Pfingstmontag (21. Mai 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer und Studienleiter Johannes Gruner, Bad Urach [Johannes.Gruner@elkw.de]

Epheser 4, 11-16

Pfingstmontag – der Tag nach dem GeburtstagsfestLiebe Gemeinde!
Gestern haben wir das Pfingstfest gefeiert. Sehr oft wird dieses Fest als der „Geburtstag der Kirche“ bezeichnet. Erinnert wird an das große Ereignis in Jerusalem, als sich an einem einzigen Tag 3000 Menschen taufen ließen. Da muss ziemlich viel los gewesen sein. Und die Gemeinde wächst, nicht nur in Jerusalem. Es entstehen neue Gemeinden.

Doch irgendwann beginnt auch in diesen Gemeinden der Alltag. Der Tag nach der Geburtstagsfeier sozusagen. Pfingstmontag. Die Euphorie legt sich. Irgendwie muss die Gemeinde sich organisieren. Christus im Alltag lebendig machen, ist das Ziel. Zeigen, wie sich der Glaube im Alltag widerspiegelt. Das ist manchmal ganz schön anstrengend. Allein geht das vielleicht. Und zusammen mit anderen? Pfingstmontag. Das rauschende Fest ist vorbei. Im Alltag muss sich die Gemeinde als Gemeinde zeigen.

Unser heutiger Predigttext aus dem Epheserbrief zeigt eine solche frühe Gemeinde. Eine Gemeinde, die sich darum müht, ihre Gemeinschaft zu erhalten. Der Glaube soll auch nach außen gelebt und die Gemeinschaft innen gestaltet werden. Die Gemeinde soll anziehend sein. An ihr soll deutlich werden, dass sich der Glaube an Jesus Christus lohnt.

Predigttext: Epheser 4,11-16

Und er selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen, zum vollen Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.
Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.
Von ihm aus gestaltet der ganze Leib sein Wachstum, sodass er sich selbst aufbaut in der Liebe – der Leib, der zusammengefügt und gefestigt ist durch jede Verbindung, die mit der Kraft nährt, die jedem Glied zugemessen ist.

In unseren Gemeinden ist viel losUnsere Gemeinden sind eine große Ermutigung. Sehen wir nur genau hin, was es in ihnen alles gibt. Der Epheserbrief nennt Propheten, Hirten, Lehrer. Wir nennen sie Hauskreisleiterin, Kinderkirchmitarbeiter, Lobpreisband. Menschen, die dafür sorgen, dass die Gemeinden im Glauben an Gott gestärkt werden. Die dafür sorgen, dass die frohe Botschaft bei den Menschen ankommt. Jede dieser Aufgaben ist wichtig. Jede Gemeinde ist dankbar für diese Mitarbeitenden. Die Vielfalt tut gut. Sie spricht ganz unterschiedliche Menschengruppen und unterschiedliche Begabungen an. Die Band bringt einen neuen Sound! Im Hauskreis kommen wir miteinander über den Glauben ins Gespräch! Wir brauchen viel mehr Angebote für Jugendliche!

Die Zukunft unserer Gemeinde mitgestaltenUnsere Gemeinden stehen vor echten Herausforderungen. Der Kirchengemeinderat, aber auch viele aktive Gemeindeglieder fragen sich: Was ist wichtiger? Womit spricht man mehr Menschen an? Die Jugend soll gewonnen werden, hört man dann. Wo aber bleibt das Gespräch mit denen, die Glaubenszweifel haben? Oder die in Lebenskrisen stecken? Was ist wichtiger? Wer hat größere Bedeutung? Wer hat in der Gemeinde was zu sagen? Wer ist hier der Chef? Und gleichzeitig brennt es unter den Nägeln, und man fragt sich: Was ist die richtige Christusverkündigung? Wie geht man miteinander um?

Das sind Alltagsfragen in vielen Kirchengemeinden. Diese Fragen tauchen überall dort auf, wo Menschen ein gemeinsames Leben gestalten. Die Zahl der Gemeindeglieder nimmt ab. Daher gibt es neue Formen, um neue Mitglieder zu gewinnen. Manche haben ihren Reiz: Abendgottesdienste. Zielgruppengottesdienste. Neue Formen von Gemeinde. Gemeinde im Nagelstudio oder in der Kletterhalle. Jüngere Menschen erreicht man verstärkt über besondere Angebote: Kinderbibelwoche oder Theaterwochenende. Doch wo bleibt die Identität? Was ist das Richtige für uns? Ist das dann noch „unsere“ Gemeinde, wenn sich so vieles verändert?

Die Welt der Zahlen – eine Hilfe für Gemeindearbeit?Wir leben in einer Welt, die ganz von Zahlen lebt. Wie hoch ist Ihr Einkommen? Die Firmen müssen Quartalszahlen veröffentlichen und dadurch ihren Wert zeigen. Die Kirchengemeinden sollen an bestimmten Sonntagen die Gottesdienstbesucher zählen. Und die Zeitungen veröffentlichen genüsslich, wie wenig Menschen an Karfreitag in den Gottesdienst gehen. Das Tanzverbot könne an diesem Tag nicht begründet werden. Dieses Spiel mit den Zahlen lässt die Gemeinden wie im Wind umhertreiben. Der Blick auf Zahlen macht unzufrieden.

