Letzter Sonntag nach Epiphanias (30. Januar 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer PD Dr. Peter Haigis, Springe [peter.haigis@kloster-wuelfinghausen.de]

2. Mose 34,29-35

IntentionDer Text stellt eine Art Gründungserzählung des jüdischen Volkes und seines Gottesglaubens dar. Eine Gottesbegegnung – und genauso Glaube – ereignen sich im Modus des Empfangens. Eine empfangsbereite Haltung reduziert äußere Wahrnehmung, um sich für eine Begegnung mit Gott bereit zu machen und zu öffnen. Da Gott mittelbar begegnet, geschieht dies meist in einem Medium, z.B. in einem Bibelwort, einem Symbol, Bild oder einer Melodie.

34,29 Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. 30 Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen.
31 Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. 32 Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der HERR mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai.
33 Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. 34 Und wenn er hineinging vor den HERRN, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, 35 sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.

Liebe Gemeinde,

wir kennen den Ausdruck, dass „jemand strahlt“. Ein strahlendes Angesicht, das ist das Gesicht eines freundlichen, glücklichen, von tiefer Freude erfüllten Menschen. Es tut gut, jemanden strahlen zu sehen, weil oftmals etwas überspringt von jenem Funken, der ein Gesicht leuchten lässt. Weil Freude und auch dieses Vor-Freude-Strahlen ansteckend wirken.

Der strahlende MoseDer kurze Abschnitt aus 2. Mose erzählt auch von einem strahlenden Menschen: von Mose, der gerade von einer besonderen Gottesbegegnung ins Wüstenlager der Israeliten zurückkehrte, die beiden Tafeln des Gesetzes, also des Dekalogs, der Zehn Gebote, in den Händen. Doch das, was ihn zum Strahlen gebracht hat, war etwas anderes als ein gewöhnlicher Freudenanlass. Mose strahlt, weil er Gott begegnet ist.
Die Szene unseres Textes steht im Zusammenhang der biblischen Überlieferung von der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten, dem Bundesschluss Gottes am Sinai mit den Zehn Geboten und der Geschichte vom sog. „Goldenen Kalb“. Sie stellt eine Art Gründungslegende des jüdischen Volkes und seines Gottesglaubens dar. Wenn wir uns heute als Christen dieser Geschichte annähern, dann soll es in Respekt vor der jüdischen Tradition geschehen. Dieser Respekt sieht für mich hier und jetzt so aus, dass ich diese Geschichte im Hintergrund stehen lasse, sie auch nicht weiter interpretieren will, sondern mich ganz auf die Erfahrung einlasse, von der unser Text erzählt. Mose strahlt also, weil er Gott begegnet ist. Wie kann das geschehen – eine derart erfüllende Begegnung mit Gott? Dieser Frage möchte ich ein wenig nachspüren.

Wie kann ich Gott begegnen?Zunächst müssen wir wohl festhalten, dass die Erfahrung solcher Begegnung mit Gott nicht etwas ist, das wir einfach so hervorbringen könnten. „Machen“ im eigentlichen Sinn kann man da gar nichts. Das ist eine ernüchternde Feststellung. Der Mensch hat sich im Laufe seiner Geschichte daran gewöhnt, sehr vieles „machen“, also herstellen und produzieren zu können. Er ist ein „homo faber“, wie es heißt, wobei „faber“ an das anspielt, was wir im Deutschen mit dem Lehnwort „fabrizieren“ ausdrücken. Der fabrizierende Mensch, sonst so erfinderisch und geschickt im Erdenken und Entwickeln von Dingen des täglichen Lebens, von Strategien und Techniken, von Instrumenten – hier steht er blank seines Vermögens da. In der Begegnung mit Gott gibt es für ihn nichts auszurichten.
Diese Einsicht ist übrigens keineswegs singulär: Es gibt noch andere Erfahrungen, die ebenso wenig herstellbar, fabrizierbar sind – die Liebe zwischen zwei Menschen beispielsweise, die Zuneigung des anderen, Vertrauen (und zwar sowohl das Vertrauen, das ich jemandem entgegenbringe, wie dasjenige, das jemand anderes in mich setzt). Im Grunde können wir sagen: Alles, was sich im zwischenmenschlichen Bereich abspielt, ist im strengen Sinne nicht herstellbar, nicht zu erzeugen.
Das bedeutet freilich keineswegs, dass man selbst nichts dazu tun könnte, diese Erfahrungen zu machen. Man kann sie nur nicht hervorbringen so wie ich beispielsweise den Text dieser Predigt schreibend hervorbringe oder ein Brot backe oder ein Bild male.
Wenn wir in den Bereich des Glaubens und mithin möglicher Gotteserfahrungen hinüberwechseln, dann tun wir einen entscheidenden Schritt: den Schritt vom Handeln zum Empfangen. Im Grunde gibt es drei große Modi, in denen wir uns verhalten können: das Tun, das Erleiden oder Hinnehmen und das Empfangen, also die Aktivität, die Passivität und etwas dazwischen Liegendes, eben jenes Empfangen. Unser Handeln hat natürlich auch mit dem Glauben zu tun, ebenso unser Erleiden oder Erdulden. Doch das Empfangen steht zum Glauben in einer ganz eigentümlichen Beziehung: Glaube lebt aus dem Empfangen; er ist nur im Empfangen ganz bei sich selbst, und aus dieser Mitte heraus wirkt er sich dann aus im Tun und Leiden.

