Lätare / 4. Sonntag der Passionszeit (11. März 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Albrecht Conrad, Stuttgart [Albrecht.Conrad@elkw.de]

Philipper 1, 15-21

Liebe Gemeinde, endlich mal was Gewinnbringendes. In der Kirche geht’s so selten um den Gewinn. Wir sind eher eine Non-profit-Organisation, wir wollen gar keinen Gewinn machen. Da würden Sie sich auch sehr wundern, wenn Ihre Pfarrerin/Ihr Pfarrer Sie zur Bilanzpressekonferenz einlüde und dort verkündete, die Kirchengemeinde hätte im zurückliegenden Kirchengeschäftsjahr soundso viel Euro Gewinn gemacht. Nein, das steht uns nicht gut, einen Gewinn zu verkünden.
Aber einen Gewinn verkündigen, das steht uns gut. Das sagen doch auch die Leute immer, dass sie gerne die Predigten hören, von denen sie persönlich einen Gewinn haben. Einen Gottesdienst zu besuchen, lohnt sich, wenn man mit mehr rausgeht als man mitgebracht hat.

Paulus: Sterben ist mein GewinnFreuen wir uns also, dass der Apostel Paulus heute mal vom „Gewinn“ redet. Doch, was Paulus als „Gewinn“ bezeichnet, das würden nicht viele Menschen auf der Habenseite verbuchen: „Sterben ist mein Gewinn.“ Komisch: Den Vorgang, der mit dem Verlust des Lebens einhergeht, nennt Paulus „Gewinn“.
Ist Paulus so lebensmüde, dass sich für ihn nur noch das Sterben lohnt? Denkbar wär’s. Während Paulus den Brief an die Gemeinde in Philippi schreibt, steckt er im Schlamassel. Er verfasst diesen Brief im Gefängnis von Ephesus. Verbrochen hat er eigentlich nichts. Aber er hat die Botschaft von Jesus Christus verkündigt. Damit hat Paulus den Geschäftsbetrieb rund um den großen Tempel der Göttin Diana gestört. Der Verkauf von Götterstatuen und anderen Devotionalien sorgte in Ephesus für gute Gewinne. Wer aber an Jesus glaubt, kauft keine Diana-Statuen. Daher wurde der Apostel weggesperrt.
So sitzt Paulus hinter Gittern und wartet auf seinen Prozess. Er hat keine Ahnung, wie es für ihn ausgehen wird. Es geht um Leben und Tod. Doch die Angst um sich selbst beschäftigt ihn weniger als die Sorge um die Verkündigung draußen. In Ephesus sind alle möglichen Leute unterwegs, um Jesus Christus zu verkündigen. Da sind auch Frauen und Männer dabei, mit denen Paulus gar nicht gut kann. Die haben jetzt freie Bahn, denn dem Apostel sind ja im Wortsinne die Hände gebunden.
„Was tut’s aber?“, fragt Paulus. „Hauptsache die Verkündigung geht weiter! Wenn draußen in der Stadt Christus verkündigt wird, egal von wem und egal warum, „so freue ich mich darüber“. Nichts wünscht sich Paulus mehr, als dass alle Welt von Jesus Christus hört.
Was er sich für sich selbst wünschen soll? Da ist sich Paulus nicht sicher. Wenn er überlebt, kann er seine Arbeit als Missionar wiederaufnehmen! Gut so. Wenn er umkommt, weiß die ganze Welt, was ihm sein Glaube an Jesus Christus wert ist. Auch gut so! Denkt Paulus. Und er sagt: „Hauptsache, dass Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.“
So verbucht der Apostel sein Sterben als Gewinn. Ein Gewinn für sein großes Lebensziel: möglichst vielen Menschen sagen, an wen zu glauben sich lohnt.
Für diese Botschaft nähme Paulus den eigenen Tod in Kauf. Denn so wäre nur noch glaubwürdiger, was er allen sagen will: Wer richtig leben will, der muss mit Jesus Christus leben! Noch kürzer: „Christus ist mein Leben.“

Was ist Leben?So wenig Worte braucht Paulus, um zu beschreiben, was Leben ist. Extrem wenig Worte, wenn man bedenkt, wieviel derzeit geschrieben wird, um den Menschen beizubringen, was Leben ist oder wie sie leben sollen. Offensichtlich sind die Leute ratlos angesichts ihres Lebens. Sonst gäbe es nicht so viele Ratgeber fürs Leben. „Der Sinn des Lebens“ (T. Eagleton), „Schönes Leben?“ (W. Schmid), „Wie wollen wir leben?“ (P. Bieri) – nur drei Buchtitel aus den vergangenen Jahren.
Offensichtlich wissen die Leute nicht mehr, wie sie leben sollen. Zumindest scheinen sich alle zu fragen, ob das Leben nicht mehr bieten sollte, als einfach so vor sich hinzuleben. Klar, man wurschtelt sich schon irgendwie durch, aber das kann ja nicht alles sein! So landet man rasch bei der allgemein formulierten Frage: Was ist das eigentlich – Leben?

