Lätare / 4. Sonntag der Passionszeit (26. März 2017)

Autorin / Autor:
Kirchenrat Dr. Ernst Michael Dörrfuß, Bad Urach [ErnstMichael.Doerrfuss@pastoralkolleg-wue.de]

Johannes 6, 52-66

„Fünf Brote und zwei Fische machten 5000 Menschen satt und heil…“ (Manfred Hausmann)Gerade eben waren es noch viele gewesen, liebe Gemeinde, am Ende sind‘s nur noch ein paar wenige, die weiter mit ihm unterwegs sind, Jesus weiter folgen. Die mit ihm den steinigen Weg hinauf nach Jerusalem gehen. Die ihn dann, ratlos geworden, doch verraten. Die Jesus im Stich lassen, ihn verlassen – um dann allem zum Trotz Zeuginnen und Zeugen seiner Auferweckung am ersten Ostermorgen zu werden. Die sehen, hören, spüren: Jesus lebt! Der wird fragen: „Kinder habt ihr nichts zu essen?“ (Joh 21,5). Und er lädt sie ein zu Brot und Fisch, lädt sie ein, sich satt zu essen, Hunger zu stillen.

„Viel Volk“ sei Jesus nachgezogen, so erzählt‘s der Evangelist Johannes (Joh 6,2). Und als die vielen Hunger hatten, da leiht er sich von einem Kind fünf Gerstenbrote und zwei Fische, lässt seine Jünger austeilen – und am Ende kann man zwölf Körbe mit Brocken einsammeln.
Brot und Fisch im Überfluss schenkt Jesus.

Ja, er schenkt sich selbst: „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35.48), lässt der Evangelist Johannes Jesus sagen. Und weiter: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.“ (Joh 6,51)
So hält‘s der Evangelist Johannes fest: Jesus lädt ein, ihn sich ganz buchstäblich einzuverleiben.

Er, Jesus, verbindet mit der Einladung, ihn sich ganz buchstäblich einzuverleiben, ein Versprechen: „Ich bin das Lebensbrot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wenn jemand von diesem Brot isst, wird er in Ewigkeit leben“ (Joh 6,51; BasisBibel).
Die Einladung Jesu und sein Versprechen führen zur Auseinandersetzung, zum Streit. Mit dieser Auseinandersetzung setzt der uns für den heutigen Sonntag gegebene Predigttext ein. Nachzulesen ist er beim Evangelisten Johannes im sechsten Kapitel. Ich lese die Verse 52 bis 65:

„Da stritten die Juden untereinander und sprachen: Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?
Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht esst das Fleisch des Menschensohns und trinkt sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.
Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.
Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank.
Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.
Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen.
Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.
Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte.
Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?
Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß?
Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war?
Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.
Aber es sind etliche unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde.
Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.
Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm.“

… eine unerträgliche RedeWie kann dieser uns sein Fleisch, seinen Leib, zu essen geben – so die Frage derjenigen, die Jesus zuhören. An der Frage nach dem Essen also entzündet sich die Auseinandersetzung, der Streit.
Wobei wir merken, dass es bei dieser Auseinandersetzung um mehr geht. Beim Streit, von dem wir gehört haben, geht’s um die Frage des Lebens.

Und Jesus?

Der Evangelist Johannes lässt uns wissen, dass Jesus dem von seinen Worten ausgelösten Streit nicht ausweicht. Er gibt nicht einfach klein bei. Mit einer harten Rede nimmt er Stellung.
Um der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit willen sagt Jesus Dinge, die in den Ohren seiner eigenen Jünger unerträglich klingen. Um Gottes und der Menschen willen tut er das.
Um des einen Gottes willen, der das Leben will, der lebendig macht. – Der hier und heute lebendig machen, Leben schenken will. Indem er durch seinem heiligen Geist Mut macht, Kraft gibt, ein Lächeln schenkt, einen anteilnehmenden Blick, ein offenes Ohr oder eine ausgestreckte Hand.
Ganz konkret steht unser Gott so für Leben im Hier und Heute, ein. kostbares Leben.
Und gleichzeitig hält unser Gott über ein endlich-vergängliches Menschenleben hinaus Leben in seiner Nähe bereit. Ewiges Leben. Leben ganz in Gottes Gemeinschaft. Leben unlösbar mit Gott verbunden. Leben frei von Tränen und Tod, Leid, Geschrei und Schmerz (Offb 21).

