Gründonnerstag (17. April 2025)

Autorin / Autor:
Prälatin Gabriele Wulz, Ulm [praelatur.ulm@elk-wue.de]

1. Korinther 11, (17-22) 23-26(27-29.33-34a)

IntentionSehr bewusst beschränke ich mich in meiner Predigt auf die Verse 23 bis 26 und erwähne den Zusammenhang, in dem diese Verse stehen, eher beiläufig. Meinem Eindruck nach ist in württembergischen Gemeinden schon viel über Korinth erzählt worden. Das rückt die Texte nicht unbedingt näher, meinem Eindruck nach vertiefen solche Schilderungen den „garstigen Graben“ des längst Vergangenen.
Umgekehrt geht es mir in dieser Predigt darum, den Einsetzungsworten nachzugehen, ihre Bedeutung für heute herauszustellen.

Was ich empfangen habe, gebe ich weiter …Liebe Gemeinde, es gibt nur ganz wenige Worte Jesu, die der Apostel Paulus ausdrücklich zitiert. Die Abendmahlsworte gehören dazu.
Was ich vom Herrn empfangen habe, gebe ich weiter…
Mit dieser Einleitungsformel signalisiert Paulus, dass er nicht in eigener Sache spricht, sondern als Beauftragter. Zugleich markiert er mit dieser Formel eine deutliche Zäsur in seiner Ermahnung an die Gemeinde.
Was jetzt kommt, ist von anderer Art und hebt sich von allem ab, was uns, was euch sonst bewegt und erregt.
Was jetzt kommt, sind Worte, die gelten. Worte, die höchste Wahrheit beanspruchen, wie in Stein gehauen, und deshalb auch nicht veränderbar sind. Es sind die Worte einer Nacht, die unvergesslich sind und für immer erinnert werden sollen.

Die Gemeinde in KorinthIn der Gemeinde in Korinth – wir wissen es – geht es drunter und drüber.
Die einen essen und trinken, wie es ihnen gefällt.
Die anderen leiden Hunger.
Es gibt Spaltungen. Man streitet. Man ist wütend. Man schämt sich füreinander. Gerade so wie im richtigen Leben.

Soll ich euch dafür loben?, fragt Paulus.

Nicht wirklich!
Und weil er die Gemeinde in Korinth nicht loben kann und nicht loben will, deshalb erinnert er sie an das, was gewesen ist und was deshalb ihr Handeln, ihr Leben und ihr Zusammenleben bestimmen soll.

Davon hören wir. Heute. Am Gründonnerstag. Dem Abend des Gedenkens des letzten Mahles Jesu.
Aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 11 lese ich die Verse 23-26:

„Denn was ich von dem Herrn empfangen habe, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis.
Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“

Er hat ein Gedächtnis gestiftetPaulus gibt weiter, was er selbst gehört hat und was ihm zum Grund des Lebens geworden ist. Er gibt das Wort des Lebens weiter, damit das neue Leben Gestalt gewinnt. Worte, die das Essen und Trinken der Gemeinde durchscheinend für das Neue machen.
Mit diesen Worten, die er vom Herrn empfangen hat, wird das Brotbrechen zum Erkennungszeichen der Gemeinde.
Und noch mehr: Sie werden zum Hoffnungszeichen. Die kleine Geste, so alltäglich sie auch immer ist, verbindet uns mit dem Gekreuzigten, mit dem Auferstandenen, mit dem, der war, der ist und der kommt.

Das letzte Mahl Jesu – so wie es bei den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas und auch von Paulus geschildert wird – ist ein Passamahl gewesen.
Ein Erinnerungsmahl, ein Festmahl, das von der Befreiung der Kinder Israels erzählt. Von der vielfachen Rettung aus dem Tod. Und der schier unglaublichen Bewahrung durch Gott.
Aber auch diese Geschichte weiß um Not und Tod. Es sind ja nicht alle mit dem Leben davongekommen. Es gab beim Auszug aus Ägypten auch Tote zu beklagen.

Aber durch Leid und Tod, durch Elend und Sklaverei, durch Murren und Klagen hindurch war's und ist's und wird es sein: die große Geschichte von der Befreiung.
Erinnert und bewahrt im Gedächtnis Israels und seiner Kinder, damit nicht ausgelöscht wird, was gilt und gelten soll: dass Gott ein Gott ist, der ein Gedächtnis gestiftet hat. Der gnädige und barmherzige Gott.

