Pfingstmontag (10. Juni 2019)
Matthäus 16, 13-19
IntentionPfingsten als Fest der Kirche aus der Kraft des Geistes, als Fest der Menschen, die sich gerufen wissen, weiterzutragen, was verheißen ist; beauftragt, Profil zu zeigen, ermutigt durch Vorbilder.
Liebe Gemeinde,
Wir feiern Pfingsten, Fest der Kirche aus Gottes Geist, und wir tun dies heute am Pfingstmontag in ökumenischer Verbundenheit. Uns Christen verbindet das Gespür dafür, dass Kirche Vorbilder braucht, Menschen mit ihren konkreten Geschichten, die uns anregen, über das eigene Leben nachzudenken. Was uns verbindet, ist die Suche nach dem, was jeden Einzelnen im Glauben und was Kirche als Gemeinschaft trägt.
Der Text, der für die heutige Predigt vorgesehen ist, gibt eine Antwort. Er hatte eine Wirkungsgeschichte wie wenige andere. Im Laufe der Zeit gab es auch Missverständnisse. Deshalb will ich versuchen, zu dem vorzudringen, was ursprünglich gemeint sein könnte, und von dort her die Botschaft für uns heute zu entdecken. Die Bibel ist Grundlage unseres Glaubens, Glaube ist aber immer Glaube mit einer Geschichte. Schon die Bibel selbst enthält Auslegungsgeschichte, und wir sind als Kirche eine Bekenntnis- und Auslegungsgemeinschaft, immer wieder neu dem Verstehen auf der Spur und der Ermutigung, aus der Kraft des Geistes für die eigene Gegenwart weiterzutragen, was uns verheißen ist.
Ich lese aus Matthäus 16, 13-19:
„Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er sprach zu ihnen: wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn!
Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“
Jesus, der ChristusDer Ort Cäsarea Philippi liegt im Norden Galiläas, an der Grenze zwischen jüdischem und heidnischem Gebiet. Es ist die Zeit kurz vor dem Beginn des Leidensweges Jesu. Jesus möchte wissen, was über ihn geredet wird. Meinungsforschung würden wir heute dazu sagen. Die Antworten zeigen, dass viele ein Gespür für die Besonderheit Jesu haben. Und einer spricht es aus: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn.
Das erste Christusbekenntnis - eine wichtige Hilfe für die Leser und Hörer des Evangeliums zu verstehen, wer Jesus ist. Mir gefällt der Gedanke, dass das Bekenntnis auch für Jesus selbst hilfreich gewesen sein könnte. Manchmal merkt man ja erst an der Reaktion der anderen, wer man (für sie) eigentlich ist. Alle synoptischen Evangelien berichten von diesem Bekenntnis und legen es dem Simon, Jonas Sohn, in den Mund.
Petrus, der erste ChristWarum ihm? Der Jünger scheint eine hervorgehobene Position gehabt zu haben, vielleicht als Sprecher der Gruppe. Kephas nennt ihn Jesus – Schmuckstein – eine Art Ehrenname, der Vertrautheit zum Ausdruck bringt. Auch Paulus kennt und benutzt ihn, wenn er von Simon spricht. Jesus spricht Simon selig für dieses Bekenntnis. Er betont aber zugleich, dass kein Mensch ein solches Bekenntnis aus sich selbst heraus sprechen kann, sondern nur aus der Kraft Gottes. Und dann fügt der Evangelist, Matthäus, weitere Worte an, die Jesus gesagt haben soll, um diesem Apostel eine besondere Bedeutung zu geben. Es ist ein Wortspiel, bei dem der aramäische Name Kephas – Stein, Schmuckstein – ins Griechische übertragen wird: petros – Stein, Felsbrocken. „Du bist Petrus – und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“
Die theologische Forschung ist sich weitgehend einig, dass dieser Satz nicht von Jesus selbst stammen kann, denn Jesus hat nirgends sonst von „seiner“ Gemeinde gesprochen. Aber Petrus hat offensichtlich Autorität in der Gemeinde, in der Matthäus gelebt hat. Das möchte der Evangelist bestärken. Dabei geht es ihm nicht darum, Petrus auf irgendeinen Sockel zu heben oder zu glorifizieren. Denn nur wenige Verse nach dieser Verheißung steht eine scharfe Zurückweisung: Als Jesus ankündigt, leiden und sterben zu müssen, reagiert Petrus mit Abwehr: „das widerfahre dir nur nicht!“ Und Jesus fährt ihn an: „Geh weg von mir, Satan. Du bist mir ein Ärgernis.“ Petrus ist nicht perfekt, nein, er hat vieles noch nicht verstanden. Er hat noch nicht begriffen, dass Christus Leiden auf sich nehmen muss, uns zugute. Schwächen hat Petrus, wie jeder Mensch. Und wird trotzdem zum Grundstein der Kirche. Weil er der erste ist, der das grundlegende Bekenntnis unseres Glaubens ausspricht: Jesus ist der Christus, der Gesalbte, der verspricht, dass das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit kommen wird.
