Lätare / 4. Sonntag der Passionszeit (27. März 2022)

Autorin / Autor:
Prälat i.R. Dr. Christian Rose, Eningen [christian@rose-eningen.de ]

2. Korinther 1,3-7

IntentionIn unsicheren Zeiten sehnen wir uns danach aufatmen zu können. Die Bibel verwendet dafür das Wort »Trost«. Am Sonntag Lätare will ich mit Paulus einstimmen in das „Hohelied des Trostes“ und mich an der Osterfreude erfreuen.

Lätare – Freude in unsicheren Zeiten?„Freut euch!“ Dazu lädt uns der Sonntag Lätare ein. Mitten in der Passionszeit. „Freut euch!“ Es klingt wie eine Aufforderung. Lässt sich Freude in unsicheren Zeiten befehlen? Schalter umlegen, und dann wird alles gut? Wohl kaum, so einfach ist es nicht: Das Lebensgefühl vieler Zeitgenossen beschreibt eher Marc Chagalls berühmtes Gemälde »Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer«. Flutkatastrophen reißen Menschen, Tiere und Häuser mit sich. Die Sorge wegen des Krieges in der Ukraine treibt uns um. Wie wird das weitergehen? Die weltweite Pandemie nimmt immer noch die Luft zum Atmen. »Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer.« Wo finden wir Ankerplätze für unsere aufgescheuchten Seelen? Was tröstet in unsicheren Zeiten?

Das „Hohelied des Trostes“Am Sonntag Lätare, dem kleinen Osterfest mitten in der Passionszeit, hören wir auf Paulus. Er hat in unsicherer Zeit ein „Hoheslied des Trostes“ angestimmt. Das verwundert, denn der Apostel hatte eine harte Zeit durchlebt. Gezeichnet war er von einer schweren Krankheit, die er trotz aller Gebete nicht losgeworden ist. Er bangt um sein Leben, fleht um Genesung. Woher kommt ihm Hilfe? Wer tröstet ihn? Er hatte auf die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth gehofft. Doch dort gab es Konflikte und Streit. Zu alledem wurde er verspottet, er sei eine erbärmliche Gestalt. Das hat bei Paulus Spuren hinterlassen. Er spürte seine Schwäche und sehnte sich danach, dass Gott ihm Kraft schenkt. In solchen Situationen liegt es nahe zu jammern, zu klagen, zu protestieren. Aber Paulus lobt (2. Kor 1,3-7):

"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil; werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil."

Können wir einstimmen?Mitten in schwerer Zeit singt Paulus ein „Hoheslied des Trostes“. Ich bin beeindruckt: Zehn-mal schreibt er in diesem kurzen Abschnitt vom „Trost Gottes“. Fast klingt es so, als ob sich der Apostel selbst davon überzeugen müsste. Und er schreibt es den zerstrittenen Korinthern und uns ins Stammbuch: „Vertraut doch auf den Trost Gottes!“ Können wir das mitsprechen? Wenn wir am Bett eines schwerkranken Menschen sitzen? Und ihm wünschen, dass er genesen oder friedlich einschlafen darf? Können wir darauf vertrauen, wenn wir für den Frieden in der Welt beten? Bei den Reutlinger Montagsgebeten am Baum der Religionen stehen Menschen aller Kulturen und Religionen zusammen und bitten für die politisch Verantwortlichen: Bleibt besonnen, seid weise, respektiert einander. Habt Ehrfurcht vor dem zerbrechlichen Leben. Vergesst nicht, jedes einzelne ist ein Geschenk. Wir haben es uns nicht selbst gegeben. Wir haben nicht das Recht, andere zu verletzen.
Vielleicht ist das der tiefste Grund dafür, dass Paulus auch in bedrängenden Zeiten lobt: „Gelobt sei Gott!“ Das hat Paulus von Kindesbeinen an gelernt und mitgesungen im Chor der Psalmbeter: „Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Gott, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes: Gott erbarmt sich über uns Menschen wie ein Vater über seinen Kindern, er tröstet wie eine Mutter.
Vertraut auf den Trost Gottes! Das gibt dem Apostel den letzten Halt in bedrückenden Zeiten, die von „Leiden“ (viermal im Text) und „Trübsal“ (dreimal) geprägt sind. Und zugleich schreibt da einer, der Hoffnung in sich trägt. Hoffnung, die verankert ist im Vertrauen auf Gott, der die Toten auferweckt, und in der Verbundenheit mit Christus: „Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.“ Hoffentlich weckt er tröstliche, österliche Zuversicht, die Wirklichkeiten verändert.