Unser Bibelabschnitt grätscht in solche Fragen hinein. Es geht um die Einheit des Glaubens, sagt er. Dies soll das Ziel sein. Wenn wir aber abwägen, was mehr und was weniger wichtig ist, dann beginnen wir zu spalten. Wenn es jedoch um die Einheit des Glaubens geht, dann kommt eine viel größere Weite in den Blick. Es ist der Blick über den Kirchturm hinaus. Dieser Blick verlässt die Kirchengemeindegrenzen. Er sieht die große Kirche. Dieser Blick ist dankbar für das, was in der Kirche Jesu Christi geschieht.

Die Liebe als Basis für GemeindearbeitIn der Gemeinde in Ephesus fragt man: Welche Form des Glaubens ist die richtige? Die Antwort: „Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe.“ Wahrhaftig sein in der Liebe. Aufrichtig sein in der Liebe. Die Liebe in den Mittelpunkt stellen. Mit dieser Liebe liebt uns Christus. Seine Liebe schaut nicht darauf, wie gut jemand dasteht. Seine Liebe kümmert sich um den Menschen. Sie kümmert sich darum, dass der einzelne oder auch eine Gruppe das bekommt, was ihr oder ihm zum Leben verhilft. Sie erkennt Menschen an, so wie sie sind. Sie achtet Menschen für das, was sie können. Jesus vergleicht nicht. Er freut sich über das, was jeder und jede kann. Die Liebe Jesu richtet Menschen auf und gibt ihnen Lebensfreude. Und genau diese Liebe ist in der Gemeinde erlebbar.

Das wirkt auf die eigene Haltung. Wo wir so die Menschen in unserer Gemeinde ansehen, da schauen wir auf die Person. Da schauen wir darauf, welche Begabungen sie hat. Wer kann und wer will sich einbringen? Vielleicht sind dann die Themen andere, als der Kirchengemeinderat auf der Klausur besprochen hat. Aber kann es nicht sein, dass Gott genau die Begabungen in einer Gemeinde entfaltet, die dort benötigt werden? Dann kann es sein, dass der so liebgewordene Kindergottesdienst im Augenblick nicht gehalten wird. Es fehlen sowieso Mitarbeiter oder Kinder oder beides.

Oder ein Computerfachmann bietet einen Smartphone-Kurs für Senioren an. Dann sind Themen im Gespräch, die bisher ausgeblendet wurden. Dann kommen Menschen zusammen, die sich zuvor nicht wahrgenommen haben. Sie kommen miteinander ins Gespräch, wie man das Smartphone am besten benützt. Und wer weiß, was sich daraus entwickelt? Sich für die Liebe Christi offenhalten heißt, Überraschungen zu erleben. An einer anderen Stelle ankommen, als man geplant hat. Und doch dankbar sein für das, was Gott mit seiner Gemeinde tut.

Die Liebe hält Unterschiede aus„Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe“, sagt der Epheserbrief. Wo wir in der Gemeinde liebevoll miteinander umgehen, entsteht etwas. Wir trauen uns gegenseitig zu, Christus in Wort und Tat in dieser Welt erlebbar zu machen. Darum helfen wir uns. Wir legen uns keine Steine in den Weg, sondern räumen sie weg. Wir denken füreinander und sind neugierig, wie es den andern geht. Und unterstützen uns gegenseitig. Wir erleben uns als Gemeinde in all ihrer Vielfalt.

Die Gemeinde ist wie ein Körper. Dieses Bild gefällt dem Apostel. Er benutzt es immer wieder. Wenn ein Körper funktionieren soll, dann müssen alle Teile gut aufeinander abgestimmt sein. Ein Körperteil unterstützt die anderen und wird selbst von den anderen unterstützt. Wirklich ein schönes Bild am Pfingstmontag. Dann, wenn der Alltag einkehrt. Wenn das Fest vorbei ist. Im Alltag zeigt sich, was funktioniert. Die Kirche funktioniert, weil alle sich an Christus ausrichten, dem Haupt der Gemeinde. Er stützt und fördert uns. Er hält auch manche Spannung aus und führt die großen Unterschiede zusammen. So können wir gelassen in die Zukunft schauen. Im Alltag mag es manchmal etwas rumpeln. Aber der Organismus lebt.

Die Kirche lebt. Sie hält die Unterschiede aus. Diese machen sie sogar attraktiv. Wir erleben uns in unserer Vielfalt. Und wir freuen uns daran. Wir freuen uns, dass wir zusammengehalten werden von dem, der uns liebt und uns zur Liebe befähigt: als Kirche Jesu Christi. – Amen.

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