Pfingstsonntag (31. Mai 2020)
Pfarrer Thorsten Eißler, Reutlingen [Thorsten.Eissler@elkw.de]
Apostelgeschichte 2, 1-21
IntentionAuch in turbulenten und schwierigen Zeiten gilt, was Jesus Christus seinen Freunden versprochen hat: Gott tröstet immer (noch).
Liebe Gemeinde,
„und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort“.
So beginnt der Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag.
Nichts ist mehr so, wie es vorher warWie so oft, haben sich die Freunde von Jesus getroffen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich gedacht haben: „Jetzt ist es wirklich vorbei.“
Was war das für ein Auf und Ab der Gefühle in den letzten Wochen. Erst dieser großartige Einzug in Jerusalem – wie die Menschen da Hosianna gerufen haben. Dann dieser Schock: Jesus wurde verhaftet, verurteilt und am Kreuz hingerichtet. Alles aus und vorbei. Aber nein, doch nicht. Jesus lebt. Sie haben ihn selbst gesehen, selbst gehört. Was für eine Freude. Jetzt wird alles gut! Wie schön, wenn am Ende alles gut ausgeht. Wenn man nach schweren Zeiten wieder richtig Freude haben kann am Leben. Wenn alles wieder ins Lot kommt.
Und dann plötzlich: in Luft aufgelöst. Von jetzt auf nachher in den Wolken verschwunden. Jetzt ist es wirklich vorbei. Ich bin mir sicher, dass ihnen das jetzt klar war. Nichts wird mehr so sein, wie es vorher war. So sitzen sie da in diesem Haus. Mit dieser lähmenden Mischung aus Angst und Trauer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie viel geredet haben. Schweigen. Nichts ist mehr so, wie es war.
Das gilt auch für uns heute. Ich meine: Hätte mir das noch im Frühjahr jemand gesagt, dass es bei uns möglich sein könnte, dass so ein Virus unser Leben so massiv umkrempelt, ich hätte es nicht geglaubt. Dass keine Gottesdienste mehr gefeiert werden dürfen. Dass man teilweise auch die engste Familie nicht mehr sehen darf. Dass die Innenstädte leer sein können, weil kein Geschäft mehr offen hat. Dass wir alte und kranke Menschen allein lassen müssen, weil sie keinen Besuch empfangen dürfen. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich das schon auf eine ganz seltsame Art und Weise verunsichert hat. Ich, der ich mein ganzes Leben bisher in der Sicherheit und dem Wissen gelebt habe, dass es uns gut geht. Dass es mir an nichts fehlt, dass ich alles machen kann, was ich will. Nichts ist mehr so, wie es war. Auch heute nicht. Wenn wir uns hier in der Kirche umsehen. Wir singen nicht, sitzen vielleicht nicht an unserem Platz, kein freundlicher Handschlag zur Begrüßung, Desinfektionsmittel statt Gesangbuch, und in vielen Gemeinden wird immer noch gar kein Gottesdienst gefeiert.
Apostelgeschichte 2,1-13:„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.“
Neu entfachtDie Freunde von Jesus hatten sich wie schon so oft getroffen. Keiner hat so richtig gewusst, wie es weiter geht. Was sollten sie denn auch ohne ihren Freund und Lehrer tun? Klar, Jesus hatte ihnen aufgetragen, dass sie weitermachen sollten. Dass sie allen Menschen davon erzählen sollten, was sie gemeinsam erlebt hatten. Aber anscheinend hat keiner von ihnen so richtig gewusst, wie das gehen soll.
Und dann gab es plötzlich einen Sturm. Der hat sie wachgerüttelt. Und der hat ein neues Feuer in ihnen entfacht. Es kam ihnen vor, als wenn Feuerzungen vom Himmel gefallen wären und sich auf sie gesetzt hätten, so steht es in der Bibel. Sie wurden erfüllt von Gottes Geist. Die Ratlosigkeit war weg und die Angst. Sie waren regelrecht be-geistert und haben das den Menschen in ganz unterschiedlichen Sprachen erzählt.
Ja, ich weiß, das klingt merkwürdig. Und auch die Freunde wurden damals verspottet: Ihr seid wohl betrunken.
