Ostersonntag (21. April 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrer i.R. Reinhard Mayr, Fellbach [ramayr@outlook.de]

Johannes 20, 11-18

IntentionMein Anliegen bei dem Johannestext ist es, das Osterevangelium ungeteilt, also
Kapitel 20, 1- 18 zu Gehör zu bringen – mit Schwerpunkt freilich auf die Begegnung Jesu mit Maria. Zu sehr sind für mich alle drei Osterzeugen (Petrus, Lieblingsjünger und Maria) und ihre spezifischen Reaktionen auf das Geschehen miteinander verbunden, als dass ich den ersten Teil der Geschichte hätte weglassen wollen.
Die Verse 1-10 könnten natürlich auch als Schriftlesung vorgetragen und dann im ersten Abschnitt der Predigt ausgelegt werden.


Hören wir, liebe Gemeinde, das Osterevangelium des Evangelisten Johannes, den ersten Teil:

Johannes 20, 1-10: Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. 2 Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 3 Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. 4 Es liefen aber die beiden miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab, 5 schaut hinein und sieht die Leinentücher liegen; er ging aber nicht hinein. 6 Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in das Grab und sieht die Leinentücher liegen, 7 und das Schweißtuch, das auf Jesu Haupt gelegen hatte, nicht bei den Leinentüchern, sondern daneben, zusammengewickelt an einem besonderen Ort. 8 Da ging auch der andere Jünger hinein, der als Erster zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. 9 Denn sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste. 10 Die beiden Jünger gingen nun wieder nach Hause.

Ostern – setzt Menschen in BewegungJohannes hat eine besondere Art, von Ostern zu erzählen: Da gibt es kein Erdbeben und keine zerbrechenden Felsen. Auch keine panische Flucht der Frauen vom Grab weg. Es ist auch nur eine Frau, Maria aus Magdala, die zum Grab des Gekreuzigten geht. Freilich wartet auch auf sie ein Schock: das Grab ist leer und sie weiß jetzt nicht, wo der Leichnam Jesu liegt. Das ist für sie furchtbar, denn jetzt hat sie keinen Ort mehr, wohin sie mit ihrem Kummer und ihrer Trauer hingehen kann. Schnell kehrt sie zurück zu ihren Freunden, zu den Jüngern und Jüngerinnen Jesu. Sie trifft Petrus und einen anderen Jünger, denen sie alles erzählt. Und die beiden Männer lassen sich von ihrem Bericht sofort im Bewegung bringen: „Petrus und der andere Jünger (gingen) hinaus, und sie kamen zum Grab.“ Dabei liefern sie sich einen Wettlauf: Petrus, zur damaligen Zeit schon für viele Gemeinden Symbolfigur der urchristlichen Kirche, Petrus hat Konkurrenz bekommen. Johannes erzählt, dass ein zweiter Jünger mit auf dem Weg war. Auf ihn stützt sich sein Evangelium als „Augenzeuge“: „der Jünger, den Jesus besonders liebhatte“. Einer, zu dem Jesus offensichtlich eine besonders große persönliche Nähe hatte. Und der gewinnt an diesem Ostermorgen zweimal. Einmal den Wettlauf zum Grab. Vor Petrus ist er da. Ein kurzer Blick von außen auf die Fakten genügen ihm. Das Grab ist leer, die Leichentücher als letzte irdische Hüllen Jesu sind abgelegt, Jesus hat damit nichts mehr zu tun. Und da gewinnt er zum zweiten Mal: Er sah und glaubte. Er hat jetzt schon begriffen, wozu der andere noch eine Weile brauchen wird: Jesus ist nicht im Grab und im Herrschaftsbereich des Todes geblieben. Gott hat ihn auferweckt und so ins Recht gesetzt. Der Gekreuzigte und GOTT gehören aufs Engste zusammen, in alle Ewigkeit. Die Zeit der Hoffnungslosigkeit und der lähmenden Trauer ist für diesen Jünger schon jetzt vorbei. Petrus hingegen braucht dazu noch ein Weilchen. Er muss eigens in die Kammer, wahrscheinlich muss er auch alles erst ein-mal anfassen. Beide Jünger gehen nach ihrem Besuch am Grab aber wieder vereint nach Hau-se. Am Abend dieses denkwürdigen ersten Ostertages wird ihnen allen dann Jesus erscheinen und sie mit seinem Heiligen Geist ausrüsten. Zunächst einmal bleibt aber Maria alleine am Grab zurück.
Hören wir die Ostergeschichte weiter:

Johannes 20, 11-18: 11 Maria aber blieb draußen vor dem Grab stehen; sie weinte. Und während sie weinte, beugte sie sich vor, um ins Grab hineinzuschauen. 12 Da sah sie an der Stelle, wo der Leib Jesu gelegen hatte, zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen am Kopfende und den anderen am Fußende. 13 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragten die Engel. Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben.« 14 Auf einmal stand Jesus hinter ihr. Sie drehte sich nach ihm um und sah ihn, erkannte ihn jedoch nicht. 15 »Warum weinst du, liebe Frau?«, fragte er sie. »Wen suchst du?« Maria dachte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir bitte, wo du ihn hingelegt hast, dann hole ich ihn wieder.« - 16 »Maria!«, sagte Jesus. Da wandte sie sich um und rief: »Rabbuni!« (Das bedeutet »Meister«). 17 Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater in den Himmel zurückgekehrt. Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen, dass ich zu ihm zurückkehre – zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.« 18 Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. »Ich habe den Herrn gesehen!«, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.

