Ostermontag (21. April 2025)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Gudrun Ederer, Stuttgart [Gudrun.Ederer@elkw.de]

Jesaja 25,6-9

IntentionDer Predigttext mündet in die Aussage: Gott wird den Tod verschlingen auf ewig. An Ostern lässt sich das erfahren: Gott nimmt weg, was über uns lastet und uns die Sicht auf ein Leben mit ihm verhindert. Frei atmen und frei sehen und jubeln über sein Heil, dazu möchte die Predigt beitragen.

Essen und Trinken – ein Fest!Liebe Gemeinde, ganz plötzlich ist ihre Mama gestorben. Über Nacht. Die Mädchen sind schockiert und verstört. Die jüngere schafft es trotzdem, weiterhin in den Konfirmandenunterricht zu kommen, ist dabei, aber redet nicht viel. Ein halbes Jahr später nehmen die Mädchen teil an der Osternachtsfeier. Alle sind erleichtert: Man sieht sie wieder lachen. Nach dem Gottesdienst zieht die Gemeinde singend und mit brennenden Kerzen auf den Friedhof. Da wird noch einmal ganz kräftig das alte Osterlied angestimmt: Christ ist erstanden, Halleluja. Laut erschallt es, so dass wirklich eine Ahnung davon aufkommt: „Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein.“
Dann wird im Gemeindehaus gefrühstückt: Hefezopf, Kuchen, Eier, Wurst und Schinken – und Nutella, das dick auf den Hefezopf geschmiert wird! Man hört Lachen und angeregte Gespräche, die Kinder toben fröhlich zwischen den Tischen herum. Ja, Ostern ist ein Freudenfest. Das Leben hat über den Tod gesiegt.
Und wie kann man Festfreude besser ausdrücken als mit einem gemeinsamen Essen?

Von so einem Freudenmahl schreibt der Prophet im Jesajabuch (Jesaja 25, 6-9):

„Und der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist.
Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind.
Er wird den Tod verschlingen auf ewig.
Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen
und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt.
Zu der Zeit wird man sagen: ‚Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der HERR, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.‘“

Liebe Gemeinde, ein festliches Mahl mit Fett und Mark und Wein ohne Hefe wird da aufgetischt. Auch wenn ich nicht alle Speisen kenne und unsere heutigen Vorlieben vielleicht anders als die der Menschen vor 2500 Jahren sind, merke ich doch: Hier wird das Beste, was die Küche hergibt, beschrieben.
Und ich stelle mir vor, wie Gott selbst am Herd steht mit umgebundener Schürze, schnippelt, rührt, probiert: „Ja, so ist es gut.“ Und wie er sich freut am Appetit seiner Gäste, wenn er dann mitten zwischen ihnen sitzt. So muss ein Festmahl sein. Das mag ich gerne glauben: Gott sitzt mit uns zusammen am Tisch.

Das Neue Testament nimmt diese schönen Bilder vom Festmahl mit Gott auf. So wird es einmal sein: Alle werden kommen von allen Himmelsrichtungen und aus allen Völkern und Nationen und an einem Tisch sitzen. (Lukas 13,29)

An Ostern geht es um mehr als nur ein schönes und friedliches gemeinsames Essen. Ostern ist quasi die Voraussetzung für ein fröhliches Fest. „Gott wird den Tod verschlingen auf ewig.“ So schreibt es unser Prophet. Das feiern wir an Ostern. Alles, was das Feiern verunmöglicht ist beseitigt.

Was das Feiern verhindert, wird vertilgtPaulus hat es in der Auferweckung Jesu von den Toten erfüllt gesehen, was der Prophet beschreibt: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“, so schreibt Paulus an die Leute in Korinth.(1. Kor. 15,55).“

Wie der Tod das Leben verschlingt, sehe ich vor mir: Bomben schlagen in Stadtvierteln ein, Staubwolken verhindern die Sicht. Dann: nur noch Trümmer und Leichen. Schlammlawinen begraben Dörfer unter sich. Sie lassen sich nicht aufhalten.
Der Tod frisst sich ins Leben derer, die der Alkohol- oder Drogensucht verfallen sind. Er verwandelt Menschen in Schatten ihrer selbst.

Und dann kommt einer, der sagt nicht nur „Stopp“ zum Tod, sondern macht ihn gänzlich unschädlich.
Der Verschlinger des Lebens wird nun selbst verschlungen. Er ist weg. Für immer!

Stellen wir uns das einmal bildlich vor, wie Gott den Tod aufisst, schnell, gierig, zielstrebig. Vielleicht ein unappetitliches, ja verstörendes Bild – vielleicht aber auch so skurril, dass es einfach zum Lachen ist – und an Ostern darf gelacht werden.

Klare Sicht – weg mit der Decke!Alles, was der Tod für sich vereinnahmt hat, alles, was ein Leben mit Gott verhindert, kommt damit auch weg:
„Und Gott wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig.“ (V. 7.8).

Gott nimmt die Decke weg von denen, die da zu dem Festmahl gekommen sind.
Ich stutze: Eine Decke ist doch etwas Positives: Wenn es kalt ist, kuscheln wir uns doch gern in eine Decke. Eine Decke kann Schutz und Geborgenheit geben.
Eine Decke kann aber auch etwas verdecken, überdecken, was nicht ans Licht kommen will oder soll. Ich nenne einige Beispiele (evtl. auswählen!):

Sich in Trauer oder Schmerz zu verhüllen, war und ist ein alter Brauch.
Wenn Menschen auf den Friedhöfen bei Beerdigungen Sonnenbrillen tragen, ist das wohl ein Überbleibsel davon.