Verbunden bleibenEs geht ums Leben. Jetzt schon geht es um ein Leben mit Jesus. Darum, mit Jesus verbunden zu bleiben, so wie Jesus sich mit seinen Menschen verbindet. Jesus – der weiß sich von Gott gesandt, von dem das Leben kommt. Er weiß sich gesandt vom lebendigen Vater, aus dem er lebt, durch den er lebt, von dem er lebt.
Deshalb kann der von Gott gesandte Jesus vom Brot reden, das vom Himmel gekommen ist, Brot, das vom Himmel herabkommt.
Deshalb kann Jesus ebenso kurz wie einprägsam sagen: „Ich bin das Brot des Lebens!“
Und erklären: „Wer dieses Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“

Wer dieses Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.
Was für ein Mutwort im Angesicht aller Mutlosigkeit, die auch in unseren Tagen um sich zu greifen droht. Weil das „Woher und Wohin“ unserer Welt einen erschrecken lassen kann, weil zu lähmen droht, wenn sich uns „kein Ziel und Sinn entdeckt“ (Arno Pötzsch; vgl. EG 542,2) – im eigenen Lebenslauf nicht und nicht in den Läufen dieser Zeit.

Wer dieses Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.
Was für ein Protestwort im Angesicht des leiblichen Hungers. Ganz konkret bedroht solcher Hunger in diesen Tagen im Südsudan, in Somalia, Nigeria und anderswo Millionen Menschenleben. Und das soll nach dem Willen Jesu nicht sein.
Was für ein Protestwort auch im Angesicht des Seelenhungers, der quält, der Nächte lang werden lässt und dafür sorgt, dass Frühlingssonnenstrahlen das Herz nicht erreichen können.

Verbunden mit Jesus, dem Leben der Welt – was für ein großer Gedanke angesichts aller Todesschatten damals wie heute.
Verbunden mit Jesus, dem Leben der Welt – was für ein Hoffnungsbild angesichts allen Sterbens. Des Sterbens von Menschen in der großen Welt, die Opfer von Krieg werden und Gewalt und ungerechten Verhältnissen. Des Sterbens von Menschen ganz in unserer Nähe, uns verbundenen Menschen, die uns ans Herz gewachsen sind, die aus dem Leben gerissen werden, deren Lebenskraft verbraucht ist.

Die Lebensfülle schmecken und sehen„Wer mein Leib isst und mein Blut trinkt, bleibt mit mir verbunden und ich mit ihm.“
Verbunden mit Jesus, das kann in den Tagen und Wochen der Passionszeit heißen: Den Weg von Jesus nach Jerusalem mitgehen, vor jenem letzten Weg nicht die Augen zu verschließen, der in den Tod führt – den Tod am Kreuz. Den Weg von Jesus, der durch den Tod ins Leben führt.
„Der Menschensohn steigt zum Himmel hinauf – dorthin, wo er vorher war“, so sagt’s unser Predigttext.

Verbunden mit Jesus sein, der das Brot des Lebens ist, das heißt: Mit beiden Beinen fest im Leben stehen und mit einem wachen Blick. Sich von Jesus die Augen öffnen lassen für die Not und die Nöte anderer, die Ohren für das, was mein Nächster mir zu sagen hat – so mit wachem Kopf und offenen Händen Schritte der Nachfolge zu gehen.

Verbunden mit Jesus, unterwegs mit ihm, stärkt er uns als Lebensbrot.
So haben wir Teil an der Lebensfülle, jetzt schon und bleibend. Jetzt schon und bleibend stellen wir allem Mangel dieser Welt die Fülle der Welt Gottes entgegen.
Gottes Fülle, die den Blick schon jetzt weitet, die sich schmecken lässt und sichtbar wird in einem Stückchen Brot und einem Schluck Wein oder Traubensaft.
Gottes Fülle, die dort greifbar wird, wo Menschen miteinander unterwegs sind, füreinander einstehen im Beten und im Tun des Gerechten. Wo Menschen miteinander lachen und weinen, Freude teilen und ihr Leid nicht für sich behalten, nicht für sich dahocken, sondern sich von Gott einladen lassen zum Fest des Lebens.
Amen.

Anmerkungen:
In der Predigt sind immer wieder Formulierungen der BasisBibel aufgenommen.
Die überkommene Abgrenzung der Perikope (Joh 6,55-65), die dem Revisionsentwurf der Perikopenordnung von EKD; UEK und VELKD zufolge zukünftig nur noch zu den „Weiteren Texten“ zählt, wird fast durchgängig problematisiert.
In seiner lesenswerten Meditation zum Sonntag Laetare 2011 hat Karl-Heinz Bieritz vorgeschlagen, in der Predigt das ganze Kapitel Joh 6 mitklingen zu lassen (vgl. Karl-Heinz Bieritz, Joh 6,55-65. Himmelsbrot als Gegenbild, in GPM 65 [2010], 178-184]).



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