelegenheit. Ihr müsst aus ihm nicht herauspressen, was nur geht.“ Solche Töne aber gefallen der Gier nicht. Sie kann diesen Geist Gottes auf den Tod nicht ausstehen. Und zieht sich zurück. Ein neuer Geist breitet sich bei uns aus. Endlich müssen wir uns nicht mehr größer, schöner, gesünder, mächtiger ausgeben als wir sind. Wir dürfen den Griff lockern, loslassen und Gott unser Leben hinhalten. So wie man das Gesicht der Sonne hinhält. Unter seinen liebevollen Augen kehrt Friede bei uns ein. Die Anspannung nimmt ab. Der Atem wird langsamer. „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, Gott.“ (Augustin). Leben im Geist. Bis ins Fleisch hinein.
Und unter dem Einfluss von Gottes Geist müssen wir nicht mehr krampfhaft unsere bisherige Lebensweise verteidigen. Wir nehmen ernst, dass unsere Ressourcen endlich sind. Wir stellen unseren Lebensstil darauf ein. Wir überprüfen unsere Art des Wirtschaftens. Wir werden bereit, auch auf manches zu verzichten.
Gottes Geist lockt andere Gäste an, die ich lange vermisst habe. Zum Beispiel die Lebensfreude. Es passiert an einem normalen Morgen: Ich stehe auf, die Knochen schmerzen, die Spuren des Alters sind unübersehbar. Und trotzdem fühle ich mich lebendig, begrüße voller Freude den neuen Tag. Ein Geschenk! Eine tiefe Lebensdankbarkeit steigt in mir auf.
Schließlich: In diesen Wochen beten viele für den Frieden. Ich denke, heute, an Pfingsten sollten wir auch beten: „Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen derer, die nie genug kriegen. Bring die Angst und die Gier zum Schweigen. Mach alle Verantwortlichen bereit zum Frieden.“
Am Ende nur Staub und Asche? Nein!
Zuletzt: Was ist mit dem großen „Umsonst“, das wie ein Damoklesschwert über unserem leiblichen Dasein schwebt? Sind wir am Ende nur Staub? Nein! Denn der ewige Gott ruft uns auch im Tod bei unserem Namen: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ (Jesaja 43,1). Der Name, das sind wir. Die Wunder und die Wunden unserer leiblichen Existenz – sie sind untrennbar mit unserem Namen verbunden. Im Klartext: Der Leib gestaltet unseren Namen mit. So will es Gott. So ehrt ihn Gott. Unser fleischliches Dasein endet nicht mit dem bitteren Umsonst. Denn wenn Gott uns mit unserem Namen in seiner Ewigkeit begrüßt, dann wird all das dabei sein, was unseren Namen ausmacht. Und dann wird Gott unser Leben in der Kraft seines Geistes verwandeln und neu schaffen. Das ist die Aussicht, die allen Mut macht, die sich jetzt fürchten.
Schon jetzt aber haben wir jeden Tag Grund zur Freude, dass Gottes Geist bei uns wohnt. Denn mit ihm zieht Leben von neuer Güte bei uns ein. Amen.
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