Invocavit / 1. Sonntag der Passionszeit (10. März 2019)
Pfarrer Konrad Autenrieth, Kernen [Konrad.Autenrieth@elkw.de]
Hebräer 4, 14-16
IntentionDie vielen von uns fremde Sprache und Gedankenwelt des Hebräertextes hat mich bewogen, der Textlesung das Fasten-Thema voranzustellen. Passions- und Fastenzeit bedeutet ja für uns, unsere eigenen Grenzen und unsere eigene Verfasstheit als Sterbliche ins Auge zu fassen. Dies aber mit Blick auf den Weg und das Kreuz Jesu. In einzigartigem Gottvertrauen hat er den Tod auf sich genommen und überwunden. So hat er uns ermutigt, gelassen auch unsere Kreuze zu tragen. So ist er für uns zum Brückenbauer ins unvergängliche Leben Gottes geworden.
Liebe Gemeinde,
am vergangenen Aschermittwoch hat die Fastenzeit angefangen. Die Zeit der Vorbereitung auf Ostern hin, die Passionszeit. 7 Wochen sind dafür vorgesehen.
Früher freilich wurden die kirchlichen Fastenvorgaben sogar von der weltlichen Obrigkeit scharf kontrolliert. Heute ist alles frei. Heute ist es der Entscheidung des Einzelnen überlassen, ob er oder sie diese Zeit ernsthaft nutzen will, d.h. die 7 Wochen etwas anders zu leben als sonst im Jahr. Viele auch in unseren evangelischen Gemeinden sind so klug, mal die 7 Wochen auf etwas zu verzichten. Sie wollen innere Freiheit erleben. Andere nehmen sich die 7 Wochen lang bewusst Zeit für etwas, was sonst immer zu kurz kommt: Briefe schreiben, Musik machen, Bibel lesen.
Luther hat es in einer berühmt gewordenen Predigt zum heutigen Sonntag im Jahr 1523 sehr ungeschönt und klar gesagt, was in der Passions- und Fastenzeit zu bedenken ist:
„Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert und keiner wird für den anderen sterben... Ein jeder muss für sich selbst auf der Schanze stehen in der Zeit des Todes. Ich werde dann nicht bei dir sein, noch du bei mir. Deshalb muss jedermann die Hauptstücke, die einen Christen angehen, genau wissen, um gerüstet zu sein...“
Luther stand zu jener Zeit in scharfem Konflikt mit den sogenannten Schwärmern –heute würde man sie vielleicht charismatische Fanatiker nennen. Sie verkündeten voll Überschwang, dass Auferstehung schon heute und für alle gilt. „Wir leben schon in der neuen Welt Gottes“, davon waren sie überzeugt. „Leute, diese Sitten und Bräuche, die bestehen eh nicht mehr lang: Beichte, Fasten, das könnt ihr machen oder auch nicht. Die Weltherrschaft Christi ist zum Greifen nah!“ Sie forderten ihre Mitchristen sogar auf, auch die Wehrpflicht zu verweigern. Sie stürmten in ihrer Euphorie die traditionellen Gottesdienste und Messfeiern, feierten das Abendmahl nach völlig eigenen Vorstellungen.
Luther saß – als er von diesen Vorgängen hörte – damals noch unter dem Schutz des sächsischen Kurfürsten auf der Wartburg. Doch nun wollte er früher als beabsichtigt nach Wittenberg zurückkehren. Luther fühlte die Verpflichtung, den Einfluss dieser Leute einzudämmen, das drohende Chaos zu verhindern. Er war fest davon überzeugt, dass sie der Sache des Glaubens überhaupt einen schlechten Dienst erwiesen. Christsein -so seine Überzeugung – ist kein Auftrumpfen, keine geschwellte Heldenbrust, sondern Erfahrung der Rettung, Christen sind nicht mehr verloren. Sie sind geliebt von Gott. Gott ist ihnen ganz nah.
Der Predigttext heute sagt genau dies: Menschen, die zu Christus gehören sind gut dran, nicht weil sie von sich aus so stark und gut sind, sondern weil gut für sie gesorgt ist.
Im sogenannten Hebräerbrief lesen wir im 4. Kapitel, die Verse 14 bis 16:
„Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern einen, der auf die Probe gestellt ist wie wir – doch ohne von Gott abzufallen.
Darum lasst uns mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade kommen, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.“
Drei Gedanken aus diesem Bibelwort möchte ich herausgreifen:
Christen sollen um ihre Schwachheit wissenIm Allgemeinen ist Schwachheit kein beliebtes Thema. Schwach sind nach Möglichkeit lieber die anderen. Das Thema Schwachheit liegt meist im toten Winkel der allgemeinen Wahrnehmung.
Im Sport ist es augenfällig. Wer einen schlechten Tag erwischt, hat die ganze Saison umsonst trainiert. Ein Fußballtrainer, der mit seiner Mannschaft vier-, fünfmal hintereinander verliert, der muss weg. Kein Wunder, dass man Schwachheit gern versteckt, wenn´s irgend möglich ist.
