Palmarum / Palmsonntag (20. März 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrerin und Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach [stephanieloeffler@t-online.de]

Philipper 2, 5-11

Liebe Gemeinde,
wir stehen heute am Palmsonntag nicht mehr weit entfernt vom Kreuz. Unser Weg führte uns von der Krippe und dem Weihnachtsfest durch die Passionszeit. Das Ziel ist Ostern, das Fest der Auferstehung.
Heute am Palmsonntag denken wir an Jesus, den Schmerzensmann. In dem Predigttext, dem großartigen Hymnus aus dem Philipperbrief wird Gottes Erscheinen in Jesus, dem Christus, besungen.

Was ist das für eine Maskerade?Er, der in göttlicher Gestalt war, entäußerte sich selbst, erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an und wurde ein Mensch, und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Was ist das für ein Spiel? Was für eine Maskerade! Reizvoll durchaus, sich für ein paar Stunden zu verkleiden und unerkannt durch die Welt zu gehen. So lieben es viele Karnevalisten, auch die ruhigen, die mit einzigartig kunstvoll maßgeschneiderten Roben nach Venedig reisen und hinter ihrer starren, weißen Maske durch das nebelverschleierte Venedig wandern und ein beliebtes Motiv für jeden Fotografen darstellen.
Götterscherze in der antiken Welt
Aber auch von Göttern wird in der antiken Welt berichtet, dass sie hier und da verkleidet bei den Menschen auftauchten. In den „Metamorphosen“ von Ovid wird erzählt, dass Jupiter und sein Sohn Merkur als struppige Wanderer verkleidet zu den Menschen auf die Erde kommen. Sie wollen herausfinden, wie es mit der Gastfreundschaft der Menschen bestellt ist. Und wie so oft schneiden die Reichen schlecht ab und sind nicht allzu freundlich. Herzliche Gastfreundschaft hingegen erleben die verkleideten Götter bei dem armen alten Ehepaar Philemon und Baucis. Die beiden ahnen anfänglich gar nicht, dass sie es mit Göttern zu tun haben und tun ihr Bestes. Dafür werden sie belohnt. Die Götter verschwinden nach diesem Intermezzo wieder, und wir ahnen, es hat ihnen Spaß gemacht, sich zu verkleiden. Es war aber Maskerade, Mimikry. Und sie entschwinden schnell wieder zum Olymp und schütteln sich den irdischen Staub von den Götterfüßen. Sie naschen wieder von der Götterspeise Ambrosia und schlürfen ihren Nektar. Sie leben eben nicht vom Brot allein…
Solche Geschichten kursierten in der damaligen antiken Welt. Und auch die Leute in Philippi kannten solche amüsanten Göttergeschichten der Römer und der Griechen.

Paulus lobt Jesus Christus im HymnusUnd hinein in diese Welt schreibt Paulus seinen Hymnus, der Jesus, den Christus, lobt.
Paulus Herz brennt für Jesus Christus, den alle bekennen sollen als den Herrn, wie der Schluss des Hymnus lautet.
Warum? Wie kommt Paulus zu dieser Hymne?
Paulus kommt nur durch den Glauben zu seiner Einsicht. Der Gott, den er verkündet, kam nicht zum persönlichen Amüsement auf die Erde. Es war keine Maskerade, keine Mimikry. Es war kein verkleideter Gott, der mal nachsehen wollte, was die Menschen so treiben.
Sondern Gott hat in Jesus Christus wirklich menschliche Gestalt angenommen, mit allen Konsequenzen. Er hat menschlich gefühlt und gelitten. Er hat wirklich gegessen und getrunken, er war müde an Körper und Seele, wie wir das auch kennen. Er hat wirklich Schmerzen erlitten, nicht nur so getan als ob. Die Folterqualen am Kreuz haben ihn wirklich gepeinigt, und er hat wirklich geblutet, gelitten, geweint und gejammert vor Schmerz.
Paulus hat es in der damaligen Welt nicht leicht, diesen Gott, Jesus Christus, zu vermitteln. Denn die antike Welt kannte Götter und Göttinnen als heldenhaft. Große Statuen zierten die Plätze der Römer und zeigten die Stärke der Götter. Ein Schmerzensmann wie Jesus Christus hatte es hier schwer.

Das Neue an der Botschaft des PaulusWas ist neu an der Botschaft, die Paulus in seinem Hymnus verbreitet?
Neu ist, dass es sich in Jesus Christus um einen Gott handelt, der aus Liebe zu den Menschen kommt und nicht aus Spaß und Gaudi. Neu ist, dass es kein verkleideter Gott im Menschenkostüm ist, sondern ein Gott, der wirklich menschliche Gestalt angenommen hat mit allen Konsequenzen. Neu ist, dass dieser Gott vor Liebe zu den Menschen brennt und die Menschen vor dem ewigen Tod bewahren will. Deshalb nimmt er den Tod am Kreuz auf sich, um uns Menschen damals wie heute vor dem ewigen Tod, der alle Beziehungen abschneidet, zu bewahren.
Neu ist, dass sich dieser Gott wirklich für uns Menschen interessiert und sich um jeden einzelnen Menschen kümmert.
Das waren für die Menschen in Philippi völlig neue Töne. Wenn sie diese Botschaft mit offenen Ohren und Herzen hörten und annahmen, dann wurden sie frei. Frei davon, nach dem wahren Gott zu suchen. Frei davon, sich selbst immer wieder neue Götter zu erfinden. Frei davon, nur auf sich selbst zu vertrauen.

