Ostersonntag (01. April 2018)
Pfarrer Christof Weiss-Schaut, Bretzfeld [Christof.Weiss-Schautt@gmx.de]
1. Samuel 2, 1-8
Liebe Gemeinde!
Ostern im Alten Testament?
Eine wunderbare „Ostergeschichte“ aus der hebräischen Bibel steht heute im Mittelpunkt. Ja, Sie haben recht gehört. Lange vor dem Ostermorgen, an den wir heute denken, ist es für eine verzweifelte Frau Ostern geworden, neues Leben wurde ihr geschenkt, so dass sie singen kann:
Und Hanna betete und sprach:
Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn,mein Horn ist erhöht in dem Herrn.
Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.
Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.
(Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der Herr ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen.
Der Bogen der Starken ist zerbrochen,und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.
Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin.)
Der Herr tötet und macht lebendig,führt ins Totenreich und wieder herauf.
Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.
Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.
(1.Samuel 2, 1-2(.3-5).6-8a)
So singt Hannah, die Frau des ElkanaGanz lapidar heißt es von ihr im 1. Buch Samuel: Elkana hatte zwei Frauen; die eine hieß Hannah, die andere Peninna. Peninna aber hatte Kinder und Hannah hatte keine Kinder.
Peninna ließ sie das deutlich spüren, bei jeder Gelegenheit verspottete sie Hannah. In der wachsenden Familie wurde sie immer mehr an den Rand gedrängt.
Und Hannah? Sie wurde immer verzweifelter. Sie verlor den Lebensmut.
Für sie gab es nur noch dieses eine Thema: Ich habe keine Kinder, deshalb bin ich nichts wert.
Ihr Mann wusste sich nicht mehr zu helfen. Er liebte sie, doch Hannah schien es in ihrer Trauer nicht mehr zu merken. Sie versank im Selbstmitleid.
Beim jährlichen Besuch im Tempel bat sie Gott um Hilfe und versprach, sollte sie einen Sohn zur Welt bringen, ihn Gott zu schenken.
Und so geschah es: Sie wurde schwanger, brachte Samuel zur Welt, den späteren Propheten. Als sie mit ihm zum Tempel kam, wo er aufwachsen sollte, pries sie Gott mit dem Lobgesang, der unser Predigttext ist.
Jetzt hatte Hannah wieder Ansehen, jetzt gehörte sie wieder dazu. Jetzt machte ihr Leben wieder Sinn, jetzt hatte sie ihre Würde wieder.
Ist das wirklich eine Ostergeschichte? –
Ja, ich denke schon!
Beten, wo es nichts mehr zu hoffen gibtHannah steht für viele Menschen, die ausgegrenzt werden, über die andere ihren Spott häufen. Für Menschen, die immer wieder gezeigt bekommen: Du bist zu nichts nutze, du bist uns im Weg, du bist überflüssig.
Wenn Menschen so etwas wiederholt, dauerhaft erfahren, versuchen sie zunächst alles, um ihre Lage zu verändern. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt – Hannah wäre heute bestimmt Kundin in einer Kinderwunschpraxis.
Doch wenn ihre Versuche wieder und wieder misslingen, verzweifeln sie. Am Ende denken sie selbst von sich, dass sie keinen Wert haben. Sie sind wie gelähmt, ohne Hoffnung, fast wie tot.
Bei Hannah ist es ihr Mann, der sie in ihrer Verzweiflung erreicht, er nimmt sie mitfühlend wahr und spricht sie einfühlend an: „Hanna, warum weinst du und warum isst du nichts? Und warum ist dein Herz so traurig? Bin ich dir nicht mehr wert als zehn Söhne?“
Das scheint Hannah aufzurütteln. Sie steht auf und macht sich auf den Weg, – in den Tempel – und Hannah betet.
Sie bittet Gott, dass er sie ansieht, an sie denkt, sie nicht vergisst in ihrem Elend, dass er sich ihr gnädig zuwendet und ihr wieder Leben schenkt.
Im Gebet hebt sie den Blick, sieht Zukunft, gewinnt Hoffnung auf Leben.
Aber was wäre dieses Gebet ohne das, was folgt?
Ohne Hannahs Auferstehung ins Leben?
Ohne ihre Freude! Ohne ihr Lob Gottes, der ihr Leben geschenkt hat.
Was wäre Christi Tod am Kreuz ohne seine Auferstehung?
Ohne die Erfahrung:
„Der Herr tötet und macht lebendig, er verbannt in die Totenwelt und er ruft aus dem Tod ins Leben zurück.“ (Übersetzung Gute Nachricht)
Wenn wir heute miteinander Ostern feiern, das Fest vom Sieg des Lebens über den Tod, dann können wir das nicht, ohne an die letzten verzweifelten Worte Jesu zu denken, „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“
Auferstehungsglaube lebt von Osterspuren im AlltagDer Glaube an die Auferstehung wurzelt in abgründiger Hoffnungslosigkeit.
Wer diese nicht kennt, wer alles hat, streckt sich nicht verzweifelt nach Gott aus.
