Pfingstsonntag (20. Mai 2018)
1. Korinther 2, 12-16
Pfingsten – eine Verlegenheit?Ob Lukas uns mit seiner Schilderung des Pfingstfestes in der Apostelgeschichte einen Gefallen getan hat, weiß ich nicht.
Immer wieder denke ich: Seine großartige und überschwängliche Beschreibung des ersten Pfingstfestes in Jerusalem lässt uns nur den Mangel spüren.
Hochdeutsch und Schwäbisch, vielleicht noch der eine oder andere Dialekt. Aber was ist das angesichts von Phrygien und Pamphylien, Ägypten, Libyen, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien?
Klar: Auch wir sind ganz unterschiedliche Menschen. Unterschiedlich alt, ausgestattet mit ganz verschiedenen Begabungen und Talenten. Geprägt von einer ganz eigenen Lebensgeschichte.
Aber was ist das gegenüber Juden und Judengenossen, den Zwölfen und der staunend-zweifelnden Festversammlung in Jerusalem?
Und wenn wir nach dem Gottesdienst nach Hause gehen, wird wahrscheinlich fast alles so sein wie immer. Ganz anders in Jerusalem. Da wurden auf einen Schlag dreitausend Menschen an einem Tag in die Gemeinde aufgenommen.
Aus unserer geordneten württembergischen Gottesdienstordnung weht uns der Geist der Beständigkeit und vergangener Jahrhunderte entgegen. Das Gotteslob kommt uns in vertrauten Worten und Weisen von den Lippen. Und „Neue“ Lieder sind bei uns auch schon mindestens vierzig oder fünfzig Jahre alt.
Anlass, gerade an Pfingsten, ordentlich deprimiert zu werden, gibt es wahrhaftig genug!
Der Zauber des AnfangsWenn ich aber für einen Augenblick die Pfingstgeschichte des Apostels Lukas beiseiteschiebe – und den ungeheuren Anspruch, der sich mit dieser Geschichte verbindet, gleich mit dazu, dann sehe ich: So schlimm ist es nicht. Und zwar deshalb nicht, weil sich darin auch etwas ganz Normales, ganz Natürliches zeigt.
Der Anfang unterscheidet sich immer von den weiteren Verläufen. Das kann man schon am eigenen Leben hervorragend studieren. Der erste Schultag ist ein Tag voller Spannung und allerhöchster Erwartung. Die ersten Wochen sind aufregend und begeisternd. Die Sommerferien sind ewig. Das legt sich mit den Jahren, und die Ferien sind dann eigentlich immer zu kurz.
Die ersten Monate an einem neuen Arbeitsplatz sind spannend und interessant. Erst mit den Jahren erkennt man, wie wenig man am Anfang gesehen und verstanden hat.
Und auch in den Beziehungen entwickelt sich die große Romanze hoffentlich zu einer alltagsfesten und alltagstauglichen Beziehung.
Den Anfang umweht ein Zauber. Und im Rückblick verklärt er sich zunehmend. Alle Gründungsgeschichten möchten schön sein, auch wenn sie eine noch so lange, verzwickte, verschlungene und nicht selten desaströse Geschichte aus sich herausgesetzt haben.
So ist das auch bei der Kirche und ihrer Geschichte. Auch sie ist nicht ideal, sondern ist durchzogen von Treue und Verrat, von Geistbewegtheit und Geistvergessenheit.
Deshalb, liebe Gemeinde, lohnt es sich nicht, mit der Apostelgeschichte in der Hand den Zustand unserer Gemeinde und den der Kirche zu kritisieren.
Sinnvoller, weil weiterführender ist es zu fragen: Gibt es etwas, was uns mit diesem Anfang verbindet?
Bei der Antwort auf diese Frage wird uns heute Morgen der Apostel Paulus auf die Sprünge helfen. Mit einem Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief hilft er uns, nicht nur den Mangel zu spüren, sondern uns des Geschenkes neu bewusst zu werden.
Aus dem 1. Korintherbrief lese ich aus dem 2. Kapitel die Verse 12 bis 16:
„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.
Und davon reden wir auch nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.
Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden.
Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt.
Denn‚ wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen‘? (Jesaja 40,13) Wir aber haben Christi Sinn.“
Pfingsten – anders erzähltDer Apostel Paulus hat ein klares Bild im Kopf. Es gibt ein Drinnen und ein Draußen. Es gibt den geistlichen Menschen und den natürlichen Menschen.
