Pfingstmontag (06. Juni 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Iris Carina Kettinger, Heidenheim [iris-carina.kettinger@elkw.de]

4. Mose 11, 1-17.24-25

IntentionDie Predigt soll Mut machen, wenn Mutlosigkeit sich ausbreitet und die Menschen verzagen. Dann entlastet und belebt Gottes Geist. Er hilft, Verantwortung und Macht zu teilen und gemeinsam zu tragen.

Liebe Gemeinde,
Wenn Belastungen und Krisen gar nicht mehr aufzuhören scheinen, dann geht einem die Geduld aus. Dann fängt das Schimpfen an, das Murren und Klagen. Das ist heute so und das war schon so in biblischer Zeit. Davon erzählt der Predigttext für den Pfingstmontag aus dem 4. Buch Mose im 11. Kapitel:
„Und das Volk wehklagte vor den Ohren des HERRN, dass es ihm schlecht gehe. Und als es der HERR hörte, entbrannte sein Zorn, und das Feuer des HERRN loderte auf unter ihnen und fraß am Rande des Lagers. Da schrie das Volk zu Mose, und Mose bat den HERRN; da verschwand das Feuer…
Das fremde Volk aber unter ihnen war lüstern geworden. Da fingen auch die Israeliten wieder an zu weinen und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Kürbisse, die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna. Es war aber das Manna wie Koriandersamen und anzusehen wie Bedolachharz. Und das Volk lief hin und her und sammelte und zerrieb es mit Mühlen oder zerstieß es in Mörsern und kochte es in Töpfen und machte sich Kuchen daraus; und es hatte einen Geschmack wie Ölkuchen. Und wenn bei Nacht der Tau über das Lager fiel, so fiel das Manna mit darauf.
Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des HERRN sehr. Und auch Mose verdross es. Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: Gib uns Fleisch zu essen. Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.
Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst…
Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.“

Das Murren des Volkes – Jammern auf hohem NiveauFrüher war alles viel besser! Dieser verklärende Blick zurück führt zu Unzufriedenheit und Gejammer. Der Begeisterung beim Auszug aus Ägypten, wohlbemerkt dem Land der Knechtschaft, hält nicht lange an. Zu anstrengend die Wege, zu ungewiss der Ausgang des Abenteuers Wüstenwanderung. Die besonders Lauten haben das Zeug, die Stimmung zum Kippen zu bringen. Statt zusammenzustehen und einander zu unterstützen, wird aufbegehrt und gegen Mose gestichelt. Plötzlich wird das Sklavenhaus Ägypten, dem jeder entfliehen wollte, als Ort der Fülle und schmackhaften Küche gepriesen. Die Gegenwart wird als unerträglich empfunden. Unzufriedenheit wird hinausposaunt und auf die Straßen getragen. Wir kennen das. aus der Zeit der Pandemie, als Tausende gegen die Corona-Schutzmaßnahmen protestierten und aufbegehrten. Die dahinterstehende Müdigkeit nach zwei Jahren Einschränkungen und Maßnahmen von Maske bis Abstandsregeln ist absolut verständlich. Die wirtschaftlichen Sorgen von Restaurantbetreibern, die tiefe Erschöpfung des Krankenpflegers und der Lehrerin sind nachvollziehbar. Uns alle hat die Pandemie dünnhäutiger gemacht, lust- und freudloser. Die Sehnsucht nach dem Früheren wird stark und mächtig, so mächtig, dass die Gegenwart dagegen in Grau erscheint. Aus dieser Erfahrung heraus werden Schuldige gesucht – und gefunden. Politisch Verantwortliche standen im Kreuzfeuer der Kritik. Es gab Grenzüberschreitungen.
Seit dem Krieg gegen die Ukraine, dessen Folgen auch in unserem Land spürbar sind, hat sich die Situation verlagert, aber nicht entschärft. Nun geht es noch um viel mehr als um Disziplin beim Einkaufen und Zurückhaltung beim Feiern mit Freunden und Familie. Nun geht es um den Frieden in Osteuropa, bei uns und möglicherweise auf der ganzen Welt. Und wieder werden Führungspersonen angegangen und verunglimpft. Den einen sind Waffenlieferungen in ein Krisengebiet unheimlich, den anderen gehen die militärischen Interventionen nicht weit genug. Das Volk indes murrt wegen hoher Sprit- und Energiepreise, steigender Lebenshaltungskosten und verfällt wieder in den Reflex: Früher war alles viel besser. Vor dem Krieg. Was ja sogar stimmt.

