Palmarum / Palmsonntag (09. April 2017)
Pfarrerin Katrin Büttner, Stuttgart [Katrin.Buettner@elkw.de]
Markus 14, 3-9
Liebe Gemeinde!
Aus dem frisch bepflanzten Beet an der Stadtbahnhaltestelle leuchten mir Tulpen entgegen, und die Frau neben mir kommentiert bewundernd die Farbenpracht: „Wie schön! Wie gut, dass sie nicht auch noch daran sparen!“
Wie schön, wenn an Schönheit nicht gespart wird!
Auch die Natur im Frühling ist ja nicht sparsam. Verschwenderisch hält sie Einzug in diesen Tagen. Ein Blick aus dem Fenster, ein paar Schritte aus dem Haus – und ich bin umgeben von Grün in allen Schattierungen, von Farbenspiel, weißem Blütenschaum und betörendem Duft.
Es ist, als freunde sich die ganze Schöpfung von neuem mit uns an und wolle uns nach langer karger Brachzeit wecken, verzaubern. Wir lassen uns herauslocken aus den Mauern, schütteln die Winterstarre ab und wagen tiefe erfrischende Atemzüge.
Empörende VerschwendungEtwas Frühlingshaftes kommt auch mit dem Evangelium zu uns, das wir gehört haben von jener namenlosen Frau in Bethanien.
Etwas Frühlingshaftes gewinnt Raum im Hause des Simon, wo Jesus zu Gast ist. Mit ihrem Alabastergefäß betritt die Frau die Szene, zerbricht das Fläschchen, und das kostbare Nardenöl umspielt die Anwesenden mit seinem Wohlgeruch. Der Duft der Verschwendung breitet sich aus.
Es wird nicht gespart an Luxus und Liebe. Überfluss ist da, so viel, so kostbar, so ungewohnt.
Der Todesschatten, der schon auf Jesu Weg fällt, wird noch einmal zurückgedrängt.
Aber für einen Moment steht diese Schönheit auf dem Spiel. Die Augenzeugen protestieren. Die geschlossene Gesellschaft reagiert allergisch auf den Duft der Verschwendung. Den Männern, die da zu Tische sitzen, muss der Auftritt der Frau verwirrend skandalös erscheinen. Vielleicht sind sie auch verlegen, peinlich berührt von dem Hauch der Erotik.
Da fällt ihnen nichts anderes ein, als sich über die maßlose Vergeudung zu ereifern.
Umso mehr als kurz vor dem Passafest der Gedanke an die Armen und die Linderung ihrer Not besonders geboten ist. Da kann man sich schon aufregen, wenn innerhalb einer Minute der Jahreslohn eines Arbeiters vernichtet wird und sich buchstäblich in Luft auflöst.
Das teure Salböl! 300 Denare hätte man dafür bekommen und viele Bedürftige wären satt geworden. Ist solches Handeln nicht unmoralisch und verwerflich?
Bedenkliche VerschwendungDie Unruhe im Raum ist nachvollziehbar.
Denn dass es gedankenlose Verschwendung gibt, wissen wir alle. Wir kennen den Luxus, der auf Kosten der andern geht.
Wir erschöpfen die Ressourcen des Lebens auf vielen Gebieten und beuten gedankenlos das Morgen aus.
Wie leicht lässt sich im selbstverständlichen Wohlleben ausblenden, dass weiter weg sich Menschen verzehren im Kampf ums Überleben, im Hunger nach Brot und Freiheit.
Oder ganz in der Nähe.
Immer mehr Arme auch in dieser Stadt – und immer mehr Reiche, die es sich leisten können, nicht zu rechnen, für die Geld keine Rolle spielt.
Wie tief diese Kluft werden kann, zeigt sich in folgender Szene, kürzlich in der Zeitung zu lesen. Titel „To have money to burn“. Ein Jura-Student aus Cambridge, in Frack und Stehkragen unterwegs zu einem Festessen, zieht eine 20 - Pfundnote aus der Tasche, winkt damit einem Obdachlosen zu und – zündet den Geldschein an. – Geld wie Heu hat er, und es gefällt ihm, das zu demonstrieren. Ein Sturm der Empörung im Internet traf den jungen Mann.
Auch die Empörung unserer Augen- und Nasenzeugen der Salbung wäre hier vollkommen am Platz. Denn Arroganz und Verachtung herrschen hier; dort in Bethanien aber erleben wir eine liebevoll-zärtliche Geste.
Auch sie leistet es sich, nicht zu rechnen. Ihr überschwängliches Handeln blendet das Leid aus. Sowohl die drohende Gefahr für Jesus, wie auch Mangel und Not der Vielen. Außer Kraft gesetzt ist das Rechnen und Räsonieren, die Pflicht und das Sollen. Aber gleich wird es wieder laut in den Stimmen der Kritiker, die sich über die Eindringlingin ärgern und sie barsch zurechtweisen.
Heilsame VerschwendungDoch: „Lasst sie in Frieden! Hört auf!“ nimmt Jesus die Frau in Schutz.
