Invocavit / 1. Sonntag der Passionszeit (10. März 2019)
Prälat i.R. Dr. Christian Rose, Eningen [christian@rose-eningen.de ]
Hebräer 4, 14-16
IntentionDie Predigt will das Vertrauen auf Gottes himmlische Verheißungen stärken. Wir sehnen uns nach einem Brückenbauer zwischen Himmel und Erde. Die Feier von Gottesdiensten eröffnet uns neue Perspektiven.
Wo berühren sich Himmel und Erde?Auf Bergen fühle ich mich manchmal dem Himmel näher. Wenn ich in meiner Heimatstadt Göppingen den Hohenstaufen besteige, mache ich diese Erfahrung. Der Hohenstaufen ist neben dem Rechberg und dem Stuifen einer der drei „Kaiserberge“ zwischen Fils- und Remstal. Er ist gerade mal 684m hoch. Dort residierten einst die alten Staufer in ihrer Stammburg. Ausgesetzt vor dem Albtrauf, erinnern Ruinen an die alte Schutz- und Trutzburg. Vielleicht wollten ja auch die Staufer dem Himmel näher sein. Heutzutage steht dort ein kleines Gipfellokal. Es trägt den Namen „Himmel und Erde“.
Dass Himmel und Erde sich berühren, manchmal sehne ich mich danach. Dass Gottes himmlische Welt hereinreicht in meinen Alltag. Dass unsere irdische und so gefährdete Welt zum Guten verändert wird. Dass Schwaches stark wird. Und dass ich Hilfe finde zur rechten Zeit. Wie kann das gehen?
Den Himmel erdenDer Hebräerbrief erzählt davon. Er verbindet auf geheimnisvolle Weise Himmel und Erde, Gegenwart und Zukunft, Gott und uns Menschen. Hören wir ein paar Verse (Hebräer 4,14-16 verlesen):
14Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. 15Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 16Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.
Himmlische Einblicke des GlaubensDer Hebräer erzählt, wie sich Himmel und Erde berühren. Er lädt uns ein, mit den Augen des Glaubens in den Himmel zu schauen. Aber was heißt das: In den Himmel schauen?
Die deutsche Sprache kennt nur ein Wort für Himmel. Die englische Sprache unterscheidet zwischen sky und heaven. Ich stell mir vor, wir stehen auf dem Hohenstaufen und blicken zum Firmament empor. Unsere Augen sehen die Wolken des Himmels oder sein strahlendes Blau. Das nennt der Engländer sky. Alles, was wir mit dem bloßen Auge über uns sehen.
Der Hebräerbrief schenkt uns einen tieferen Einblick: Der Glaube schaut in die himmlische Welt. Auf das, was Gott dort bereithält: die himmlische Heimat. Das himmlische Jerusalem, den himmlischen Thronsaal Gottes. Der Glaube darf schauen: Es gibt einen neuen Himmel und eine neue Erde. Und im himmlischen Thronsaal werden wir ein Fest feiern. Den ewigen Sabbat. Das nennt der Engländer heaven. Mit den Augen des Glaubens spickeln (spähen) wir hinein in die himmlische Welt.
Das ist ein wunderbarer Perspektivwechsel. So beginnt die Passionszeit, die irdische, schmerzvolle Leidenszeit Jesu. Himmel und Erde berühren sich. Der Hebräerbrief schenkt uns einen Blick in den Himmel. Genauer, in den himmlischen Thronsaal Gottes. Das mag uns befremden. Und doch öffnet er eine neue geheimnisvolle Perspektive. Hinterm Horizont geht´s weiter. Mit Worten des Hebräerbriefes gesagt: Wir haben einen großen Hohenpriester, der die Himmel durchschritten hat. Was aber macht ein Hohepriester? Im Jerusalemer Tempel war der Hohepriester einer, der für das Volk und für sich selbst geopfert hat. Das war einer, der den Weg in die Gegenwart Gottes eröffnet hat. Das überträgt der Hebräerbrief auf Jesus.
Jesus, der Brückenbauer zwischen Erde und HimmelDie alten Sprachen der Bibel helfen manchmal, Geheimnisvolles besser zu verstehen. Wo Martin Luther vom Hohenpriester spricht, heißt es in der lateinischen Übersetzung: Pontifex, Brückenbauer. Der Hohepriester ist ein Brückenbauer zwischen den Welten.
Jesus leidet auf Erden. Zugleich ist er ein himmlischer Hoherpriester. Er ist ein Pontifex, ein Brückenbauer zwischen Himmel und Erde. Er hat die Himmel durchschritten und steht im Thronsaal Gottes. Dort gibt er sich hin, dort steht für uns ein. Weil er die menschliche Schwachheit kennt. Die menschliche Sünde steht uns vor Augen, im Großen wie im Kleinen. In den Ungerechtigkeiten dieser Welt: Wenn die Starken die Schwachen ausbeuten. Wenn Despoten ihr Volk unterdrücken. Wenn Terror Menschen aus ihrer Heimat vertreibt. Wenn Korruption und Misswirtschaft Menschen die Lebensgrundlage rauben. Wenn Raubbau die Erde zerstört. Und auch im Alltag unserer kleinen Welt: Wenn einer den anderen betrügt. Wenn ein böses Wort tief verletzt oder jemand zu Unrecht beschuldigt wird.