Eine Decke, ein Schleier, ein Tuch oder eine tief gezogene Mütze schützt vor neugierigen oder abschätzigen Blicken – wenn man sich schämt für sein Aussehen oder für ein Vergehen.

Und das gibt es auch: Da mag man morgens gar nicht aufstehen, ist müde und antriebslos: Decke über den Kopf, sich nicht ansprechen lassen, nichts denken, nicht entscheiden. Für Menschen mit Depressionen fühlt sich das manchmal so an, als sei da immer diese Decke über einem.

Und auch die Schuld, die wie eine schwere dunkle Decke auf einem lastet, wird weggenommen.
„Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt, er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt“ (EG 16) – was Jochen Klepper für Weihnachten gedichtet hat, gilt auch heute.

Das gibt es auch: Man kann gar nichts dafür, dass die Decke über einem liegt: Andere halten einen klein: die Vorgesetzte den Angestellten, der Diktator sein Volk. Wissen und Entfaltung werden einem verwehrt. Das ist, wie wenn eine schwere Decke über einem liegt. Es ist stickig. Man sieht nichts. Man kommt nicht aus eigener Kraft darunter hervor.

Weg mit der Decke, das lasst uns feiern zu Ostern. Niemand muss sich schämen. Die Auferstehung Jesu verleiht uns Hoffnung für unsere Verstorbenen, die Trauer darf weichen. Wir dürfen wieder lachen.

Der Prophet hat etwas anderes vor Augen. Er sieht die Völker, er sieht die Menschen, wie sie sich um das Leben bemühen mit ihren Mitteln. Mit Gewalt, Unterdrückung, Angst und Aberglaube. Aber er ist überzeugt: Wenn sie den Gott Israels sehen, sehen sie klar. Dann gibt es keinen Krieg mehr und keinen Konkurrenzkampf. Dann halten alle zusammen – dann müssen Gottes Menschen, keine Angst mehr haben.

Gott nimmt die Decke weg und Menschen können klar sehen. Das wird an Ostern bezeugt:

Die beiden Jünger, die am dritten Tag nach dem Tod Jesu von Jerusalem nach Emmaus wandern, haben das so erlebt. Da gehen sie traurig stundenlang neben dem Auferstandenen her und wissen es nicht. „Ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten“, heißt es im Lukasevangelium (Lk. 24,16). Aber als Jesus mit ihnen isst, ihnen das Brot bricht, selbst zum Gastgeber wird, da werden ihnen die Augen geöffnet und sie erkennen ihn (Lk. 24, 30f). Christus, der Herr, zieht ihnen die Decke weg! Sie sehen den Weg, den Gott mit ihnen gegangen ist und weiter gehen wird.

Noch ist es nicht so weit und vor allem nicht überall. Noch sitzen Putin und Selenskyj nicht an einem Tisch, nicht Täter und Opfer, nicht zerstrittene Familien. Vollmundig spricht der Prophet von allen Völkern, allen Angesichtern und allen Landen. Und ich will es glauben und hoffen. Ich will sie sehen, die ersten Schritte dazu. Denn die Auferstehung Jesu öffnet die Augen dafür.

Große Gesten erleben wir selten. Aber vielleicht sehen wir die kleinen und doch so wichtigen. Der Prophet benennt sie: Gott wischt die Tränen ab von allen Angesichtern, jede einzelne Träne – sanft, mit dem Zeigefinger, ganz zärtlich. Und er wartet, bis der Tränenschleier aus den Augen verschwindet und wischt die letzte Träne auch noch ab.

So ist Gott, so lässt er sich erfahren – kraftvoll und zärtlich zugleich:
Er verschlingt den Tod. Er steht siegreich auf den Pforten der Hölle (so sieht man es auf den Auferstehungsikonen der Ostkirche).
Und er ist ganz nah, neben mir, geht mit. Reicht mir die Hand, bleibt mit mir stehen, wenn ich nicht mehr weiter kann und wischt mir die Tränen vom Gesicht.

Und er lädt mich ein zum Feiern: Ich darf kommen, wie ich bin, ohne Scham, ohne Angst, ohne schlechtes Gewissen. Die Trauer muss nicht mehr alles überdecken. Ich darf die Freundlichkeit Gottes sehen und spüren, und auch schmecken – im Abendmahl, beim Osterfrühstück, bei der Familienfeier oder beim Kaffeetrinken mit einer Freundin.

Jubel„Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst und jubeln und fröhlich sein über sein Heil“ (V. 9) – so wird man einst sagen, meint der Prophet. Ich will den Jubel schon jetzt einüben und andere damit anstecken. Denn ich sehe schon die Zeichen seines Heils: fröhliche Mahlzeiten, bei denen sich auch die Traurigen wohlfühlen, Zusammenhalt und Bewahrung, Lachen und Versöhnung. Klare Worte und freundliche Gesten – getragen von der Hoffnung vieler, vieler Christen aller Zeiten und aller Orte. Da hat nicht der Tod das letzte Wort. Christus lebt und schenkt uns das Leben.
Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja. Amen.



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