Ostern – lässt Tränen zuWas Johannes da erzählt, gehört zu den faszinierendsten und zartesten Beziehungsgeschichten der Bibel. Eine Ostergeschichte, die sich ganz in der Begegnung zwischen Maria und dem Auferstandenen abspielt. Maria ist zunächst mit ihrer Trauer wieder allein. Sie weint. Ob es ihre Tränen sind, die sie für die nun folgende Begegnung mit dem Auferstandenen öffnen und Neues in Gang bringen? Tränen haben ja oft eine lösende, befreiende Funktion. Wir brauchen uns ihrer nicht zu schämen. Durch ihre verschleierten Augen hindurch nämlich SIEHT Maria. Ein Wort (theorein), das auch ein übernatürliches Sehen, einen innerer Erkenntnisprozess meinen kann. Sie SIEHT zwei Engel, zwei Gottesboten im Grab sitzen. Alles was diese auszurichten haben, ist die besorgte und liebevolle Frage: »Warum weinst du, liebe Frau?« Die Boten Gottes – ob in weißen Himmelsgewändern, ob in Kittelschürze oder Blaumann – brauchen nicht viele Worte, um Heilsames zu bewirken, wenn sie nur eine Portion liebevolle Zugewandtheit und Fürsorge mitbringen. Maria bringt ihren Kummer vor: »Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gebracht haben.« Dreimal trägt sie diese Sorge in der Geschichte vor. Man spürt, wie sehr ihre Trauer sie noch so gefangen hält, wie sehr ihre Gedanken sich im Kreise drehen. Sie sitzt in einem emotionalen Loch – wie so viele, wenn sie trauern. Um einen geliebten Menschen, um eine Hoffnung, die zerbrach oder um sonst einen Verlust, den wir schmerzhaft spüren. Wir sind wie benommen, die Gedanken kreisen um die immer selben Vorgänge. Solange, bis einen dort in der Trauer wieder jemand erreicht.

Ostern – öffnet die AugenSo, wie es jetzt Maria erfährt: Es steht plötzlich jemand hinter ihr. Eine Stimme, die gleich liebevoll wie die Engel nach dem Grund ihres Weinens fragt und danach, wen sie sucht. Obwohl es, wie Johannes den Lesern gleich verrät, Jesus ist, der da steht, erkennt Maria ihn nicht und hält ihn für den Gärtner. Für mich eine sehr gelungene Situationsbeschreibung von Menschen in der Trauer. Ich kenne das und Sie vielleicht auch: Wie sie dasitzen mit ihrem Verlust und ihren Sorgen. Wie sie meinen, mit all der Last alleine zu sein und gar nicht merken, dass Gott längst hinter ihnen steht. Vielleicht in einer Gestalt, in der sie ihn nicht erkennen oder übersehen. Wie oft sind wir Menschen blind und taub dafür, dass längst wahr ist, was wir glauben und hoffen, was wir beten und singen: dass Gott uns ins Leben zurück ruft und uns befreien möchte von unserem Kummer und unseren Lasten.
Für Maria wird es in dem Augenblick Ostern, als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht: MARIA. Jetzt SIEHT sie, dass der Tote, den sie sucht, lebt. All die Liebe und Versöhnung, all die Lebensfreude und Hoffnung, die Jesus weiter gab, sind nicht in einem Grab versunken. Sie bleiben eine lebendige Kraft, an der auch Maria Anteil bekommt. Aber sie kann den Auferstandenen nicht für sich selbst wie einen Beweis festhalten und religiöse Gewissheit sichern. „Halte mich nicht fest“, sagt Jesus. Damit verweist er auf die Grundhaltung des Glaubens: auf das Vertrauen in die Gegenwart und Macht Gottes.

Ostern – ruft ins LebenAuch Ostern lässt sich nicht beweisen. Aber das leere Grab, die Berichte von Erscheinungen Jesu und die Überwindung der Depression unter den Jüngern nach dem Karfreitag sind deutliche Hinweise: Ostern beschreibt eine Wahrheit. Ein Geschehen, das Maria neu ins Leben und in ihre Beziehungen zu andern ruft. Zurück zu ihren Freundinnen und Freunden. „Da ging Maria aus Magdala zu den Jüngern zurück. ‚Ich habe den Herrn gesehen!‘, verkündete sie und erzählte ihnen, was er zu ihr gesagt hatte.“
Wie gut, liebe Gemeinde, dass die ersten Christen diese Ostergeschichte dann auch weiter erzählt haben, wie Maria und all die andern Osterzeugen. Wie gut, dass diese Geschichte Kreise zieht bis heute, wo Christen auf der ganzen Welt nicht auf ein leeres Grab starren. Stattdessen ruft sie der lebendige Menschenbruder Jesus, der auferstandene Christus zum Glauben und ins Leben. Wie gut, dass sie bis heute die österliche Hoffnung weitergeben, dass wir Menschen nicht dem Tod gehören, sondern dem lebendigen Gott! Amen.


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