Miserikordias Domini (26. April 2020)
Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Schäberle-Koenigs, Bad Teinach-Zavelstein [gerhard.schaeberle-koenigs@web.de]
1. Petrus 2,21b-25
IntentionJeder Mensch möchte gern frei und autonom über sein Leben entscheiden. Aber gerade in schwierigen Situationen und Entscheidungen ist es leichter, wenn man in den Fußstapfen eines anderen gehen kann. Die Predigt möchte ermutigen, in Jesu Fußstapfen zu gehen.
2,21 Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen;22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand;23 der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet;24 der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.
25 Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Liebe Gemeinde,
Fußstapfen. In die Fußstapfen eines anderen treten. Es ist leichter, einen Weg zu gehen, den ein anderer schon gegangen ist, auch wenn die eigenen Füße eigentlich zu klein sind. Denken Sie an eine Wanderung im Schnee oder im Watt. Sie ist mühsam zum Beispiel für Kinder mit geringen Kräften und kurzen Beinchen. Aber wenn Vater oder Mutter vorausgehen und den Weg bahnen – dann ist es leichter.
Der Lehrer der frühen Kirche, der den 1. Petrusbrief geschrieben hat, war sich sicher bewusst, dass die Füße der Christen zu klein sind, um in die Fußstapfen Jesu zu treten. Dennoch sagt er ohne Wenn und Aber: „Folgt seinen Fußspuren.“
Jesu Fußspuren sind groß. Zu groß für uns. Doch ohne seiner Spur zu folgen, würden wir uns heillos verlieren.
Ich geh meinen WegIch weiß, es gibt in uns allen innere Stimmen, die wehren sich empört dagegen. Die sagen: Du wirst doch nicht die ausgetretenen Pfade eines andern nachgehen. Geh deinen eigenen Weg. Du schaffst das mit deinem eigenen Verstand, ein guter Mensch zu sein. Trau dir was zu! Mach dich nicht so klein.
Das kann gut gehen, solange das Gelände übersichtlich ist. Es kann gut gehen, solange kein Sturm aufkommt und kein Gewitter. Es kann gut gehen, wenn nicht Hecken und Dornen zu Fußangeln werden und einen zu Fall bringen. Es kann gut gehen, wenn die Sonne scheint.
Aber wessen Lebensweg ist denn immer und überall bequem und leichten Schrittes zu gehen? Und wenn es doch so scheint, wie leicht kommt einem in den Sinn, eine Abkürzung zu nehmen, um noch etwas schneller voranzukommen. Oder einen anderen, der schwächelt, zu überholen? Und: Muss man es immer so genau nehmen mit der Wahrhaftigkeit? Letztlich ist doch das Ergebnis nur entscheidend. Und auch das: Muss ich mir alles gefallen lassen? Frei ist nur, wer stark ist und seinen eigenen Weg unbeirrt geht.
Der Hirte geht vorausUnd dennoch ergeht der Rat an die Christen: Folgt Christi Fußstapfen nach! Sein Weg war ohne Betrug. Er zahlte nicht mit gleicher Münze heim, was ihm Schlimmes widerfuhr. Er dachte nicht an Rache. Vielmehr hat er für die Seinen alle Widrigkeiten des Weges ausgeräumt, damit es uns möglich ist, ihm zu folgen, dem Hirten und Bischof unserer Seelen.
Jener Lehrer, der diesen Rat ohne Wenn und Aber ausspricht, hat dabei das Bild vom guten Hirten vor Augen. Den Psalm vom guten Hirten konnte er bestimmt auswendig. Und sicher wusste er, dass Jesus von sich selbst gesagt hatte: „Ich bin der gute Hirte.“ Ich gehe dem Verirrten nach und bringe das Verlorene zurück und heile alle seine Gebrechen.
Er macht aber darüber hinaus noch eine andere Seite des Hirten sichtbar. Der Hirte, den er vor Augen hat, der geht voraus. Der bahnt den Weg denen, die ihm nachfolgen, die in seinen Fußstapfen gehen wollen.
Er hat den Weg gebahnt zu Menschen, an die keiner denkt und nach denen keiner fragt.
Er hat den Weg gebahnt zu Menschen, von deren Lebensumständen und von deren Not man lieber nicht so genau wissen möchte.
Er hat auch den Weg gebahnt zu Menschen, die ganz anders sind als die, die uns in der Werbung als erstrebenswert vorgestellt werden.
Und die, die seinen Fußstapfen nachfolgen, kommen immer wieder auch an Punkte, an denen er innegehalten hat. Für sich allein im Gebet. Er hat die Nähe zu Gott und seine innige Verbundenheit mit dem Vater im Himmel gepflegt und vertieft. Wer seinen Fußstapfen nachfolgt, wird auch aufmerksam diese Punkte wahrnehmen und dabei verweilen.
Christen in BedrängnisWir nennen uns Christen und können in unserem Land unseren Glauben frei leben und ohne Nachteile befürchten zu müssen. Aufs Ganze gesehen befinden wir uns in einer Ausnahmesituation. In so vielen Ländern haben Christen nicht nur Nachteile zu ertragen. Sie werden bedrängt. Sie gehören nicht dazu. Sie können ihren Glauben nicht ohne Angst leben. Und auch in unserem Land ist es nicht lange her, dass Christen verfolgt wurden. Sie wurden ins Gefängnis gesteckt und Einzelne auch zu Tode gebracht. Oder sie wurden – wie in der untergegangenen DDR – überwacht und bespitzelt und zumindest empfindlich benachteiligt.
Wir dachten, diese Zeit sei überwunden. Von Seiten des Staats ist auch nichts Derartiges zu befürchten. Doch der Hass, die Beschimpfungen, die Schmähungen und auch Todesdrohungen sind wieder da. Vor wenigen Monaten wurden Morddrohungen an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche geschickt. Ein Regierungspräsident, der – wie es seine Pflicht war – für Unterkünfte für Flüchtlinge sorgte, wurde vor knapp einem Jahr umgebracht.
Wohin führen die Fußstapfen Jesu?Wohin kommen wir, wenn wir den Fußstapfen Jesu folgen?
Für den Jungen mit seinen kleinen Füßen im Schnee ist es klar. Er geht sicher. Er verirrt sich nicht. Er kommt nicht um. Es ist ihm nicht einmal zu schwer. Er kommt wohlbehalten, müde und glücklich wieder heim.
Und für uns Christen? Vordergründig führt der Weg, den Jesus gegangen ist, ins Leid. Er muss Schmähungen ertragen. Er wird beleidigt. Er wird beschimpft und verleumdet. Letztlich führt er zum Tod am Kreuz. Letztlich? Nein! Letztlich wird er herrlich auferweckt zu neuem Leben. Am Ende steht nicht der Triumph der hasserfüllten Menschen. Am Ende steht die größte Tat des barmherzigen Gottes. Und Christus wird, wozu er immer schon bestimmt war, zum guten Hirten aller, die seinen Fußstapfen nachfolgen.
Wir haben vor zwei Wochen das Osterfest gefeiert. Jesu Auferstehung. Immer wieder neu werden wir darin bestärkt: Der, in dessen Fußstapfen ihr geht, ist nicht etwa gescheitert. Nein er steht da als der gute Hirte unserer Seelen. Ihm können wir uns getrost anvertrauen. Amen.
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