Jahreslosung (01. Januar 2019)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Arnold, Stuttgart [praelatur.stuttgart@elk-wue.de]

Psalm 34, 15

IntentionIn dieser scheinbar friedlosen Welt ist schon Gottes Frieden. Wir können ihn entdecken. Wir können selbst Frieden schaffen. Vor allem aber: Wir können ihn jeden Tag neu von Gott empfangen. Sein Friede wird zu einem guten Ende bringen, was uns jetzt noch unerlöst erscheint.

Die Jahreslosung – eine gute ParoleLiebe Gemeinde, ich hoffe, Sie sind gestern Nacht gut ins neue Jahr hineingekommen. Und nun ist also ein neues Jahr und eigentlich ist alles wie immer. Hoffentlich jedenfalls. Hoffentlich sind Sie heute Morgen neben demselben geliebten Menschen aufgewacht wie in den vergangen 365 Tagen. Hoffentlich steht der Esstisch noch am selben Platz und der Schlüssel liegt wie immer neben dem Telefon. Was also ist neu am neuen Jahr? Die guten Vorsätze? Auch das ist wohl eher ein jährlich wiederkehrendes Ritual mit geringer Halbwertszeit. Was also ist neu?
Für uns als Christen gibt es immerhin jedes Jahr eine neue Jahreslosung. Die Jahreslosungen gibt es seit 1934. Initiator war der Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller, der zur Bekennenden Kirche gehörte. Als Direktor des Reichsverbands der evangelischen Jugend wollte er den NS-Parolen einen Bibelvers entgegenstellen und erfand die Tradition der Jahreslosungen. Heute müssen wir uns keinen NS Parolen mehr entgegenstellen, aber die Jahreslosung bietet uns einen Raum, den wir im Lauf des Jahres abschreiten. Ein Thema, ein gutes Wort, das uns immer wieder einfallen soll – ach, da war doch was. Deswegen hängen die Jahreslosungen in so vielen Kirchen, Gemeindehäusern und auch in manchen Büros. Diese Losungen werden schon Jahre vorher ausgesucht und erstaunlicherweise gibt es dann doch immer einen aktuellen Bezugsrahmen. So wie in diesem Jahr: „Suche den Frieden und jage ihm nach.“

Die Sehnsucht nach Frieden ist hochaktuellNun werden Sie einwenden: „Mit dem Frieden ist das ja nicht so schwer.“ Das stimmt. Die Sehnsucht nach Frieden ist so alt wie die Menschheit. Aber im vergangenen Jahr haben wir uns mit Entsetzen an das Wüten und Sterben, die Schmerzen und den Tod erinnert, an das Ende des Ersten Weltkriegs. Wir haben der unermesslich vielen Toten in Europa gedacht. Zugleich haben wir uns wieder deutlich gemacht, wie lange wir nun in Deutschland schon in Frieden leben. Wie dankbar sind wir für unsere Freiheit, den Frieden und die Demokratie, in der wir leben. Zugleich spüren wir vielleicht stärker als in früheren Jahren, wie bedroht der innere Frieden in unserem Land ist. Nach dem Sommer der Barmherzigkeit und der offenen Grenzen für die vielen Menschen auf der Flucht begann sich im Winter 2015/16 etwas zu drehen. Die Stimmung wurde gekippt und plötzlich wurde es salonfähig, mit rechten und ausländerfeindlichen Parolen durch die Straßen zu ziehen und Unfrieden und Hass zu schüren.
Und heute lese und höre ich, wie sehr muslimische Menschen bei uns sich angefeindet und bedroht fühlen. Wie groß sind ihre Sorgen und ihre Angst! Die menschenverachtenden Parolen von Rechtsextremen. Die ausländerfeindlichen Parolen auch in unseren Parlamenten. Die versteckten Angriffe auf dem Schulhof oder im Büro. Das alles verängstigt und verstört unsere muslimischen Mitbürger. Und genauso geht es unseren jüdischen Schwestern und Brüdern. Nicht umsonst hatten die Reden in den Synagogen des Landes am 8. November einen neuen, ganz anderen und sehr besorgten Ton. In unserem Land leben nicht wenige Menschen, die wieder Angst haben und ja auch tatsächlich Opfer von verbaler und manchmal auch tätlicher Gewalt werden. Also eine hochaktuelle Jahreslosung. Eine, die uns als Christen herausfordert, uns mutig gegen Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus zu stellen und zu engagieren. Wir wissen: Unser Platz ist an der Seite derer, die sich wieder oder erstmals fürchten. Die Jahreslosung 2019 zeigt uns unseren Platz und fordert uns auf, vielleicht mutiger als in der Vergangenheit und bewusster und eindringlicher dem Frieden nachzujagen. Nicht lauter, aber deutlicher und öffentlich vernehmbar. So suchen wir den Frieden in unserem Land.

