Letzter Sonntag nach Epiphanias (17. Januar 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Martin Weeber, Stuttgart [martin.weeber@elk-wue.de]

2. Korinther 4, 6-10

Der helle Schein„Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben.“
Gerade in den dunklen Wintermonaten sind wir empfänglich für die Symbolik der Helligkeit und des Lichtes. Es tut uns gut, wenn wir merken, wie die Finsternis zurückgedrängt wird. So ganz allmählich merkt man es, dass die Tage wieder länger werden. Minutenweise geht die Sonne wieder später unter und geht wieder früher auf.

Genau zu der Zeit, in der die Tage am kürzesten sind, feiern wir das Weihnachtsfest, das Christfest. Das passt.
Jedenfalls auf der Nordhalbkugel der Erde passt das. Auf der Südhalbkugel fällt Weihnachten in den Sommer. Aber bei uns begehen wir das Geburtsfest Christi zur Zeit der kürzesten Tage. In die Finsternis hinein scheint das Licht. Das passt gut.

So wird der Gang der Natur zu einem Abbild für das Heilswirken Gottes.
Was wir draußen sehen können, am Himmel oder am Wechsel von Tagen und Nächten, von Jahreszeiten: All das kann zum Symbol werden für das Leben von uns Menschen und für das, was Gott für uns tut. Alles kann zum Hinweis werden darauf, dass unsere Welt von einer umfassenderen Wirklichkeit umgriffen wird.

Die Dichter des Gesangbuches pflegen die Symbolik des Lichtes, das die Finsternis überwindet, auf kunstvolle Weise:
„Wie schön leuchtet der Morgenstern“ – so heißt eines der schönsten Lieder der Epiphaniaszeit, in der wir ja gerade stehen.
Gemeint ist mit dem Morgenstern zum einen die Sonne, die am Morgen aufgeht, aber gemeint ist damit genauso Christus, der uns den Tag hell und licht macht.

Die Erscheinungen der Schöpfung können zum Zeichen und Hinweis werden auf die Erlösung. Das ist kein Zufall. Das hängt damit zusammen, dass der Erlöser auch der Schöpfer ist: „Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.“
Paulus spielt hier auf die Schöpfungsgeschichte an, in der Gott sagt: „Es werde Licht.“ Und so, wie Gott damals das natürliche Licht geschaffen hat, so hat er jetzt in Christus ein inneres Licht geschaffen, ein Licht im Herzen:
Gott „hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben.“

Blender sind AusblenderSchön ist es, von diesem Lichtschein zu reden und zu singen. Es ist gut und richtig und ein Ausdruck der Dankbarkeit, wenn wir nicht immer nur von den Schwierigkeiten und Nöten reden, die uns in dieser Welt begegnen. Darüber berichtet die Zeitung und darüber berichten die Nachrichten ausführlich genug. Freilich: Ausblenden sollten wir all das nicht, was finster ist und widerwärtig auf dieser Welt.

Zur genauen Wahrnehmung der Wirklichkeit gehört eben auch die Wahrnehmung alles dessen, von dem wir hoffen, dass es irgendwann einmal durch Gott überwunden sein wird. Christen sind Realisten. Deshalb müssen sie die Welt nicht durch eine rosarote Brille betrachten oder sie ständig in ein sanftes Licht tauchen. Christus, der das Licht des Lebens ist, lehrt uns, die lichten Momente des Daseins zu schätzen und zu würdigen. Aber er hat sich eben auch auf die Dunkelheit des Daseins eingelassen und hat sie ertragen bis hin zu seinem freiwilligen Tod am Kreuz.

Der Apostel Paulus, gewiss einer der größten Schüler Christi, hat an dieser Sicht der Dinge unbeirrbar festgehalten: Solange wir auf Erden leben, haben wir das Leiden nicht endgültig überwunden. Die Rede vom Licht wird bei Paulus deshalb erst durch das Wörtchen „aber“ zur vollständigen Rede: Die Botschaft von Christus ist für Paulus ein innerer Schatz, der leuchtet wie Gold in der Sonne. Aber diesen Schatz haben wir, und hier wechselt Paulus das Bild, in „irdenen Gefäßen“. Paulus denkt an Gefäße aus Ton. Die kann man zwar im Brennofen zu einer relativen Härte bringen, aber sie bleiben am Ende doch zerbrechlich.