Leben ist …Auch die Antworten auf diese allgemeine Frage könnte man ganz allgemein formulieren:
• Skeptisch: Das Leben ist wie eine Hühnerleiter: kurz und besch…eiden.
• Oder dasselbe in vornehm mit Homer Simpson: „Das Leben ist ein Jammertal.“
• Oder mögen Sie’s lieber negativ formuliert: „Das Leben ist kein Ponyhof.“
• Wen viele Fragen umtreiben, der singt mit Hape Kerkeling: „Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten.“
• Es geht aber auch optimistisch, wie mit dem Titel der französischen Komödie, die unlängst im Kino lief: „Das Leben ist ein Fest.“
„Das Leben ist …“ – allgemeiner kann man’s nicht sagen. Der Haken daran: Wer eine einigermaßen vernünftige allgemeine Aussage über das Leben machen will, der müsste sein Leben eigentlich von außen betrachten. Das geht aber nicht.
Wer aber mitten im Leben steckt, der merkt ziemlich schnell: Die vielen verschiedenen Aspekte des Lebens fügen sich leider nicht zu einem zusammenhängenden Muster. Das Leben zeigt sich immer wieder anders. Es ist mal so und mal so. Es läuft mal in diese, mal in jene Richtung. Es scheint kein Zentrum zu kennen, von dem man sagen könnte: „Das ist das Leben.“
Paulus weiß das. Darum sagt er es nicht allgemein, sondern ganz persönlich: „Christus ist mein Leben.“ Im Griechischen ist das „mein“ sogar das erste Wort. Wörtlich steht da: „Mir – das Leben – Christus!“ Bei Luther: „Christus ist mein Leben.“

Leben ist nicht, was wir draus machenÄhnliche Aussagen sind ja oft zu hören: „Musik ist mein Leben“, singt Wolfgang Petry. „Sport ist mein Leben“, sagt Claudia Pechstein, die gerade erst mit 45 Jahren bei Olympia beim Eisschnelllauf antrat. Und über mancher Traueranzeige steht der nüchterne und auch ein wenig ernüchternde Satz: „Arbeit war sein Leben.“
Hätte Paulus auch so formulieren wollen, dann hätte er an die Philipper geschrieben: „Missionieren ist mein Leben“ oder „Wanderpredigen ist mein Leben“.
Paulus schrieb aber: „Christus ist mein Leben.“ Weil Paulus weiß: Das Leben ist nicht das, was wir draus machen. Ja überhaupt sollte das, was wir tun, nie unser Leben sein. Denn was ist, wenn wir es mal nicht tun können? Oder nicht mehr?
Was ist, wenn das Leben uns den Atem zum Singen raubt? Wenn wir zu langsam sind für Eisschnelllauf? Wenn uns die Kraft für die Arbeit fehlt? Was ist dann unser Leben?
Drum sagt Paulus. Das Leben ist nicht, was ich draus mache. Ein Anderer ist mir das Leben: Jesus Christus. Mir ist das Leben, was Christus mir ist.

