Pfingstmontag (29. Mai 2023)
Johannes 4,19-26
Herrn Professor Dr. Hermann Lichtenberger zum 80. Geburtstag
IntentionWenn wir uns die Zuwendung Gottes gefallen lassen, ehren wir ihn. Wir sollen das Heil aus dem jüdischen Volk erwarten und uns an Jesu Auskunft über Gott orientieren. Der Geist der Wahrheit wird uns mit Gott in Kontakt bringen.
Liebe Gemeinde! Schön, dass wir heute erneut zu einem Pfingstfestgottesdienst zusammenkommen. Wir drücken damit unsere Wertschätzung für den Geist Gottes aus: Er ist für unser Leben und für unsere Kirche unverzichtbar. Denn er ist es, der „die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben“ (Martin Luther).
Zugleich würdigen wir den Heiligen Geist als Person der göttlichen Dreieinigkeit. Denn wie Gott Vater an Weihnachten und seinen Sohn Jesus Christus an Ostern feiern wir den Geist an zwei Festtagen. Am Pfingstsonntag stehen thematisch die Wirkungen des Heiligen Geistes im Zentrum. Am zweiten Feiertag geht es konkreter um die Bedeutung des Geistes für die Kirche.
Dazu hören wir heute einen Ausschnitt aus einer Erzählung des Johannesevangeliums. Jesus sitzt an einem Brunnen bei Sychar, einem Ort in Samarien. Von der Fußwanderung ermüdet, ruht er sich in der Mittagshitze dort aus. Seine Jünger gehen inzwischen zum Einkaufen in den Ort. Wie Jesus nun so allein dort ruht, kommt eine Frau aus dem Ort, um am Brunnen Wasser zu schöpfen. Zwischen ihm und ihr entspinnt sich ein Gespräch. Das ist erstaunlich. Denn die damaligen Begrenzungen durch Volkszugehörigkeit, Geschlecht und Moral spielen in dieser Begegnung keine Rolle.
Unser Predigtwort setzt ein, nachdem Jesus der Frau sein Wissen um ihre gescheiterten Ehen kundgetan hat. Ich lese Johannes 4,19 bis 26:
„Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir aber wissen, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet.“
Auf den ersten Blick hat unser Predigtwort, liebe Gemeinde, kaum etwas mit dem Pfingstfest zu tun. Nirgendwo ist hier davon die Rede, dass der Heilige Geist kommt. Auch geht es nicht um die Gaben des Geistes. Stattdessen steht da der kurze Satz „Gott ist Geist.“ Und wer ihm die Ehre erweisen will, müsse dies „in Geist und Wahrheit“ tun.
Das Heil kommt von den JudenUnsere Verse zielen vielmehr auf eine Auskunft über Jesus: wer denn der ist und was von ihm zu erwarten ist. Schon zuvor aber meldet sich in der Rede Jesu das religiöse Selbstbewusstsein des Judentums zu Wort: „Wir aber wissen, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.“
Dieser Satz aus dem Munde Jesu steht einzigartig da. Im übrigen Johannesevangelium finden wir hingegen nicht wenige polemische Sätze gegen „die Juden“. Immer wieder taucht daher der Vorwurf auf, das vierte Evangelium vertrete eine Position des Antijudaismus. Man hat diesen einzigartigen Satz daher gern als später eingetragene Glosse abgewertet.
Solche Abwertung kam den Vertretern einer deutschen Rassenideologie sehr gelegen. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts setzte man alles daran zu beweisen, dass Jesus kein Jude war. Er sei vielmehr Arier gewesen. Und das Heil – das käme von einem anderen.
Jesus gehört zum jüdischen VolkAber dem muss unter Berufung auf unser Predigtwort energisch widersprochen werden. Schon der Evangelist Johannes dürfte jüdischer Abstammung gewesen ein. Darauf weist sein eigentümlicher Gebrauch der griechischen Sprache hin. Auch würde er sonst wohl kaum Jesus als „König der Juden“ (Joh 19,19) sterben lassen. Und schließlich sind die polemischen Sätze gegen „die Juden“ auf ein konkretes Thema beschränkt: auf die Anerkennung oder Ablehnung des vom Vater gesandten Gottessohnes.
Es bleibt also dabei: „Das Heil kommt von den Juden!“ Nach dem Sprachgebrauch des vierten Evangeliums ist damit die Zugehörigkeit des Heils zum jüdischen Volk ausgesagt: Die Rettung aus Verlorenheit ist in dem Volk beheimatet, das von alters her die Zusagen Gottes hat.
Aus dem jüdischen Volk schafft Gott Heil für die WeltWas bedeutet das? Einige Verse später bekennen die Einwohner von Sychar: „Dieser ist wahrlich der Welt Heiland“ (4,42). Jesus ist Jude. Weil er der Retter der Welt ist, kommt das Heil Gottes aus seinem Volk auch zu uns.