Aber ich kenne das auch. Wenn mich was richtig begeistert, dann trau ich mich plötzlich, anderen davon zu erzählen. Und manchmal springt der Funke über und dann breitet sich die Begeisterung aus.
Ich glaube, dass genau das in diesem Jahr ganz besonders deutlich werden kann. Ich glaube, dass ich bisher noch in keinem Jahr die Passions- und Osterzeit so intensiv erlebt habe wie in diesem Jahr. Ich meine: An das ganze Leid, das Jesus in der Zeit erlebt hat, erinnern wir uns immer von Ostern her. Wir wissen, was kommt. Ich weiß, dass Jesus den Tod besiegt hat. Ich weiß, dass er zu seinem Vater in den Himmel zurückkehren wird. Und ich weiß auch, dass Pfingsten kommt und der Heilige Geist bei uns bleiben wird.
Aber in diesem Jahr haben wir ein bisschen was von dem Leid und den Umbrüchen, die Leben und Gesellschaft verändern, erlebt. Nein, Corona ist keine Strafe Gottes. Corona ist auch nicht der Sturm, der uns wachrüttelt. Aber das, was wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, hilft uns vielleicht, auch unsere Begeisterung neu zu wecken. Neu zu entfachen.
Heute ist Pfingsten. Wir Christen glauben: Seit jenem ersten Pfingsten kann man den Geist Gottes spüren. Der kann mich begeistern und lässt mich erleben: Ich bin nicht allein.
Die letzten Wochen und Monate haben wir ganz unterschiedlich erlebt. Für manche war es der finanzielle Ruin, weil sie plötzlich nichts mehr haben oder in Kurzarbeit zu wenig haben. Viele Familien und Beziehungen wurden auf eine harte Probe gestellt. Und auch wir als Kirche haben eine harte Zeit hinter uns. Weil wir Menschen allein lassen mussten, für die wir doch da sein sollten. Auf der anderen Seite, ist ganz viel Neues und Schönes entstanden. Menschen gehen für sich gegenseitig einkaufen. Eine Welle der Dankbarkeit erreicht die Ärzte, Pflegekräfte und Supermarktmitarbeiter. Und auch in den Gemeinden ist vieles entstanden. Gottesdienste im Live-Stream, Traktorgottesdienste, Telefonandachten, Predigten zum Mitnehmen, Ostertüten mit Blumensamen und wir sind heute wieder hier. Und feiern gemeinsam Gottesdienst. Wenn auch ein bisschen anders.
Apostelgeschichte 2,14-21:„Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde des Tages; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: ‚Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis verwandelt werden und der Mond in Blut, ehe der große und herrliche Tag des Herrn kommt. Und es soll geschehen: Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.‘“
Gott tröstet immer (noch)Petrus fängt an zu predigen. Er hat es verstanden. Jetzt endlich haben sie es verstanden. Alles, was Jesus ihnen so oft versucht hat zu erklären. Dass er sterben musste. Dass er auferstehen musste. Dass er zu seinem Vater zurückkehren musste. Und dass er einen Tröster schicken wird, der dann immer bei uns sein wird. Das hat Petrus und das haben seine Freunde jetzt verstanden. Genau daran erinnern wir uns heute an diesem Pfingstfest. Das feiern wir heute. Und wir erinnern uns nicht nur daran. Wir sind mittendrin.
Wie auch immer uns diese letzten Wochen verunsichert haben. Wie sehr mich das ganz persönlich verunsichert hat, mein Weltbild in Frage gestellt hat. Ich merke doch: Ich bin mittendrin. Ich gehöre auch zu dieser Geschichte, bin ein Teil von ihr. Wir sind nicht gottlos. Wir sind auch nicht gottverlassen. Jesus hat damals versprochen, dass er den Tröster schicken wird. Das hat er getan. Und er ist immer noch da. Er sieht das, was uns belastet und uns freut, und er ist mittendrin. Er ist bei den Kranken und Sterbenden. Er trauert mit denen, die einen lieben Menschen verloren haben. Er ist mit dabei, wenn Eltern versuchen ihren Kindern den Schulstoff zu vermitteln. Und er trägt den Frust mit, wenn jemand seinen Job verloren hat oder das Geld kaum zum Leben reicht. Und ich merke, wie mich das auch durch diese Zeit getragen und begleitet hat. Gott tröstet. Immer.
Amen.
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