Trost lässt aufatmenDie biblischen Begriffe für „Trost und trösten“ haben einen weiten Bedeutungsumfang. Tröstliche Worte gehen zu Herzen. Oft beschreiben sie zugleich auch das rettende Eingreifen Gottes in Notsituationen. So erlebte es Israel im Exil (Jes 40,1f): „Tröstet, tröstet mein Volk, … denn die Leidenszeit hat ein Ende.“ Und das erflehten die Psalmbeter Israels in auswegloser Bedrängnis (Ps 86,17): „Tu an mir ein Zeichen zum Guten …, dass du, Jahwe, mir hilfst und mich tröstest.“ Mit der Not sind oft Angst und Enge verbunden, die die Luft zum Atmen nehmen. In der biblischen Sprache umschreibt „trösten“ auch die Erleichterung nach einem tiefen Atemzug. Gottes Trost lässt aufatmen (1. Kor 13,4): „Die Liebe hat den langen Atem.“ In der Not braucht es langen Atem, um Trost zu erfahren (2. Kor 1,6):
„Haben wir Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil, haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit langem Atem (mit Geduld) dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.“
Paulus ist überzeugt: Trost verändert die Lebenswirklichkeit. Das verbindet ihn mit dem „Trostbuch Israels“, das uns der Prophet Jesaja überliefert (Jes 40ff). Dort lesen wir einfühlsame Fragen an das Volk in der Not (Jes 40,27-31): „Warum weinst du?“ Und den Zuspruch: Gott schenkt den Müden Kraft, so dass sie laufen können und auffahren mit Flügeln wie Adler. Gottes Trost lässt aufatmen, er schenkt Widerstands- und Trotzkraft zum Aushalten. Befehlen lässt sich das nicht. Aber wir können Antworten suchen auf die Frage:
Trost im Leben, Leiden und im Sterben
„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Der Heidelberger Katechismus beantwortet seine berühmte Eröffnungsfrage: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.“ Paulus hätte seine Freude dran. Und was antworten wir? Was tröstet und stärkt uns? Was lässt uns aufatmen? Woher nehmen wir unsere (Trotz-)Kraft?

(Hier könnten Antworten aus der Gemeinde Raum haben.)

»Trotz alledem«. Wohl überall auf der Welt gibt es Trost- und Trotzkraft gegen das Verzagen. Manchmal erzählen Bilder davon. Eines habe ich in einer Wochenzeitung entdeckt: Eine kleine Gruppe von Menschen sitzt unter freiem Himmel auf Bänken, die in Bad Neuenahr aus einer überfluteten Kirche geräumt wurden. Wenige Meter haben im Ahrtal darüber entschieden, ob eine Familie Hab, Gut und liebe Menschen verloren hat oder ob sie mit Zuversicht auf die Beseitigung der Schäden warten kann. Der Journalist erzählt von Trost und Hoffnung, die die viele Helferinnen und Helfer ins Tal gebracht haben. Und davon, dass selbst Christen aus Afrika 20.000 Euro für die Flutopfer spendeten. In der einzigen evangelischen Kirche, die im Ort von der Flut verschont blieb, feiert die Gemeinde zum ersten Mal seit langem einen Tauf- und Abendmahlgottesdienst. Wasser als Segensgeste und Hoffnungszeichen über den Köpfen der beiden kleinen Täuflinge. Mit Wein gebackene Oblaten werden in Tüten ausgeteilt. Der Zeitungsbericht liest sich wie eine kleine Trost- und Trotzgeschichte in unsicheren Zeiten.

Trotz- und Trostkraft gegen das VerzagenFreude und Trost lassen sich nicht befehlen. Aber es gibt Geschichten und Sätze, die zum Trost und zum Ankerplatz werden im Fluss ohne Ufer. Zum Beispiel die: „Meinen Hass bekommt ihr nicht“, das war die bewegende Antwort des französischen Journalisten Antoine Leiris, der bei den Pariser Attentaten im November 2015 seine Ehefrau und die Mutter seines kleinen Sohnes Melvil verloren hat. Er will sich nicht beugen vor dem Terror der Welt. „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Trotz gegenüber der rauen und absurden Wirklichkeit. Trotz, der zum Trost und zum Mut wird. Wenn sich Angst und Trauer in Zuversicht verwandeln und so gleichsam zu einem Teil von uns selber werden, dann – so formuliert es das alte Wort von Martin Luther – sind wir getrost. Am Sonntag Lätare schenkt uns das „Hohelied des Trostes“ einen Vorschuss auf die Osterfreude. Schenke es Gott, dass aufgescheuchte Seelen im reißenden Fluss unserer Tage einen festen Anker finden und das Herz Trost im Leben und im Sterben. In der Sprache der Psalmen gesagt (Ps 27,13f):
„Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde, die Güte des HERRN im Lande der Lebendigen. Harre des HERRN! Sei getrost und unverzagt und harre des HERRN!“
Amen.

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