Unterwegs auf der Erde, verankert im HimmelIn der Adressatengemeinde des Hebräerbriefes lebte der Zweifel, dass Gott sich zurückgezogen, dass er sein Volk vergessen hat. Es sich selbst überlässt. Der Hebräerbrief ist eine Predigt an eine angefochtene, an eine verzagte Gemeinde. Wahrscheinlich lebte sie in Rom in äußerer Bedrängnis. Sie war eine kleine Minderheit in der Hauptstadt des Römischen Reiches. So genau wissen wir das nicht. Aber wie es ihr ging, davon erzählt der Hebräer: Die kleine Gemeinde war Repressalien ausgesetzt, manche wurden in der Arena zum Schauspiel gemacht, andere mussten ihren Besitz hergeben. Wer also will es verdenken, dass Gemeindeglieder verzagte Herzen, schwankende Knie, müde Hände haben. Das bestimmt den Alltag der Gemeinde.
Mitten hinein in diese angefochtene Situation schreibt der Hebräer ein „Wort tröstlicher Ermahnung“. So hat man damals in der jüdischen Synagoge die Predigt bezeichnet: „Wort tröstlicher Ermahnung“. Menschen brauchen beides: Viel Trost und manchmal auch Ermahnung. Zu Beginn der Fasten- und Passions-Zeit erinnert der Hebräer seine Predigthörer und uns, was uns in Jesus Christus geschenkt ist. Jesus ist himmlischer Hoherpriester und zugleich unser irdischer Bruder. Er ist ein Brückenbauer, ein Pontifex in die himmlische Welt. Er hat uns Menschen den Weg dorthin eröffnet. Und – so heißt es an einer Stelle in der alten Predigt – er schenkt unserer Seele einen Anker im Himmel. Jetzt schon, im Glauben. Unterwegs auf der Erde, verankert im Himmel. So berühren sich Himmel und Erde.
Feiert zuversichtlich und getrost GottesdienstUnterwegs auf der Erde, verankert im Himmel. Eine schöne biblische Verheißung bis auf den heutigen Tag. Der Hebräerbrief will die bedrängte Gemeinde trösten. Und er ermahnt sie: Steht zusammen, gebt nicht auf. Feiert eure Gottesdienste. In jedem Gottesdienst – das ist die geheimnisvolle Botschaft an die Gemeinde damals und heute – in jedem Gottesdienst seid ihr mit einem Fuß in der himmlischen Welt. Ihr tretet hinzu zum Thron der Gnade und erfahrt Hilfe zur rechten Zeit. Es gab in der »Zeit der Väter und Mütter Israels«, in der Zeit der »Schwestern und Brüder der Hebräerbrief-Gemeinde« bedrückende Gründe zu resignieren, den Glauben aufzugeben, vom Wort der Verheißung oder dem Bekenntnis zu Christus abzufallen. Die Glaubensgeschwister im Nahen Osten oder in Afrika erleben das heute in einer sehr bedrängenden und lebensbedrohlichen Situation, die der Hebräerbrief-Gemeinde sehr nahe ist. Von verfolgten Christen hören wir immer wieder: Vergesst uns nicht. Betet für uns. Besucht uns.
Uns geht es äußerlich gut, Gott sei Dank. Und doch gibt es manchmal Mutlosigkeit in unseren Gemeinden. Weil wir als Kirche kleiner werden. Weil irdische Sorgen mit Recht und guten Gründen den Blick in die himmlische Welt trüben. Zu Beginn der Passionszeit lenkt der Hebräer unsere Blicke in den Himmel: Werft euer Vertrauen nicht fort, so ermahnt er seine Hörer und uns. Christus der Brückenbauer, verbindet euch in eurer irdischen Not mit der himmlischen Welt Gottes. Unterwegs auf der Erde, verankert im Himmel. Das tröstet, ermutigt und stärkt mich. Es ist ein geheimnisvoller Blick über meinen Tellerrand hinaus. Schaut auf Jesus, der die Himmel durchschritten hat. Der Blick auf den Brückenbauer in die himmlische Welt. Zu Beginn der Passionszeit ein Wort tröstlicher Ermahnung, das eine neue Perspektive schenkt: Feiert zuversichtlich und getrost eure Gottesdienste. Vielleicht ja auch unter freiem Himmel, auf der Spielburg, unterhalb des Hohenstaufen. Und dann vertraut darauf, dass sich da Himmel und Erde berühren.
Lied nach der Predigt: Wo Menschen sich vergessen Wwdl 93
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