Die Klage Moses – die verzweifelte FührungskraftMurren und Jammern haben Einfluss auf den weiteren Verlauf. In der Bibel und bei uns. Was hat Mose nicht alles für das Volk unternommen? Wie oft hat er vermittelt zwischen Gott und den Leuten! Ein Flächenbrand konnte dank Mose im Keim erstickt werden, als das murrende Volk zündelte. Immer wieder gelang es ihm, Katastrophen abzuwenden. Dabei hatte er gar nicht ins Amt des Anführers gedrängt. Erinnern wir uns: Mose war am Anfang seiner Beauftragung durch Gott nicht überzeugt, der Aufgabe gewachsen zu sein. Mit Nachdruck wehrte er sich gegen das Leitungsamt. Eine schwache Führungskraft? Ein zögernder, zaudernder Volksvertreter? Fakt ist, dass Gott auf Moses Bedenken eingeht und ihm seinen Bruder Aaron und seine Schwester Mirjam zu Seite stellt. Schon zu Beginn war sein Leitungsamt auf Unterstützung durch Gefährten gegründet. So konnte er seine Aufgabe wahrnehmen, Schritt für Schritt durchs Rote Meer und weit in die Wüste hinein. Aber jetzt scheint Mose festzustecken. Das Heulen der Israeliten geht ihm so auf die Nerven, dass er sich in seiner Verzweiflung an Gott wendet, der ihn schließlich zur Leitungsfigur bestimmt hat. Das Klagelied des Mose steht dem Murren des Volkes in nichts nach. Als das Volk die gewonnene Freiheit weniger schätzt als die Fleischtöpfe und sogar den Knoblauch Ägyptens, zeigt sich bei Mose eine abgrundtiefe Erschöpfung. „Ich bin am Ende, mein Gott, dieses ganze Volk mit seinem Geplärr und Geheule wird mir zu schwer. Ich will lieber tot sein, als dies noch einen einzigen Tag mitzumachen.“ Mose ist der Belastung nicht mehr gewachsen und gibt dies zu. Er ist nicht mehr der strahlende Anführer, der Garant für das Gelingen des Unternehmens Wüstenwanderung. Aber war er das jemals? Nein können wir sagen, er taugte nie zum Volkshelden. Gerade deshalb hat Gott Mose erwählt, weil er wenig vom Einzelkämpfertum und viel von geteilter Macht hält. Weil Gottes Geist, den wir an Pfingsten feiern, in den Schwachen mächtig ist. Weil dieser Geist Wege aus der Krise weist.
Die Pandemie hat viele Verantwortungsträger an ihre Grenzen geführt. Von den gesellschaftlichen Beteuerungen am Anfang der Pandemie, füreinander einzustehen, ist wenig geblieben auf dem steinigen Weg von vorsichtiger Öffnung und hartem Lockdown. Am Ende gab es eine immer aggressivere Stimmung und sogar Drohungen gegen Entscheidungsträger. Manch eine konnte zugeben, dem Stress nicht gewachsen zu sein. Aber anders als in der Geschichte Moses gab es keine Unterstützung durch Machtverteilung, sondern den Ruf nach Rücktritt. Standzuhalten in schwieriger Situation ist schwer. Wenn der Zauber des Anfangs, die Begeisterung des Aufbruchs der Belastung gewichen ist und jeder nur noch unter der Last ächzt. Dann braucht es Gottes guten Geist, der Müde wieder aufrichtet, der Macht teilt und Mut macht, den Weg weiterzugehen – mit Gott an der Seite. Mose wird nicht abgelöst wie vor kurzem die Bundesfamilienministerin. Mose bekommt Hilfe und bleibt dennoch im Amt.