Wem es gut geht, wer satt ist, der hat keine Veranlassung, Gott aus dem Elend heraus anzurufen. Der ruft Gott auch nicht auf den Plan gegen den Spott der Umwelt: „Andern hat er geholfen, doch kann sich selber nicht helfen.“
Auferstehungsglaube nährt sich aber genau von solchen Erfahrungen, wie sie Hannah machte, dass sich Dinge wider Erwarten – wider alle noch so tiefe Ausweglosigkeit zum Guten, zum Leben wenden.
Auferstehungsglaube lebt davon, dass alte Hoffnungsworte sich im Leben immer wieder bewahrheiten, wie das des Propheten Jesaja:
„Die auf Gott harren, kriegen neue Kraft,
dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden,
dass sie wandeln und nicht müde werden.“ (Jesaja 40,31)
Unser Auferstehungsglaube nährt sich von alltäglichen Erfahrungen der Auferstehung ins Leben. Für Hannah bedeutete es, ins neue Leben aufzustehen: Ich gehöre wieder dazu, ich bin geachtet, ich bin wertvoll ...
Marie Luise Kaschnitz (1) hat das in eindrückliche poetische Worte gebracht:
Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.
Es sind diese scheinbar kleinen Münzen, die uns letztlich darauf vertrauen lassen, dass auch das Große wahr werden kann, was niemand von uns Lebenden erfahren hat, Leben aus dem Tod im Haus aus Licht.
Der Glaube an die Auferstehung Jesu von den Toten und an unsere eigene Auferstehung bleibt reiner Glaubenssatz, wenn Menschen diese Erfahrungen nicht machen, – dass sich etwas zum Guten wendet, dass ich angesehen bin.
Die Jüngerinnen und Jünger Jesu konnten selbst nur glauben, dass Jesus auferstanden ist, weil etliche von ihnen ihm als dem Auferstandenen begegneten.
Einander Osterzeugen seinWas mich an der Geschichte von Hannah besonders berührt, ist ihr Mann, der sie ansieht und mitfühlend anspricht und so zu ihr in ihre Hoffnungslosigkeit vordringt. Das verändert Hannah, sie wendet sich an Gott, mit der Bitte, dass auch er sie ansieht. Und Hannah sieht selbst die Not der anderen. In ihrem Lobpreis denkt sie nicht nur an sich selbst, vielstimmig ist ihr Lob:
„Die Armen holt er aus der Not, die Hilflosen heraus aus ihrem Elend; er lässt sie aufsteigen in den Kreis der Angesehenen und gibt ihnen einen Ehrenplatz.“ (Übersetzung Gute Nachricht).
Wie ist das mit den Armen, den Verachteten, den Bedürftigen, den Hilflosen, den Schwachen in unserer Mitwelt, mit denen, die ohne Hoffnung sind? Die längst die Hoffnung aufgegeben haben, einen besonderen Platz zu bekommen, angesehen zu werden?
Wer schenkt ihnen Zuwendung? Wer sieht sie an?
Wer ermutigt sie zum ersten Schritt? Wer hilft ihnen, den Blick zu heben?
Wo erleben diese Menschen Osterspuren und Hoffnungszeichen?
Hoffnung nährt sich meist aus ganz elementaren Erfahrungen, aus – auf den ersten Blick gesehen – scheinbar kleinen Münzen. Einige davon will ich benennen. Wir tragen sie stets bei uns:
Sich Zeit nehmen – anderes zurückstellen, nicht ständig auf die Uhr schauen, ganz da sein, dem anderen einen Raum eröffnen, in dem er sich niederlassen kann. Gastgeberin werden.
Ansehen – mit liebevollen Blick, im Gegenüber den Schöpfer entdecken: „Ich grüße das Göttliche in dir.“ Den anderen ins barmherzige Licht stellen, offen werden für sein Leiden und seinen Schmerz.
Zuhören – mit dem gütigen Ohr des Herzens, schmerzliche Gefühle aushalten, nicht unterbrechen, wenn es einem zu Herzen geht, offen bleiben, Raum schaffen für Ungesagtes, Beelendendes.
Würdigen – dem Gegenüber Respekt entgegenbringen, verlorene Würde schenken: Du bist es wert, du bist wertvoll für mich.
Teilen – wenn ich das Elend des anderen in dieser Weise sehe, teile ich es. Die Not lässt mich nicht unberührt, sie wird zu meiner Not. Was habe ich Notwendendes zu teilen? Meine Güter? Meine Hoffnung?
Die Hand reichen – einander nahekommen, sich verbinden, gemeinsam ins Handeln kommen, Anwalt werden, jemandem aufhelfen, zum ersten Schritt ermutigen, ein Stück Weg teilen.
Einander Hoffnung in kleinen Münzen schenken, als Angeld auf Lebenshoffnung, als Vorgeschmack und Appetitmacher auf mehr.
Einander so Mut machen, auf Größeres zu hoffen, – dass Elend von Gott angesehen wird, dass Tränen abgewischt werden.
Einander immer wieder – wider alle Erfahrung daran erinnern, dass der Tod überwunden ist, dass das Leben siegt.
Ja, vielleicht ist auf den Hoffnungsmünzen eingeprägt: Christ ist erstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Amen.
1 Das Gedicht von Marie Luise Kaschnitz ist ihrem Band "Gedichte" entnommen, Bibliothek Suhrkamp 436, Frankfurt 1986, S.15.
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