Dabei weiß jeder von uns, was das ist – Schwachheit: Ich nehm´ mir was vor und krieg´s nicht hin. Ich lass mich hinreißen zu etwas, wofür ich mich später schäme. Ich muss ohnmächtig miterleben, dass eine Freundschaft zerbricht und ich´s nicht mehr ändern kann. Als alter Mensch – so jung ich mich im Herzen fühlen mag – muss ich hinnehmen, dass vieles langsamer geht, manches gar nicht mehr geht.
Schwachheit: Selten ein öffentliches Thema und doch jedem von uns wohl bekannt. Der Philosoph Kierkegaard hat diesen Zwiespalt einmal so beschrieben: Wir Menschen wollten verzweifelt wir selbst sein – und zugleich wollten wir verzweifelt nicht wir selbst sein.
Die Bibel bezeichnet diesen heillosen Zustand mit dem Wort „Sünde“. Leben, als ob mich niemand bei meinem Namen gerufen hätte. Leben, als ob es keinen Gott gäbe, dem ich auch in Zeiten der Schwäche folgen und vertrauen könnte.
Damit komme ich zum 2. Stichwort:
Auch Christen werden auf die Probe gestellt„Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.“ So ermuntert der Verfasser unseres Predigttextes seine Leser. Wir würden ´s heute vielleicht so sagen: „Steht zu dem, was ihr erkannt habt und glaubt.“
In der Gemeinde, an die der Hebräerbrief sich richtet, hatten sich wohl gewisse Ermüdungserscheinungen eingestellt. Ehemaligen Juden – jetzt Christen geworden – überkam wohl manches Mal Wehmut, wenn sie an früher dachten: „Was für eine Pracht war das im Tempel, die festlichen Gesänge, die Priester in ihren Gewändern, die lodernden Feuer des Opferaltars, Weihrauch und diese ganze Atmosphäre von Heiligkeit! Wie nüchtern der Gottesdienst jetzt, nur in einfachen Häusern... Ja, natürlich hören wir Jesu Worte, beten miteinander, doch wo ist der alte Glanz, wo der Geschmack der höheren Welt.“
Direkt können wir uns mit den Christen dieser ersten Generation nicht vergleichen. Und doch steht immer wieder auch für uns die Probe an, wie stabil unser Glaube an Gott, unser Vertrauen in die Sache Jesu ist: Wenn am Arbeitsplatz gelästert wird, wenn es unter Jugendlichen cool ist, aus dem Reli-Unterricht auszutreten, wenn ein christlicher Unternehmer vor der Wahl steht: Schick ich die Leute in die Arbeitslosigkeit oder nehme ich eine Durststrecke mit schlechten Zahlen in Kauf?
Jeden Tag und an jedem Ort warten Prüfungen auf uns, wie ernst es uns mit Gott ist.
Jesus ist der HohepriesterDer Hohepriester, der Oberste Priester war in den Religionen des Altertums – auch im Judentum – eine bewunderte Figur und hatte eine wichtige Funktion: Stellvertretend für sein Volk stellte er am Versöhnungstag die Verbindung zu Gott her. Er allein hatte Zutritt zum Allerheiligsten. Die Römer nannten ihn deshalb „Pontifex maximus“. Das heißt: den größten Brückenbauer. Eine sehr passende Bezeichnung für Jesus, den unser Predigttext den Hohenpriester nennt: Jesus Christus hat die Brücke zwischen Gott und uns geschlagen!
Zuallererst dadurch, dass er auch in seiner größten Erniedrigung und Schande an Gott, dem Vater festgehalten hat. Durch dieses stabile, tragfähige Gottvertrauen können auch wir uns getragen wissen. Wer auf diese Brücke tritt, darf sich sagen: Es gibt keinen Schwachpunkt, den ich vor Gott verstecken müsste, keine Probe, in der ich gänzlich untergehen könnte.
Das ganze Leben des Hohenpriesters und Brückenbauers Jesus erzählt davon: Schwach und klein beginnt das Leben des Jesuskindes – doch von tausend Engeln bewacht. Später begegnen ihm Anfeindung, Heimatlosigkeit und Armut – doch immer den guten Mächten anvertraut und voller Zuversicht. Sein Tod ist gewaltsam und ohne Erbarmen – er stirbt, von allen verlassen – doch er stirbt in Gott hinein und erwacht zum neuen Leben.
So, liebe Gemeinde, hat der Brückenbauer Jesus am eigenen Leib miteinander versöhnt, was für uns nicht zusammen gehört: dass ich schwach bin und trotzdem liebevoll von Gott angesehen werde; dass ich mich unsicher fühle und trotzdem genügend Kraft finde, wenn es nötig ist, dass ich sterben muss und mich Gott dennoch hält und empfangen wird.
So groß ist die Spannweite dieser Brücke, die Jesus gebaut hat.
Viele haben sich schon darauf gewagt und erfahren: Sie trägt.
Trägt mich, auch wenn manche Fragen unbeantwortet bleiben. Trägt mich, wenn ich zuletzt einmal allein und ausgesetzt stehen muss. Jesus Christus ist – still und unsichtbar – als Brückenbauer in unserer Mitte – jedem von uns nahe, der seine Nähe spüren will.
„Darum lasst uns hinzutreten“, fordert uns unser Text auf. Lasst uns hinzutreten und unser Herz über die Brücke tragen – heute schon. Es trainiert uns für die Zeiten, in denen ein stabiles Herz gefragt ist. Amen.
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