Christi Himmelfahrt (30. Mai 2019)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Rolf Noormann, Denkendorf [Rolf.Noormann@elkw.de]

1. Könige 8, 22-30

IntentionMit Himmelfahrt verbindet sich die Frage, wo Gott jetzt, nachdem Jesus Christus in den Himmel aufgefahren ist, zu finden ist. Der Predigttext legt eine überraschende Antwort nahe: im Tempel, im Gotteshaus. Gott ist dort, wo er angerufen wird. Obwohl Gott nichts braucht, können Menschen ihm etwas geben.

Wo ist Gott zu finden?Wo ist Gott? Was würden Sie antworten, wenn jemand Sie fragen würde: Wo ist Gott zu finden? Vielleicht: Gott ist überall. Oder: Gott ist in jedem Menschen, in seinem Geist, in seiner Seele. Einige würden vielleicht sagen: Gott ist im Himmel.

Wo ist Gott zu finden? Christen glauben, dass Gott in dem Menschen Jesus in einzigartiger Weise gegenwärtig war. Der Anfang dieser besonderen Zeit wird durch Weihnachten markiert: In dem Kind in der Krippe kommt Gott selbst zur Welt. Mit der Himmelfahrt Jesu geht diese einzigartige Zeit zu Ende. Seitdem ist auch Jesus an jenem unfassbaren Ort, den wir ‘Himmel’ nennen. Was immer der Himmel sein mag, wir können ihn weder mit unseren Sinnen noch mit unserem Denken erreichen. Gott “wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann”, so heißt es in der Bibel. Da, an diesem für uns Menschen ganz und gar unzugänglichen Ort, ist seit Himmelfahrt auch Jesus Christus.

Schade eigentlich! Die Vorstellung, dass Gott mitten unter uns ist, hat etwas. Nicht umsonst übt Weihnachten eine solche Anziehungskraft aus. Wo ist Gott hier und heute zu finden? Der Predigttext gibt darauf eine überraschende Antwort: im Tempel. Ich könnte auch sagen: in der Kirche. Salomo, der König Israels nach David, hat den Tempel in Jerusalem bauen lassen. Ein umstrittenes Projekt. Gott wohnt doch nicht in einem Haus aus Steinen! Das weiß auch Salomo. Den Tempel hält er trotzdem für unverzichtbar. Warum, das zeigt sein Gebet zur Einweihung des Tempels:

„Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel
und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach:
HERR, Gott Israels,
es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf der Erde dir gleich,
der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen,
der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast.
Mit deinem Mund hast du es geredet,
und mit deiner Hand hast du es erfüllt,
wie es offenbar ist an diesem Tage.
Nun, HERR, Gott Israels, halte deinem Knecht, meinem Vater David,
was du ihm zugesagt hast:
Es soll dir nicht fehlen an einem Mann, der vor mir steht,
der da sitzt auf dem Thron Israels,
wenn nur deine Söhne auf ihren Weg acht haben,
dass sie vor mir wandeln, wie du vor mir gewandelt bist.
Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden,
das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast.
Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?
Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen,
wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?
Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott,
auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir:
Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag,
über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein.
Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet,
und wollest erhören das Flehen deines Knechts und deines Volkes Israel,
wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte.
Und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel,
wollest du gnädig sein.“

Gott hört im Himmel, was im Tempel gebetet wirdSollte Gott auf Erden wohnen, noch dazu in einem von Menschen gebauten Haus? Nein, das ist undenkbar. Wenn selbst alle Himmel ihn nicht fassen können, wie sollte es ein Haus aus Steinen können? Trotzdem baut Salomo Gott einen Tempel. Warum? Warum braucht er, braucht Israel einen Tempel? Salomo hat eine klare Antwort auf diese Frage: Der Tempel ist ein Ort des Gebetes. Darum bittet er Gott bei der Einweihung des Tempels, er möge die Gebete hören, die er, der König, und das Volk Israel an diesem Ort zu ihm sprechen werden. Und erhören! „Und wenn du es hörst in deiner Wohnung, im Himmel, wollest du gnädig sein.“ Salomo ist schon klar, dass Gott nicht in seinem Tempel wohnen wird. Gott wohnt im Himmel, obwohl der ihn ebenso wenig zu fassen vermag wie der Tempel. Trotzdem hat Salomo die Hoffnung, dass Gott die Gebete des Volkes hören und erhören wird, wenn sie an diesem besonderen Ort gesprochen werden. Der Tempel in Jerusalem soll der Ort des Gebets für das Volk Israel sein. Hierher soll kommen, wer sich an seinem Nächsten versündigt hat, und Gott um Vergebung bitten. Hierher soll das Volk kommen und zu Gott rufen, wenn Hungersnot, Dürre oder eine Epidemie über das Land kommen. Hierher sollen sie kommen und beten, was immer sie bedrängen mag, im Vertrauen, dass ihr Gott, der im Himmel wohnt, sie hört, ihnen gnädig ist und ihnen Recht verschafft.