Wie geht es uns heute mit dieser neuen Botschaft?Und wie geht es uns heute mit diesen Tönen? Dass Gott zu uns kommt aus Liebe zu uns, um uns frei zu machen? Frei vom ewigen Tod und frei von der dauernden Suche nach Sinn und Erfüllung?
Ganz ehrlich, auch der moderne Mensch ist doch dauernd auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Abenteuer, nach Erfüllung, nach dem ultimativen Kick und dem echten Hype.
Auch wir stilisieren manchmal unser Vermögen oder unsere Karriere, unsere Familie oder unseren Betrieb, unsere beruflichen Ziele, unser tolles Hobby oder unser teures Auto zum alleinigen Sinninhalt unseres Lebens. Damit formen wir uns auch kleine Götterstatuen, im übertragenen Sinn, die wir auf Podeste stellen. Andere sollen sie bewundern und bestaunen.
Aber dann und wann merken wir Menschen, dass sich das leer anfühlt und nicht hält, was es verspricht. Und dann bricht in uns eine Sehnsucht auf nach etwas Größerem, etwas Beständigem, etwas Wahrem.
Und beim genauen Hingucken fällt uns dann auch auf, dass wir oftmals unser Herz und unsere Kraft auf etwas Vergängliches und Brüchiges richten. Und dass wir zu sehr darauf fokussiert sind und dadurch auch unfrei werden. Unfrei, Neues zu hören. Unfrei, Neues zu wagen. Unfrei, Neuem zu vertrauen.

Paulus wirbt um die Philipper und um unsFür Paulus ist klar, dass er für den einzig wahren Gott wirbt. Für den ultimativen Gott. Er drückt es so aus: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind…“
Interessant ist hier auch, dass Paulus von einer Lebenswelt auf drei Ebenen ausgeht: der Himmel, die Erde und ein Bereich unter der Erde.
In allen drei Lebenswelten soll Jesus Christus als der Herr anerkannt und verehrt werden. Durch das gemeinsame Verehren, kehrt auch Friede ein zwischen diesen drei Lebenswelten, weil sie eben den gleichen Herrn haben, so denkt sich das Paulus. Und alle diese drei Lebenswelten sind für den Einfluss durch Jesus Christus offen. Er kann also überall wirken. Deshalb wird er auch zum Herrn der Welt. Und deshalb sollen sich alle Knie vor ihm beugen. Und deshalb sollen alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters, wie Paulus am Ende des Hymnus schreibt.

Wer ist unter der Erde?Eine Frage am Rande beschäftigt mich hier: Wer ist damit gemeint: unter der Erde? Zwei Ansätze habe ich für mich gefunden. Zum einen sind vielleicht alle die gemeint, die verstorben sind, aber auf das Jüngste Gericht und die Auferstehung warten. Auch sie gehören zum Kreis derer, die Jesus Christus als Herrn bekennen sollen.
Zum anderen sind vielleicht auch dunkle Mächte gemeint. Alles, was wir aus dem riesigen Bereich des Spiritismus und Okkultismus kennen. In den Buchhandlungen gibt es oft meterweise Bücher zum Thema: Lebenssinn und Gesundheit. Und längst nicht alles, was dort angeboten wird, ist mit einer christlichen Lebensführung zu vereinbaren. Es gibt viele Menschen, die ihr Heil, ihre innere Ruhe, ihre Genesung an Leib und Seele in die Hände dunkler Mächte geben. Das können spezielle Praktiken sein, Riten, Heilungsansätze und auch Personen, die die Sehnsucht und Suche der Menschen kommerziell ausnützen, indem sie Heilung und Linderung versprechen. Solche verborgenen Mächte gab es damals, und sie gibt es heute. Und sie können Menschen ergreifen, ich würde sagen: Sie manipulieren Menschen.
Wer sich aber mit vollem Herzen zu Jesus Christus bekennt, ist sozusagen frei davon, sich auf einen solchen Spuk einzulassen.
Warum? Weil er weiß, wohin er gehört und wem er wirklich trauen kann. Weil er fühlt, glaubt und weiß, dass er es mit Jesus Christus mit einem wahren Gott zu tun hat, der aus Liebe zu uns Menschen Mensch geworden ist. Und weil er als bekennender Christenmensch daran glauben kann, durch den Tod Jesu Christi am Kreuz dem ewigen Tod, der radikal alle Beziehungslosigkeit bedeutet, die man sich nur denken kann, entzogen ist. Wer an Jesus Christus glaubt, ist berufen zur Auferstehung und zum ewigen Leben in Gottes Reich.
Wer an Jesus Christus glaubt, braucht den Tod des Leibes nicht zu fürchten, weil er von der Hoffnung auf die Auferstehung getragen ist.

Eine Aufforderung zum SchlussAls gläubige Gemeinde sind wir aufgefordert, so zu leben, wie es auch der Gemeinschaft in Jesus Christus entspricht.
Mit dieser Aufforderung steigt Paulus in seinen Hymnus ein: „Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht.“
Wenn wir es mit einem Gott der Liebe zu tun haben, dann kann die kurze Formel für uns sein: Begegnet einander liebevoll. Ohne Gewalt. Ohne Entzug der Freiheit. Strebt ein Maximum an Gerechtigkeit an und lasst dabei weder die Umwelt noch die nachfolgenden Generationen aus dem Blick geraten.
Wenn wir uns so zu Jesus Christus bekennen, an ihn glauben und uns zu ihm halten, dann haben wir für uns den richtigen Weg eingeschlagen und werden eine gute Antwort auf die Aufforderung des Paulus mit unserem Leben geben.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Liedempfehlung nach der Predigt: EG 342, 1-7 Es ist das Heil uns kommen her.

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