Beide Welten haben nichts miteinander zu tun, und es gibt auch keine Vermittlung zwischen diesen beiden Welten.
So schnell ist Ordnung in eine unübersichtliche Wirklichkeit gebracht. Die natürlichen Menschen sitzen im Flugzeug oder stehen im Stau. Und die geistlichen Menschen? Die haben sich hier versammelt und feiern Pfingsten.
Aber geht das so einfach?
Natürlich sind uns allen das Einteilen und das Einsortieren in Schubladen nicht fremd. Wir denken gerne in Alternativen.
Aber wir wissen auch, dass die einfachen Alternativen meistens nicht stimmen. Und die Einteilung des Paulus birgt in sich die Gefahr einer gewaltigen Selbstüberhebung. Der Schritt zur bornierten geistlichen Rechthaberei ist da nicht weit.
Liebe Gemeinde, ich bin überzeugt, dass wir sehr genau hinhören müssen, in welchem Ton Paulus hier zu den Korinthern spricht.
Es ist ja ein gewaltiger Unterschied, ob Paulus „die anderen“ einfach abkanzelt oder abstempelt, um sich besser zu fühlen. Oder ob er eine verzagte Gemeinde trösten und ermutigen will.
Es macht einen großen Unterschied, in welcher Situation von Macht oder Ohnmacht die Worte des Paulus gesagt und gehört werden.
Und vielleicht müssen wir uns wirklich das Christentum bar jeder politischen Macht und gesellschaftlichen Stellung vorstellen, um die Aussage des Paulus verstehen zu können.
„Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, damit wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist.“
Das ist ein Satz des Trostes und der inneren Vergewisserung. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf.“ Als geistliche Menschen sind wir eben auch natürliche Menschen und haben Anteil an aller Trost- und Hoffnungslosigkeit unserer Zeit.
Dass es aber dennoch noch etwas anderes in unserem Leben gibt – eine andere Sprache, eine andere Hoffnung – das ist nicht unser Verdienst, sondern der Geist Gottes, der in uns wirkt.
Er macht, dass wir Christus im Sinn haben …
Das macht uns frei und unabhängig. Auch frei und unabhängig vom Urteil anderer.
Pfingsten, liebe Gemeinde, ist – so gesehen und so verstanden – sensationell und unspektakulär zugleich.
Sensationell deshalb, weil der Geist Gottes uns Christus in den Sinn gibt. Unser Kopf ist nicht nur leer und schwer. Unsere Gedanken sind nicht fixiert und damit starr gemacht auf Ziele, die uns ums Leben bringen. Wir können anderes denken. Wir können glauben. Wir können hoffen. Wir können das Richtige tun. Wir können uns an Christus orientieren. An ihm Maß nehmen. Gesinnt sein wie er!
Unspektakulär ist diese Wirkung des Geistes Gottes, weil sie äußerlich gesehen erst einmal keinen großen Unterschied macht. Das Entscheidende geschieht verborgen – den Blicken und dem Urteilen der Menschen entzogen.
In uns wird etwas anders durch den Geist Gottes. In uns wird etwas neu. So merken wir: Wir sind in der Welt, und doch nicht von dieser Welt. Wir sind diesem Leben verhaftet, und haben doch einen anderen Blick.
Wir sind hier zu Hause, und bleiben doch fremd. Bleiben solche, die sich nicht einpassen wollen und nicht einpassen können.
Pfingsten ist: Christus im Sinn habenWer Christus im Sinn hat, liebe Gemeinde, der denkt und lebt, der handelt und hofft über sich hinaus.
Wer Christus im Sinn hat, der lobt Gott. In der Sprache, in den Worten, die ihm der Geist gibt.
So entsteht ein Chor. Aus vielen Stimmen, Klängen, Lauten. Ein Chor aus allen Völkern. Einzelne finden zusammen und bilden eine Gemeinde. Nicht mit Zwang. Sondern aus freien Stücken. Inspiriert vom Geist Gottes, der uns ergreift. Und damit sind wir schon fast wieder in Jerusalem. Auf jeden Fall ist die Erfahrung, die die Apostel damals in Jerusalem machten, nicht meilenweit von uns entfernt, sondern ganz nahe.
Amen.
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