Als Orte des Gebetes sind Gotteshäuser unverzichtbarSalomo und das Volk Israel brauchten den Tempel als Ort der Begegnung mit Gott. Als Ort, um beten zu können. Brauchen Christen auch einen solchen Ort zum Gebet? Hat Jesus nicht gesagt: „Wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist?“ Wozu sollten da noch Gotteshäuser nötig sein? Wären einfache Versammlungsräume nicht ausreichend gewesen, an denen die Gemeinde sich treffen kann? Wozu Kirchen, wozu Gotteshäuser?

Kirchen brauchen wir, um Gott zu loben und zu ihm zu beten, um Gottesdienste feiern zu können. Sicher können wir auch anderswo als in einer Kirche beten oder Gottesdienste feiern. Es ist gut, wenn das ab und zu auch geschieht, beim Gottesdienst im Grünen etwa oder beim Dorffest auf dem Festplatz. Es gibt keinen Grund, sich in der Kirche zu verstecken. Aber es wäre doch merkwürdig, wenn wir für alles ein Gebäude hätten, nur für den Gottesdienst nicht. Vielleicht stimmt es, wenn manche Leute sagen, sie begegneten Gott in der Natur. Aber es ist doch etwas anderes, einen Raum genau dafür zu reservieren, um Gott zu loben und zu ihm zu beten. Gott braucht keine Kirchen. Er wohnt in himmlischen Räumen, die alle unsere Vorstellungen sprengen. Gott braucht auch unsere Gottesdienste nicht. Die Lobgesänge der Engel übertreffen unsere bescheidenen Gottesdienstfeiern bei weitem. Und doch will Gott auch von uns geehrt und gelobt und gepriesen sein. So wie er auch unsere Bitten und Gebete hören will, obwohl er weiß, was wir brauchen, noch bevor wir ihn darum bitten.

Wir brauchen Kirchen, um miteinander Gottesdienste feiern zu können; um Gott zu loben und seinen Namen zu preisen; um ihn um seine Hilfe und seinen Beistand zu bitten; um die Nöte der Welt vor Gott zu bringen. Gott wohnt nicht in einem von Menschen gebauten Haus, ganz gewiss nicht. Trotzdem heißt es in einem Psalm: „Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.“ Das gilt auch für unsere Gottesdienste: Gott ist dort gegenwärtig ist, wo wir gemeinsam seinen Namen loben und preisen.

Obwohl Gott nichts braucht, können Menschen ihm etwas gebenManchmal ist zu hören: Gottesdienst heißt nicht, dass wir Gott dienen, sondern dass Gott uns dient. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so stimmt. Auch im Verhältnis zwischen Gott und Mensch gibt es so etwas wie Gegenseitigkeit. Das schönste Beispiel dafür ist für mich der Segen. Nicht wenige Menschen gehen in einen Gottesdienst, weil sie sich Gottes Segen wünschen. Ganz besonders ist das bei Trauungen so oder bei Taufen. Aber es gilt auch für die normalen Gottesdienste. In der Bibel ist oft vom Segen Gottes die Rede. Aber die Bibel spricht auch davon, dass Menschen Gott segnen, zum Beispiel in Psalm 103: „Segne, meine Seele, den HERRN, und was in mir seinen heiligen Namen“ (leider übersetzen viele Bibeln das Wort “segnen” hier mit “loben”). Sicher ist Gott nicht darauf angewiesen, dass wir Menschen ihn segnen. Trotzdem möchte er nicht darauf verzichten.

Ich denke, das gilt auch für den Gottesdienst. Es ist schön, wenn wir getröstet oder gestärkt aus einem Gottesdienst herauskommen. Aber wir feiern nicht bloß deshalb einen Gottesdienst, um etwas von dort mitzunehmen. Wer in den Gottesdienst geht, der kann und soll auch etwas mitbringen: Dank und Lob, Bitte und Fürbitte und vieles mehr. Und was ich selbst nicht mitbringen kann, das empfange ich vielleicht im Gottesdienst von den anderen, um es dann im gemeinsamen Singen und Beten weiterzugeben.

Es wäre schön, wenn unsere Kirchen dazu dienen könnten: dass wir gemeinsam Gott loben, zu ihm beten; dass wir ihn segnen; dass wir Gott groß machen, so wie es Maria mit ihrem Lobgesang getan hat. Dazu sollen unsere Gottesdienste dienen. Dazu soll unser Gotteshaus dienen. Gott braucht gewiss kein irdisches Haus. Ihn können nicht einmal die Himmel fassen. Aber Er, der über den Lobgesängen Israels thront, will auch über unseren Lobgesängen thronen. Wo er gepriesen und angerufen wird, da wohnt Gott. Da ist Gott -nahe, auch wenn er seinen Ort im Himmel hat. Amen.

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