Den Frieden im Alltag entdeckenAber der Frieden hat ja auch noch ganz andere Seiten. Eine private und eine tief innerliche und eine große Hoffnung am Ende der Zeiten. Suche den Frieden. Das heißt doch irgendwie: Er ist schon da. Ich habe ihn offenbar nur aus den Augen, aus dem Sinn verloren.
Kennen Sie die Kleinanzeigen an den Schwarzen Brettern in Lebensmittelläden oder beim Kinderarzt? Suche –Biete!
Wie wäre es, wenn ich da den Frieden suchte?
Neben „Suche Fahrrad, Kinderwagen, Lexikon“ und „Biete Dreirad, Babykleidung, Bücherregal“ hänge ich da in diesem Jahr vielleicht einen kleinen Zettel hin: „Suche den Frieden, jage ihm nach.“ Jemand sucht den Frieden, etwas, das es schon gibt, irgendwo. Und alle, die am Schwarzen Brett vorbeikommen, könnten ein Zettelchen abreißen und unter der angegebenen E-Mail-Adresse ihre Friedenserfahrung hinterlassen – als das langersehnte Enkelkind gesund und munter da und alle Sehnsucht erfüllt war. Als ich mich mit der Freundin nach Monaten enttäuschten Schweigens endlich ausgesprochen habe und wir wieder miteinander gelacht haben. Als zum Geburtstagsfest die ganze Familie an einer Tafel saß.
Das sind Momente des Friedens, denen sich nachzujagen lohnt. Erfahrungen, die den großen Frieden aufscheinen lassen. Das sind Erlebnisse, auf die wir am Beginn eines neuen Jahres hoffen können und die wir, wenn sie uns denn geschenkt werden, ernst nehmen und nicht klein achten sollen. Es gibt so viele Friedensmomente zu entdecken und dann auch davon zu erzählen. Nicht nur vom Unglück reden, sondern auch vom Glück. Nicht nur vom Streit berichten, sondern auch von der Versöhnung. Nicht nur den Weltfrieden herbeisehnen, sondern auch den im Haus, am Esstisch und in der Schule. Das wäre eine echte Aufgabe für 2019. Wir suchen Friedensgeschichten und schreiben sie uns ins Herz oder in ein Friedensbuch oder neben die [Tages]Jahreslosung. Damit wir sie nicht vergessen.
Und wir machen Frieden. Denn manchmal ist es freilich auch an uns, als erste die Hand zu reichen und zu sagen: „Verzeih mir.“ Damit es wieder Frieden wird. Damit wir uns wieder in die Augen schauen können und zusammen weiterarbeiten: im OP, im Lehrerzimmer und im Kirchengemeinderat.

Der Friede Gottes ist schon in dieser WeltUnd dann ist da noch ein ganz anderer Friede und der ist schon in der Welt und den können wir nicht machen. Der Psalm 34, aus dem unsere Jahreslosung stammt, ist ein großes Lob Gottes. Gott, der da ist und beschützt und behütet. Der seinen Frieden wie einen Mantel um unsere unfriedliche Welt legt. Der seinen Frieden wie ein unzerstörbares, leichtes Tuch um meine Schulter legt. Der Friede Gottes ist mit allen Sinnen zu greifen und zu begreifen. Schmecket und seht, wie freundlich der Herr ist, heißt es nur wenige Verse vor unserer Jahreslosung. Ja, Gott hat seinen Frieden mit mir gemacht. Ich spüre das im Geschmack des Brotes und im Wein bei jedem Abendmahl. Aber auch wenn ich voll Freude in einen Apfel beiße oder nachher in die Neujahrsbrezel. Wir schmecken Gottes Frieden und seine Freundlichkeit nicht nur in der Kirche, sondern ganz elementar in allem, was uns zum Leben dient. In allem, was uns im Leben freut und beglückt. Der Friede Gottes ist schon in der Welt und wir leben und atmen in ihm. Dieser Friede ist der innere Grund unseres Vertrauens und unseres Glaubens. Weil Gott es gut mit mir meint, weil er seinen Frieden mit mir gemacht hat, darum darf ich leben. Erlöst, befreit und heiter auch 2019.
Friede sei mit dir, sagt Jesus, als er den Jüngern am Ostermorgen erscheint. Ja, der Friede Gottes ist da. Welch ein Glück!

Der Friede Gottes bringt alles zu einem guten EndeUnd dieser Friede Gottes, der wird eines Tages all das zu einem guten Ende bringen, was jetzt noch so unerlöst, so unfriedlich ist. Mein Herz und die ganze Welt. Der Weg Gottes mit uns und seiner Welt hat ein Ziel. Gott wiederholt nicht alles in einer Endlosschleife. Wir gehen nicht im Kreis, sondern wir gehen auf Gottes Frieden zu. Am Ende der Zeiten hat Gott uns und aller Welt Frieden versprochen. Wie er das anstellen will, das weiß ich nicht. Aber das muss ich auch nicht. Ich bin nicht Gott und darf ihm das getrost überlassen. Er ist der Trost der ganzen Welt und nicht ich. Manchmal ahnen wir freilich etwas von diesem ewigen und ganz anderen umfassenden Frieden. Und dann ist das wie ein Geschenk aus einer anderen Welt. Ich erinnere mich an ein Sterbezimmer. Es war, als läge ein ganz tiefer Friede im Raum und in den Zügen des Gestorbenen. Ein Frieden, der sich auch in mein Herz ausgebreitet hat und den ich noch immer spüre, obwohl es schon viele Jahre her ist. Es war wie ein Glänzen, ganz ruhig, und es erfüllte alles. Und alle wurden plötzlich ganz leise und lächelten unter Tränen. Vielleicht ist es so oder auch ganz anders. Aber diese Erfahrung des Friedens, sie bleibt mir und geht mit mir und lässt mich immer wieder hoffen auf Frieden und Erlösung. Ich bin sicher, auch Sie haben eine Erfahrung des Friedens in Ihrem Herzen, die zu suchen sich lohnt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Heute und morgen und im ganzen neuen Jahr. Gebe Gott, dass es ein friedliches Jahr werden wird.
Amen.

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