Glaube lebt aus dem EmpfangenEine Begegnung mit Gott werden wir also nicht „machen“ können, aber wir können sie empfangen oder besser: uns ihr empfangend nähern und öffnen. Um dies etwas näher zu beschreiben, kann uns der Blick in unsere Sinnenwelt helfen. Denn dass wir immer wieder unser Tun unterbrechen müssen, um aufmerksam zu empfangen, ist uns aus unserer Sinneserfahrung bewusst. Sehen, hören, fühlen … das alles geschieht im Modus des Empfangens. Für eine Gottesbegegnung gilt es also, die eigenen Sinne zu schärfen, sich in der Wahrnehmung zu üben. Das ist das erste, was wir „tun“ können, wenn wir uns für die Begegnung mit Gott öffnen wollen: uns in der Wahrnehmung, im Empfangen zu üben, uns innerlich bereit machen für das, was da geschehen kann. Von der Aktivität umschalten zum Empfangen, die Wahrnehmung schärfen, sich innerlich bereit machen.
Um dies auf eine für uns günstige Weise auszuüben oder einzuüben, empfiehlt es sich, die Wahrnehmung zu reduzieren. Unsere Sinne sind ja ständig in Bereitschaft, möglichst viel aus unserer Umwelt aufzunehmen und zu verarbeiten. Sie orientieren uns in der Welt, in der wir uns bewegen. Es ist erstaunlich, wie viele Informationseinheiten, um es einmal zeitgemäß technisch auszudrücken, da von uns aufgenommen und verarbeitet werden in Bruchteilen von Sekunden. Wir sind einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt, mit der unser Sinneshaushalt in aller Regel auch ganz gut fertig wird. Doch wir wissen ganz genau, dass es Situationen im Leben gibt, wo wir uns konzentrieren müssen. Wo wir Ablenkungen ausschalten wollen, um einen Gedanken klar zu erfassen oder ein Gespräch aufmerksam zu führen.
Und so ist es auch im Blick auf die Begegnung mit Gott. Sie kann – zumindest von unserer Seite aus – dann am besten gelingen, wenn wir alles, was uns von einer solchen Begegnung abhalten könnte, ausschalten, keine Ablenkung zulassen, sondern uns konzentrieren und innerlich öffnen und bereit machen für das, was da kommen mag.

Die Stille des GebetsDie klassische Form dieser Konzentration ist die Gebetsstille. In kontemplativen Orden wird sie seit Jahrhunderten geübt. Tausende von Menschen haben hier gute Erfahrungen gemacht und diese dann auch anderen weitergegeben. Da können wir aus der Überfülle einer reichen geistlichen Tradition schöpfen. Die Gebetsstille ist der Ort, der uns am konzentriertesten für die Begegnung mit Gott bereit machen und öffnen kann.
Diese Stille erreiche ich, indem ich mir eine Zeit und einen Ort wähle, an dem ich einmal für einige Minuten, vielleicht auch für eine Stunde ganz ungestört sein kann. Ich wähle mir zudem eine bequeme Sitzhaltung, in der ich ganz zur Ruhe kommen kann. Dann schließe ich meine Augen, wende meine Sinne sozusagen nach innen. Ich folge einige Zeit dem Rhythmus meines Atems und lasse meine Gedanken, die ja immer noch da sind, dahinziehen wie die Wolken am Himmel … und so kann ich offen und bereit werden für eine Begegnung mit Gott.
Wie gesagt: Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber es ist die erforderliche Vorbereitung dafür, wie ich es einmal nennen möchte. Das ist wie bei einer Einladung: Wenn ich einen Gast zu einem Tee zu mir einlade, dann werde ich zuhause einiges für seinen Empfang vorbereiten. Durch diese Vorbereitung kann ich es allerdings nicht „machen“, dass er auch kommt und mich mit seinem Besuch erfreut. Vielleicht kommt etwas dazwischen. Vielleicht ruft er an und sagt ab; womöglich in letzter Minute. Aber ich warte dennoch mit meinen Vorbereitungen für den Empfang nicht, bis mein Besuch bereits in der Tür steht.

Gott begegnet mir nicht unmittelbarBei der Begegnung mit Gott ist es so, dass mir Gott nicht unmittelbar begegnen wird, sondern im Mittel eines „Mediums“. Die Lehrer der Spiritualität kennen eine Vielzahl solcher Medien: Es kann ein Bibelwort sein, das ich meditiere (und zu mir sprechen lasse); es kann eine Liedstrophe oder eine Melodie sein, eine Ikone, ein Bild, das ich betrachte, oder ein Sinnbild, zum Beispiel eine Blüte, ein Stück Holz, einen Stein, ein Licht … Medien können auch Erinnerungen sein, die ich in mir trage, und die ich still betend vor Gott ausbreite. Manchmal stellt sich vielleicht wie aus dem Nichts ein Gedanke ein in der Leere und Stille, die mich umgibt, und ich sinne diesem Gedanken weiter nach. Er kann ein Geschenk Gottes sein. Und gewiss, ich muss nicht im stillen Kämmerlein sitzen, um in eine Gebetsstille des Empfangens zu kommen; bisweilen ereignet sich das auch in einem meditativen Spaziergang oder beim Pilgern im Schweigen. Die Facetten dessen sind wohl so unterschiedlich, wie wir Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Wichtig ist dies: in den Modus des Empfangens zu kommen, offen und bereit für die Begegnung mit Gott. – Und dann wird unser Angesicht strahlen …
Amen.

Predigt zum Herunterladen: Download starten (PDF-Format)