Die Gemeinschaft der Glaubenden als LehrgemeinschaftAber die Verheißung geht noch weiter: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“
Hier nur an Petrus gerichtet, kommt dieses Bild in Matthäus 18,18 nochmals vor und ist dort an alle Jünger gerichtet. Die Begriffe kommen aus der jüdischen Rechtssprache und waren vermutlich als Fachbegriffe bekannt, aber auch wir können leicht ahnen, was gemeint ist. Hier geht es um Schlüsselgewalt, darum sagen zu können, was richtig ist und was falsch in der Kirche, wer dazugehört und was nicht geht. Eine Kirche, in der alles möglich ist, wird beliebig – wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein, heißt es. Kirche darf nicht profillos werden, will sie in Klarheit Gottes Willen vertreten. Das Schlüsselamt ist nötig und ist nach protestantischem Verständnis im Sinne des Priestertums aller Glaubenden jedem aufgetragen, selbst wenn einige Menschen in besonderer Weise beauftragt werden, das Amt wahrzunehmen.
Die Gemeinschaft der Glaubenden als AuslegungsgemeinschaftDie katholische Kirche hat sich in ihrer Tradition auf die Hervorhebung des Petrus rückbezogen. Sie hat dabei nicht nur Petrus zu einem Felsen aus Granit gemacht, auf dem die Kirche unverrückbar steht, wie es in riesigen goldenen Lettern hoch oben von der Kuppel des Petersdoms in Rom prangt, sondern diesen Felsenanspruch auch auf das Amt des Papstes übertragen. Das halte ich für ein Missverständnis. Matthäus wollte Petrus hervorheben, den damaligen Menschen Petrus, der eine besondere Bedeutung für seine Gemeinde hatte. Auf ihm baute die Kirche auf, viele schlossen sich an, ein lebendiger Stein nach dem anderen. Aber es gibt keinen Grund, seine besondere Würde auf andere zu übertragen.
Kirche besteht als Gemeinschaft derer, die sich zu Christus bekennen. Kirche besteht als Gemeinschaft von Menschen wie Petrus. Menschen, die stark sind und schwach, eher brüchiger Kalkstein als Granit, loyal und zweifelnd, gewiss und suchend, Menschen, auf die man sich verlassen kann und die Fehler machen.
Die Gemeinschaft der Glaubenden aus Männern und Frauen auf dem WegMit Petrus fing es an, mit anderen ging es weiter, Männern und Frauen. Immer wieder gab es Glaubensvorbilder im Laufe der Kirchengeschichte, Vorbilder wie Petrus. Oder auch wie Maria, die Mutter Jesu – Von ihr wissen wir nicht viel mehr, als dass Gott sie erwählt hat, die Mutter Jesu zu sein. Sie war eine Frau, die das gab, was sie war und konnte, nicht mehr und nicht weniger. Und so ist es bei allen. Kirche wird getragen vom Wort Gottes, und von jedem Menschen, der es weiterträgt, jeder und jede an seinem, an ihrem Ort.
Das Bild einer Kirche, die sich auf felsenfeste Gewissheiten stützt und sich dabei gewissermaßen für die Ewigkeit einrichten möchte, dieses Bild stimmt nicht mehr. Das hat schon die Reformation gezeigt: Kirche darf, soll und muss sich immer wieder verändern und kann dies auch aus der Kraft des Geistes Gottes. Und für jeden Einzelnen gilt das genauso. Denn wenn Jesus einen Menschen wie Petrus beruft, dann heißt das für jeden von uns: auch du bist viel mehr als du dir zutraust. Fang neu an, glaube daran, dass Gottes Kraft in dir mächtig wird. Ich gehe an deiner Seite.
Wir feiern Pfingsten als Fest der Kirche, die aus der Kraft des Geistes aufbricht ins Leben. Wir feiern die Gemeinschaft aus Männern und Frauen, die sich untereinander verbunden wissen und gerufen. Gerufen weiterzutragen, was durch Jesus begonnen wurde, getragen von seiner Verheißung. Amen.
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