Christus ist mein Leben –
Wer ist mir Christus?
Wenn ich also wissen will, was das Leben ist, dann muss ich fragen: Wer ist mir Christus? Auch da wären erneut mehrere Antworten möglich:
So könnte ich antworten: Jesus Christus ist mir ein moralisches Vorbild. So wie er war, möchte ich auch sein. So achtsam für sein Gegenüber, so wach für dringendes Leid, so wohltuend in dem, was er sagte, so hilfreich in dem, was er tat. So will ich auch sein, Jesus ist mir Vorbild in dem, wie ich lebe.
Da will man sofort zustimmen. Ja, von Jesus kann man lernen, gut zu leben. Von dem, was er tat, kann man sich einiges abschauen. Und wie er was redete, das könnte gerne in mein Reden einfließen.
Aber Vorsicht: Nicht umsonst lehrt uns die christliche Tradition, Jesus habe ohne Fehler gelebt. Wer leben will, wie der Sohn Gottes lebte, dem droht, sich am Leben zu verheben. Und er landet doch wieder bei der Auffassung, das Leben sei, was man draus macht – selbst, wenn man sich an Jesus Chris-tus als Vorbild orientiert.
Vielleicht sollten wir uns also nicht Jesus zum Vorbild nehmen und was er für das Leben der anderen Menschen machte. Wir nehmen uns stattdessen diese anderen Menschen zum Vorbild. Wir lernen von ihnen, wie sie Jesus Christus ihr Leben sein ließen. Die Bibel erzählt von so vielen Menschen, die eben dies hätten sagen können: „Du bist mein Leben.“
Wir nehmen uns den Aussätzigen aus dem Evangelium zum Vorbild. Der hatte nichts – außer allen Anlass zu sagen: „Sterben ist mein Gewinn.“ Doch, eines hatte er noch: Vertrauen. Er vertraute darauf, dass Jesus Christus ihm Heiland sein kann. In diesem Vertrauen kniete er vor Jesus nieder, und der gab ihm, was er so lange entbehrt hatte: eine Berührung. Gesundheit. Gemeinschaft. Da hatte er dann Anlass zu sagen: Christus ist mein Leben.
Wir nehmen uns Petrus zum Vorbild. Der hatte jämmerlich versagt. Wie furchtbar muss er sich geschämt haben angesichts dessen, dass er seinen Herrn dreimal verraten hatte. Doch dann ließ er sich nach Ostern von Jesus dreimal fragen: „Hast du mich lieb?“ Jesus wurde ihm zur Befreiung. Petrus ließ seine Gefühle von Scham und Schuld los. Er hatte ein neues Gefühl: „Du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Und er hatte die Hände frei, Neues anzupacken und für die ersten Christinnen und Christen da zu sein.
Wir nehmen uns Paulus selbst zum Vorbild. Der war ja völlig überzeugt, dass dieser Jesus-Glaube ein gefährlicher Betrug sei. Bis er dem auferstandenen Jesus selbst begegnete. Sein Leben schlug darauf eine ganz neue Richtung ein. Alles, was hinter ihm lag, war für ihn gestorben. Er ließ das Alte einfach los, ließ es hinter sich. Er ließ seine Überzeugungen von früher einfach sein. Er hatte ganz neue Ziele. Christus wurde ihm das neue Leben.
Viele weitere Beispiele wären möglich. Bei diesen dreien wollen wir es aber belassen:
• Christus ist mein Leben, denn er gibt meinem Leben, was es so dringend braucht: Berührung, Gemeinschaft.
• Christus ist mein Leben, denn er hilft mir frei zu werden von Gefühlen, die das Leben behindern. Er ersetzt sie mir durch seine Liebe, von der ich dann genug weiterzugeben habe.
• Christus ist mein Leben, denn er bewahrt mich davor, am Ziel des Lebens vorbei zu leben. Er zeigt mir, wo es langgehen sollte, damit es gut ausgeht.

Christus als Zentrum des Lebens„Christus ist mein Leben“, das heißt auch: Er bringt die vielen verschiedenen Aspekte des Lebens in einen Zusammenhang. Klar, das Leben zeigt sich weiterhin immer wieder anders. Es ist mal so und mal so. Es läuft mal in diese, mal in jene Richtung.
Aber es läuft nicht auseinander. Schlicht, weil Jesus Christus jetzt im Zentrum steht. Er hält zusammen, was zu meinem Leben gehört. Und klarer wird, was nicht dazu gehört, weil es nicht der Gemeinschaft mit Jesus Christus entspricht.
Letztlich liegt also schon darin der Gewinn, dass Christus mein Leben ist. Wer mit ihm lebt, der lernt, worauf es ankommt. Er lebt mit mehr Konzentration aufs Wesentliche. Mit mehr Orientierung auf das, was sich lohnt.
Paulus lernt sogar, dass er nicht einmal sein Leben festhalten muss, weil er weiß, wohin er stirbt. Am Ziel unseres Lebens wartet auf uns gewissermaßen der Hauptgewinn.
Auch das heißt gewinnorientiert leben: Lernen, was mit Blick auf die Ewigkeit Gewinn bringt. Und dann im Vertrauen auf Gott das Richtige tun und das Andere getrost lassen. Amen.

Liedvorschlag: Auf meinen lieben Gott; EG 345
An dieser Predigt haben mitgeschrieben: Terry Eagleton; Ulrich Parzany; Peter Pilhofer.


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