Geburtstag der Kirche – mit Gottes Geist durch KrisenGott hört sich die Klagen an und sorgt für Entlastung. Das ist die frohe Botschaft von Pfingsten. Mose wird nicht entlassen oder wegen Unfähigkeit geschasst. Gott startet einen neuen Versuch mit seinem erschöpften Vertrauten. Der ehrliche Hilferuf Moses macht Gott erfinderisch. Ein neues Leitungskonzept wird ins Leben gerufen. Denn Gottes Geist ruht nicht nur auf Einzelnen. Er lässt sich teilen ohne weniger zu werden. Er lässt sich vervielfältigen zu einem guten Miteinander. Mose bekommt nicht nur einen oder zwei zur Unterstützung, sondern gleich siebzig Leute. Das ist mehr als ein Kirchengemeinderat, ein Elternbeirat an der Schule, da ist beinahe ein kleines Parlament. Die Verantwortung für das Gelingen des Auszugs aus Ägypten und dem Einzug ins gelobte Land ruht nun auf mehreren Schultern. Mose fortan als Schuldigen ausmachen, wenn irgendetwas reibt, gilt nicht länger. Siebzig Älteste, also lebens- und glaubenserfahrene Leute, sind repräsentativ für das ganze Volk. Das leitet die Wende ein. Eine Abkehr vom „Weiter-So“ in der gemeinsamen Depression hin zu einem neuen Aufbruch. Zu neuer Begeisterung. Mose muss nicht mehr alles allein richten, bei Problemen von Zelt zu Zelt wanken, von Müdigkeit gebeugt, nur um Heulen und Murren zu vernehmen. Von Zelt zu Zelt gehen mit ihm nun siebzig geistbegabte und dennoch bodenständige Mitarbeiter. Das Volk wird nicht in der Wüste sterben, Mose auch nicht. Sie werden weiter gehen, das Ziel im Blick. Die Macht wird geteilt, die Kompetenz vervielfacht. So soll es sein. Das ist der Beitrag der Kirche in Krisen. Das wollen wir feiern. Der Geist Gottes hat ein Faible für die Schwachen und hilft ihnen auf. In diesen trüben Zeiten des Krieges und der wirtschaftlichen Probleme bitten wir um Gottes Geist. Gerade wenn unsere Kraft am Ende ist. Wir hoffen auf die Geistesgegenwart angesichts kommender Herausforderungen und gegenwärtiger Mühen. Wir wissen, dass wir nur weiterkönnen, wenn Gottes Geist uns Macht teilen lässt. Sich einbringen schützt vor Murren und Gejammer. Mitmachen ist besser als sich einigeln. Ohne Gottes Geist wären wir gefangen in unseren Ängsten, Panikattacken schutzlos ausgesetzt, mutlos und wütend. Und das lähmt auf Dauer. Gottes Geist schenkt uns Zuversicht, schafft das Wunder, dass wir im Glauben weitergehen an dem Ort, an dem wir leben, und die Welt nicht aus dem Blick verlieren.
Gott hat seiner Kirche nicht den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit geschenkt. Das ist die frohe Botschaft von Pfingsten. Dem Ungeist der Unzufriedenheit und der Furcht wird der Geist der Kraft, der Liebe und des gesunden Menschenverstands entgegensetzt. Nicht eine einzige Führungskraft muss von Kraft strotzen, sondern in der ganzen Gemeinde liegt etwas von der Kraft, die es braucht, zum Durchhalten zu ermutigen. So ist es mit der Liebe und so ist es mit der Besonnenheit, die uns vor zu raschen Fehlschlüssen bewahrt. Gottes dreifach guten Geist verwalten wir nicht ängstlich, sondern teilen ihn aus, bis seine Begeisterung viele ansteckt. Kirche ist darum Gemeinschaft der Heiligen, weil Erschöpfte mitgetragen werden und niemand sich schämen muss, wenn er oder sie an Grenzen stößt. Denn Gott liebt Menschen, die um ihre Grenzen wissen und hilft ihnen auf. Darum dürfen wir fröhlich Geburtstag feiern. In der Kirche und rund herum.
Amen.

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