Er weist ihre Kritik zurück, nicht weil ihm die Armen gleichgültig wären – er selbst ist ja in diesem Moment der Arme, der die Wohltat braucht. Er spürt, wie heilsam diese Verschwendung ist, wie nahe an seinem Weg. Wie genau bezogen auf das, was ihm bevorsteht. „Sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis.“
Die nahe Todesstunde wirft ihren Schatten voraus. Jesus scheint es zu wissen. Wir können es nachlesen, das ist die unerbittliche Klammer um die Salbung in Bethanien: Die führenden Priester beschließen seinen Tod. Und Judas wird ihnen in die Hände arbeiten und den Freund verraten.
Was hier geschieht, ist viel mehr als ein gutes Werk. – Nach jüdischem Gebot sind Bestattung und Salbung der höchste Liebesdienst, der einer Person erwiesen werden kann. Es ist der wahre Liebesdienst, weil man dabei nicht auf eine Vergeltung der Wohltat wartet. Er rechnet sich nicht, ist ganz umsonst. Und doch nicht vergeblich.
Und darum mehr als ein gutes Werk. Tatsächlich ist im griechischen Text die Rede von einer schönen Tat.
Wodurch wird sie schön – diese Tat?
Jesus selbst sagt: „Sie hat getan, was sie konnte“ – sie war mit ihrer ganzen Person, mit ihrem Wesen dabei. Sie hat nicht nur etwas sehr Teures und Kostbares geschenkt, sondern sich selbst.
Etwas in ihr ist aufgebrochen, eine Quelle kommt ins Fließen, die großzügig und verschwenderisch sein lässt. Die Herzenssparsamkeit wird überwunden. Sie hat sich nicht gefragt: Was kostet es, was nützt es, wie sieht das aus, wie wirkt das, was wird diese Männerrunde von mir denken?
Sie redet nicht von den vielen Armen, sondern ist ganz Tat für den Einen. Ihm will sie wohltun auf seinem schweren Weg. Nur jetzt ist die Zeit für diese schöne bedenkenlose Tat – nicht aufschiebbar ist sie, nicht wiederholbar.
Heilige VerschwendungSo rührt die Frau mit ihrer Passion, mit ihrer Leidenschaft, an die Passion Jesu.
Im Hause Simons spielt sich diese Szene ab, eines Mannes, der vom Aussatz geheilt wurde. Wohl von Jesus. Der Gastgeber weiß, was es heißt, mit dieser Krankheit geschlagen zu sein: isoliert und vom Leben in der Gemeinschaft ausgeschlossen, umstellt von unsichtbaren Verbotstafeln: Vorsicht, nicht anfassen, Abstand halten, Ansteckungsgefahr! Erinnerungen an Berührungsangst und an ganz andre Gerüche gibt es in diesem Haus, den Geruch der Krankheit, des Todes, – aber eben auch die Erinnerung an die heilende Berührung, die Jesus wagte und die zurückholte ins Leben.
Und nun die Berührung der namenlosen Frau. Mit der kostbaren Essenz tut sie nicht nur einem wohl, der schon so gut wie tot ist. Sondern sie ehrt auch die Kostbarkeit dieses Lebens und was von ihm ausgeht an heilenden und rettenden Berührungen. Sie ehrt einen, dessen Worte und Gesten für so viele zu Balsam wurden: für Haut und Leib und Seele, für die verfahrenen Lebensläufe und gestörten Beziehungen.
Er ist der Kronzeuge für die bedenkenlose, bedingungslose, verschwenderische Liebe Gottes. Dafür steht er ein mit seinem Leben, koste es, was es wolle.
Er wird preisgegeben, verraten, verlassen. Aber in der Preisgabe wirkt seine Hingabe, die überfließt und vor keiner Grenze Halt macht, die hinausreicht über das schöne und gute Leben. Seine Passion, sein Leiden zeigt die Leidenschaft für alle Menschen, besonders und „allezeit“ die Armen.
Gedenkenswerte Verschwendung – Zeichen aus der ZukunftZu ihm, zu dieser frohen Botschaft, gehört die namenlose Frau. „Wo immer das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird auch das, was sie getan hat, erzählt werden zu ihrem Gedächtnis.“
Sie hat getan, was sie konnte. Und wusste zugleich nicht, was sie tat. Konnte nicht die ganze Bedeutung ihres Tuns ermessen. Salbt den Messias und nimmt vorweg, wozu die Frauen am Ostermorgen zu spät kommen. Diese erst erfahren von einer Liebe, die stärker ist als der Tod. Erst von hier aus ist diese schöne Tat ganz zu verstehen, als ein „Zeichen aus der Zukunft“.
Wir erinnern uns, auch wenn wir ihren Namen nicht kennen.
An Düften haften ja die stärksten Erinnerungen. So auch an diesem Duft heiliger Verschwendung, der unsere geschlossene Welt öffnet: die Gefäße der Vorsicht oder der Mutlosigkeit, die Krusten des Grolls und des Misstrauens, den Panzer der Angst, ja die ganze verschlossene Welt unseres Todes.
Draußen verzaubern die Blüten des Frühlings leise und verschwenderisch die Welt. Und eine schöne Tat umspielt unseren manchmal so kargen und sparsamen Glauben mit einer Atmosphäre, die uns aufatmen lässt. Ein feiner Duft, der durch die Zeiten zieht und belebt: mit Leichtigkeit, mit Staunen und verschwenderischer Freude. Amen.
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