Das ist wieder so ein merkwürdiges Vorgehen Gottes, das wir mit menschlichen Maßstäben nicht begreifen können. Wir schauen auf diejenigen, die ein hohes Ansehen haben, die an den Schalthebeln der Macht sitzen oder die über unvorstellbar viel Geld verfügen. Zeitungen und Zeitschriften berichten immer wieder über die Schönen und Reichen, die Politiker und Adeligen. Diesem Personenkreis bringen wir anhaltendes Interesse entgegen.
Gott ist da ganz anders. Er lässt seinen Sohn in einem Volk zur Welt kommen, das unter den Zumutungen einer Besatzungsmacht ächzt. Von außen betrachtet hat seine Geburt etwas Anrüchiges und Armseliges. Und als Verbrecher erleidet er die übelste Todesstrafe. Die Wege Gottes zu unserem Heil sind unbegreiflich. Wie kann man das glauben?
Was meint Jesu Auskunft: „Gott ist Geist?“Die Antwort auf diese Frage hat mit der Auskunft zu tun, die aus dem Munde Jesu kommt: „Gott ist Geist.“ Diese Auskunft ist freilich verschiedenen Missverständnissen ausgesetzt. Manche werden sagen: Das habe ich ja schon lange geahnt: Gott ist nicht real! Er hat sich in den Geist verflüchtigt: ein Hirngespinst. Warum sollte man an ihn glauben? Es hat gute Gründe, dass ich Atheist bin.
Vertreter der hinduistischen Religion könnten bemerken: Das haben wir schon lange vor euch Christen gewusst. Gott gehört seinem Wesen nach der spirituellen Welt an. Und seine millionenfachen Erweiterungen reichen bis in unsere materielle Welt hinein.
Auch viele Philosophen – von Platon über die Stoiker bis zum deutschen Idealismus – haben Gott als geistiges Wesen verstanden. Für Hegel etwa war Gott der absolute Geist und das Christentum die „Religion des Geistes“. Dass Gott materiell nicht greifbar ist, wusste man freilich schon im alten Israel. Daher stand im Tempel zu Jerusalem keine Götterstatue. Hatte Jesus das gemeint, als er die Auskunft gab: „Gott ist Geist?“
Als Geist wendet sich Gott dieser Welt zuJesu Auskunft sollte sicher nicht die Seinsweise Gottes definieren. Denn der Zusammenhang in unserem Predigtwort stellt auf die Beziehung Gottes zu uns Menschen ab: wie er sich offenbart. Dabei ist auch für den vierten Evangelisten die jüdische Auffassung leitend, dass Gott Person ist. Und als Person liegt ihm an einem Gegenüber, an einem „Du“, an einer Beziehung mit uns Menschen.
„Gott ist Geist“ – das heißt: Als Geist ist Gott für uns Menschen da. Er erschließt sich uns als Geist. Besonders deutlich wird das im Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche und in den Glaubenden. Als Geist wendet Gott sich seiner Welt und damit auch uns zu. Sind wir aber empfänglich für einen Gott, der als Geist auf uns zukommt?
Durch Gottes Geist werden wir neu geborenIm Kapitel vor unserem Predigtwort stellt der vierte Evangelist fest: „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist“ (Joh 3,6). Von sich aus kann der Mensch Gott also nicht anbeten. Von Natur aus sind wir „Fleisch“. Wir erreichen Gott nicht. Sofern wir nicht von Neuem geboren werden, sind alle unsere Bemühungen um Gott vergeblich (vgl. Joh 3,3.7).
Werden wir aber durch Gottes Geist neu geboren, dann haben wir Zugang zu ihm. Wenn der wahre Geist unser Leben bestimmt, sind wir mit Gott verbunden und ehren ihn. Wo das ist: ob auf dem heiligen Berg der Samaritaner oder auf dem Zion in Jerusalem oder in unseren Kirchen – wo das ist, ist seit Christi Kommen unerheblich. Und zu welcher Gelegenheit das geschieht: ob im Gottesdienst oder in der Gebetsgemeinschaft oder im stillen Kämmerlein – zu welcher Gelegenheit das geschieht, ist seit Christi Kommen ebenfalls unerheblich.
Im Geist der Wahrheit beten wir Gott anDie Anbetungslieder, die wir singen, mögen alt oder neu sein. Entscheidend ist, dass wir Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“. Das geht nur, wenn der Geist der Wahrheit uns in unserer Beziehung zu Gott inspiriert und leitet. Jesus schenkt diesen wahren Geist. Der ist nicht nur die uns zugewandte Seite Gottes. Der ist auch Vertreter Christi auf Erden. Der leitet uns in aller Wahrheit (vgl. Joh 16,13). Der lässt uns in stetem Kontakt mit Gott sein.
Wir ehren Gott, wenn wir ihn als Geist und also als den Gott anerkennen, der sich uns zuwendet. Wir folgen Jesus nach, wenn wir uns an seiner Auskunft über Gott orientieren und von ihm alles Heil erwarten. Und wir lassen den Geist der Wahrheit wirken, der uns stets neu mit Gott in Kontakt bringt. So gelingt geistliches Leben. So bleiben Kirche und Gemeinden lebendig. Gott sei ewiglich Dank! Amen.
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