Die Zerbrechlichkeit der irdenen Gefäße wird für Paulus nun zu einem Bild und Symbol der Zerbrechlichkeit des eigenen Leibes. Als zerbrechliche Menschen verkünden wir das Evangelium. Paulus hat das am eigenen Leibe erfahren. Er war offensichtlich nicht das, was man eine blendende Erscheinung nennt. Er war von Krankheit und allerlei zermürbenden Erfahrungen gekennzeichnet. Und dennoch hat Gott ihn dazu benutzt, das Evangelium zu verkünden und auszubreiten.

Wenn man jemanden als blendend bezeichnet, dann ist das eine sehr doppeldeutig Aussage. Dem blendenden Redner etwa ist nicht so recht zu trauen. Wer uns blenden will durch seine Rede oder durch seinen Auftritt, der will unsere Urteilskraft schwächen. Ich sage gelegentlich: Blender sind Ausblender. Blender präsentieren einem eine Sicht der Dinge, bei der alles einfach und glatt aufgeht. Blender sind damit das Gegenteil von Realisten.

Wir dürfen „aber“ sagen. Und zwar doppelt.Der Apostel Paulus war kein Blender, und wir als Christen müssen auch keine Blender sein. Wir müssen keine blendenden Auftritte hinlegen. Wir müssen nicht so tun, als sei für uns als Glaubende alles immer leicht und wunderbar. Wir müssen nicht ausblenden, was nicht ins Konzept passt. Wir dürfen „aber“ sagen.
Wir dürfen Einwände erheben. Wir müssen nicht mitmachen bei der großen Einigkeit.
Leute, die „aber“ sagen, werden gelegentlich schief angesehen. Das Wörtchen „aber“ passt nicht hinein in eine schmissige Propaganda.

Man hat gesagt, es gehe in dem Brief, dem unser Predigttext entnommen ist, um Spezialprobleme beruflicher Verkündiger. Aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Was für Paulus gilt, das gilt für uns alle: In unserem Inneren tragen wir ein herrliches Licht. Aber unser Äußeres, unser Leib ist ungeheuer zerbrechlich. Ja, selbst unsere Psyche, unsere Seele, ist zerbrechlich. Auch unsere Seele ist ein irdenes Gefäß für das Licht, das Gott in sie hineinscheinen lässt. Wir sind keine unzerstörbaren Superhelden, aber wir müssen es auch nicht sein. Dennoch sollen wir nicht verzagen. Denn dem einen „aber“ können wir ein anderes „aber“ zur Seite stellen. So schreibt Paulus:
„Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht.
Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.
Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen.
Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“

Es geht wohl gegen uns, aber das macht uns keine Angst. Wenn wir doch einmal Angst spüren, dann geben wir trotzdem nicht auf, wir verzagen nicht. Verfolgung leiden wir hier in unserem Land zwar nicht, aber Christen in anderen Weltgegenden, die wissen es sehr wohl, was es heißt, verfolgt zu werden. Dennoch verlieren sie ihren Mut nicht. Sie fühlen sich nicht verlassen, weil sie Gottes Nähe spüren – und es tut ihnen wahnsinnig gut, wenn sie merken, dass wir sie nicht vergessen. Die christlichen Gemeinden in China etwa, die wachsen, obwohl ihnen immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Vielleicht geht es uns hierzulande als Christen so gut, dass wir das Geheimnis, von dem Paulus redet, nicht wirklich deutlich spüren: das Geheimnis, das darin besteht, sich auch dann von Gott getragen zu wissen, wenn sich alles gegen einen richtet. Aber es kann durchaus sein, dass wir als einzelne Christen in Situationen kommen, in denen wir dann dem Erleben des Paulus ganz nahe sind.
Nicht, dass wir verfolgt würden. Höchstens ein wenig verspottet. Aber die Zerbrechlichkeit unseres Leibes, die kann uns heftig plagen und belasten. Und es kann auch sein, dass unsere Seele doch zu zittern und zu zagen beginnt.
Aber: Wir erfahren dann nichts völlig Neues. Wir gewinnen dann nur Anteil an dem Lebensgeheimnis des Apostels, das auch das Lebensgeheimnis Christi war: Durch alle Brüchigkeit hindurch, ja selbst durch das Sterben hindurch, vermag der schöpferische Gott neues Leben zu schaffen. Mögen wir auch erschöpft sein, Gottes Schaffenskraft kennt kein Ende. Sein Licht vermag jede Finsternis hell zu machen. Und auch aus der letzten Nacht wird er einen hellen Morgen hervorgehen lassen.
Amen.

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