Osternacht (20. April 2019)
1. Thessalonicher 4, 13-18
4,13-18 Wir wollen euch aber, Brüder und Schwestern, nicht im Ungewissen lassen über die, die da schlafen, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die da entschlafen sind, durch Jesus mit ihm führen. Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zum Kommen des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind. Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Ruf ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und die Toten werden in Christus auferstehen zuerst. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft. Und so werden wir beim Herrn sein allezeit. So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.
IntentionBei der Osternachtfeier füllt sich die Kirche mit Menschen aus dem ganzen volkskirchlichen Spektrum. Oft sehe ich mir unbekannte Gesichter und manche Tränen. An der Grenze zwischen Tod und Leben, zwischen Nacht und Licht verstehe ich die Worte des Paulus wie eine Brücke zum auferstandenen Christus. Der Blick auf ihn ist eschatologisch bestimmt und soll die Zuhörenden trösten.
Liebe Gemeinde,
als ich noch ein Kind war, haben wir einmal einen Familienausflug an den Kocher gemacht. Wir wollten die große Autobahnbrücke anschauen, die sich gerade im Bau befand. Eine gewaltige Brücke wurde da errichtet. Wir standen unten im Tal und blickten staunend nach oben. Da sah man einerseits die Brückenpfeiler, die langsam in die Höhe wuchsen. Noch beeindruckender war für mich der Brückenvorstoß, der hoch oben am Berg schon fast 100 Meter weit über den Abgrund reichte. Er hing wie ein überlanger Balkon über die Leere der Tiefe hinweg. Die Brücke war noch nicht fertig. Aber man hat gesehen, was es ungefähr werden sollte. Man hat das Entscheidende gesehen: Es geht weiter über den Abgrund hinweg hinüber in neues Land auf der anderen Seite des Tales. Dieser Brückenvorstoß ist für mich später zu einem Bild geworden für unsere christliche Ewigkeitshoffnung. Die biblischen Texte deuten nur an, was kommen wird. Sie schaffen uns keine Sicherheit. Sie ragen hinein in das Dunkel des Todes. Sie sagen nicht detailgetreu, wie es da drüben jenseits der Brücke aussehen wird. Aber sie schenken Gewissheit, dass es weitergehen wird nach dem Tod.
Heute am frühen Ostermorgen stehen wir an der Grenze zwischen Finsternis und Licht, zwischen Tod und Leben. Die biblischen Worte, die wir jetzt gehört haben, kommen herüber von der anderen Seite, vom Land der Auferstehung und machen uns Mut. Doch können wir das glauben? Um diese Uhrzeit? Noch leben wir ja diesseits der Brücke und sehen so vieles nicht.
Der Auferstandene ist auch der GekreuzigteNein, nicht die Schwärmer und schnell zu Begeisternden spricht Paulus hier an, sondern solche, die das Leiden kennen. Nüchterne Menschen, die klar und ausgeschlafen denken. Solche, denen der Gang hierher zur Osternachtfeier vielleicht schwergefallen ist, weil sie einen lieben Menschen verloren haben und nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll. Sie kennen die vielen Karfreitagsnächte, in denen sie keinen Schlaf gefunden haben vor lauter Fragen. Verzagte und Hoffnungslose sind es, denen Paulus hier Mut macht. Er sagt ihnen: Der Auferstandene ist auch der Gekreuzigte. Der, der uns heute Morgen von der anderen Seite her das österliche „Ich lebe“ entgegenruft, das ist derselbe, der sich am Kreuz mit seinem „von Gott verlassen“ auf unsere Seite der Brücke gestellt hat. Paulus trennt den triumphierenden Christus dieses Auferstehungsmorgens nicht von seinen Wundmalen des Karfreitags. In dieser Zusammengehörigkeit liegt eine tröstende, heilende Kraft.
Ewigkeit in die Zeit, leuchte hell hineinIch denke an eine Frau, der ich kurz vor ihrem Tod im Krankenhaus begegnet bin. Sie war nicht aus unserer Gemeinde. Ich kannte sie nicht. Ich habe eigentlich jemand anderen besucht, der auf der Intensivstation war. Daneben lag hinter einem Vorhang diese Frau. Es war kein Mensch bei ihr. Als sie gehört hat, wie ich mit dem anderen Kranken gebetet habe, hat sie nach mir gerufen: „Ist dort ein Pfarrer? Bitte kommen Sie!“ Sie war mir schon vorher aufgefallen, weil sie in sich gekehrt dalag und stöhnte. Sie weinte und fragte: „Herr Pfarrer, es zerreißt mir den Körper. Warum habe ich solche Schmerzen? Warum muss ich so leiden?“ Mir hat die Frau sehr leidgetan, aber ich habe nicht recht gewusst, was ich sagen sollte. Das sind die Momente, in denen es auch einem Pfarrer den Boden unter den Füssen wegzieht, weil man spürt, dass man keine rechten Antworten weiß. Ich habe einfach still bei ihr gesessen. Nach langem Zögern antwortete ich ihr eher hilflos und unsicher: „Ich kann Ihnen nicht sagen, warum Sie Schmerzen leiden müssen, aber ich glaube fest, dass Jesus jetzt bei Ihnen ist und dass er auch für sie ans Kreuz gegangen ist.“ Ich werde die Sekunden danach nicht vergessen. Das Gesicht dieser Frau entkrampfte sich von einem zum anderen Moment. Es trat ein österlicher Schein in dieses Zimmer. Sie ist mit einem Mal ruhig geworden und hat sogar etwas gelächelt: „Ja, Jesus kennt meine Schmerzen. Er weiß, wie’s mir geht. Er ist da!“ Zwei Stunden später ist diese Frau im Frieden gestorben. Es war in der Nacht vom Samstag zum Sonntag. Ein Hinübergehen in den Auferstehungstag.
Wohin gehen wir: Was Paulus sagtIn kindlichen Bildern beschreibt der Apostel Paulus, wie das sein wird, wenn wir über die Brücke gehen und am Ziel ankommen. Wobei ihm wichtig ist: Nicht wir sind’s, die Jesus entgegen gehen, sondern er kommt uns entgegen. In ihm allein gründet mein Heil. Wenn Jesus kommen wird, wird es Menschen geben, die noch leben werden und viele andere, die bereits gestorben sind, aber keiner wird irgendeinen Vorteil haben. Alle sind gleich dran. Jesus wird den Befehl geben und dann wird eine laute Posaune erschallen, die die Ankunft des Königs vorbereitet. Daraufhin wird der Erzengel seine Stimme erheben und die Gräber werden aufgehen und die Toten leiblich auferstehen. Und sie werden auf den Wolken des Himmels zu Jesus hin entrückt werden. So sagt es uns Paulus. Wie geht es Ihnen mit diesen eindrucksvollen, aber doch auch irgendwie surrealen Bildern? Können wir Sie sich das vorstellen?
Wohin gehen wir: Wie ich es versteheIch will es mit meinen Worten sagen, wie ich Paulus verstehe: „Hab keine Angst“ -- sagt er mir -- „du musst dir keine Sorgen haben, dass du nach deinem Tod irgendwo vergessen oder verloren bist im Dunkel der Jahrmillionen. Gott kennt dich und vergisst dich nicht. Er hat deinen Namen in seinem Gedächtnis und er wird ihn am letzten großen Ostermorgen aussprechen und dabei neues Leben schaffen. Aber so, dass er an deiner Lebensgeschichte anknüpft. Er wird deine ganz besondere Persönlichkeit zur Vollendung bringen. Er wird um das Schöne und um das Schwere deiner Existenz wissen. Er wird heilen und korrigieren. Du wirst erkennbar sein und doch ganz anders. Nicht mehr gezeichnet von Brüchen und Verletzungen. Es wird alles gut sein. Und du wirst bei Gott sein allezeit.“
Beim Herrn sein allezeit„Wir werden beim Herrn sein allezeit.“ Das ist für Paulus „der Himmel“. Das ist die Ewigkeit. Mehr nicht. Da wird nicht in bunten Farben beschrieben, wie es drüben aussieht. Da wird nicht gesagt, ob es da Häuser mit Küchen gibt. Da wird nicht gesagt, ob da Tischtennis oder Orgel gespielt wird. Da wird nicht irgendeine bayrische Wolke beschrieben – wie beim Münchner im Himmel – auf der man den ganzen Tag sitzen und gelangweilt „Halleluja“ rufen muss. Nein, nur eines: „Wir werden beim Herrn sein allezeit“ – mehr nicht. Aber wenn er da ist, klärt sich alles zum Guten. Die Ewigkeit ist kein bestimmter Zustand, sondern eine Beziehung, die Beziehung zum Schöpfer und Erlöser dieser Welt. Das ist der Himmel.
Am Hals des Vaters hängenAls der Großvater des Theologieprofessors Adolf Schlatter im Sterben lag, da hat ihm dessen Schwester die Ewigkeit in den buntesten Farben geschildert. „Denk doch an die goldenen Gassen in der himmlischen Stadt Jerusalem, da ist alles aus Gold: die Tassen, das Geschirr, die Schränke, alles herrlich.“ Da hat der sterbende Schlatter gesagt: „Nach all dem Plunder sehnt es mich nicht, mich sehnt es danach, am Hals des Vaters zu hängen.“ Beim Herrn sein allezeit, das ist der Himmel, dort ist alles gut. Dort werden wir ausruhen von den Schmerzen dieser Welt. Dort werden die Wunden heil. Dort ist Frieden und Licht.
Liebe Gemeinde,
wie ein Brückenvorstoß reichen die Worte der Bibel hinein in die Leere des Todes. Wir sehen noch nicht alles, aber wir sehen, dass es weitergeht nach dem Tal des Todes und dass einer mit uns geht: Jesus Christus, der Herr im Leben und im Leiden und im Letzten. An seiner Hand dürfen wir fröhlich in diesen Ostertag gehen. Halleluja. Amen.
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