Brot und WeinIn dieser besonderen Nacht des Verrats sitzt Jesus mit seinen Jüngern beisammen, isst das ungesäuerte Brot, das auch wir bis heute beim Abendmahl zu uns nehmen im Gedenken an jenes denkwürdige letzte Mahl der Israeliten in Ägypten.
Hastig sind die Israeliten damals aufgebrochen, so heißt es in einer späteren Tradition.
So hastig, dass es nicht einmal mehr reichte, einen Sauerteig anzusetzen und den Teig gehen zu lassen.
Andere sagen: Es ist das Brot der Armut, das wir damals gegessen haben.
Armseliges, elendes Brot. Mit dem Geschmack der Sklaverei. Erinnerung an das, was wir verließen, damit wir jetzt umso fröhlicher und dankbarer die Freiheit feiern können.
Jesus nimmt dieses Brot.
Das Brot der Armut, das elende, das ungesäuerte Brot und bricht es und gibt es seinen Jüngern und sagt:
Das ist mein Leib.
Damit sagt er:
So werde ich zerteilt und in die Hände von Menschen gegeben.
So gebe ich mich dahin.
Nehmt es, nehmt mich und nehmt mich auf. Stärkt euch an mir.

Und tut das, immer wenn ihr Brot brecht und esst – zu meinem Gedächtnis. Erinnert euch daran, wie ich mich in die Hände von Menschen ausgeliefert habe und zerbrochen worden bin.
Erinnert euch an mich und erlebt mich als Lebensmittel, erfahrt mich als den, der euch am Leben erhält.

Beim Passahmahl folgt nach dem Essen des ungesäuerten Brotes und den Lobsprüchen ein festliches Mahl. Man trinkt, man erzählt sich die Geschichte von der Befreiung aus Ägypten. Man singt und lobt Gott mit Psalmen und fröhlichen Liedern.
In dieser einen Nacht ist vieles anders als sonst. Freie Menschen erzählen sich von der Freiheit.
Aber in dieser ganz besonderen Nacht des Verrats, in der alles noch einmal ganz anders ist als in allen anderen Nächten, nimmt Jesus den vierten Becher Wein nach dem Mahl. Den Becher der Freude, den Becher des Heils. Er dankt Gott und er spricht:
Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Das tut, sooft ihr daraus trinkt zu meinem Gedächtnis.
Blut ist ein besonderer Saft …
Wenn Blut fließt, wird es ernst. Dann geht es um Leben und Tod. Dann geht es ums Ganze.
Das vergossene Blut der Lämmer am Passafest markiert für den Todesengel die Türen derer, die verschont werden und am Leben bleiben sollen.
Der Bund zwischen Gott und seinem Volk am Sinai wird geschlossen und mit Blut besiegelt.
Mit dem Blut des Opfertieres besprengt der Hohepriester am Versöhnungstag die Wände im Allerheiligsten und bedeckt damit symbolisch alle Sünden des Volkes.
Der Kelch nach dem Abendmahl, der Kelch des Heils, nimmt alle diese Geschichten und Traditionen auf und erzählt sie von neuem, bekräftigt und bestätigt sie und hält fest:
In meinem Blut wird der Bund besiegelt und bestätigt, den ich mit euch schließe. Und dieser Bund gilt über meinen Tod hinaus.

Der neue BundWenn Gemeinden bis heute zusammenkommen, das Brot brechen, aus einem Kelch trinken, dann erinnern sie damit die Geschichte dieser Nacht. Sie erinnern den Verrat, sie erinnern die Freiheit und die erinnern den Beginn des neuen Lebens.
Mit diesem Mahl verkündigt jede Gemeinde den Tod Jesu und stellt sich hinein in die Hoffnungsgeschichte, die nicht aufhört.
„Bis er kommt“ – so lange werden Menschen nicht aufhören, diese Geschichte zu erzählen.
So weit wird die Linie ausgezogen, so lange verkündigen wir den Tod des Herrn und seinen Sieg des Lebens.

Erinnerung, liebe Gemeinde, ist etwas Seltsames.
Wäre Jesus nur im Gedächtnis seiner Freunde lebendig geblieben, dann wäre nach spätestens drei Generationen die Sache Jesu vorbei gewesen.
Der Zeitraum von ungefähr 80 Jahren ist das, was Menschen mit ihrer Gedächtniskraft erinnern können.
Was darüber hinausreicht, ist verloren, ist vergessen. Unwiderruflich.
Es sei denn, es verwandelt sich und gräbt sich ein, tief ins kollektive Gedächtnis einer Gemeinschaft.
In Worte, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Unverändert. Unveränderbar.
In Gesten, die erkannt werden, die einmalig und unverwechselbar sind. Und von hoher symbolischer Bedeutung. Gesten, die trösten und Kraft geben. Gesten, in denen etwas aufscheint. Ein „Mehr“.
Ein Geschmack von Unendlichkeit und ewigem Leben.
Dazu aber braucht es Menschen und Versammlungen, die sich um diese Erinnerung herum bilden.
Menschen, die die Worte bewahren und weitersagen. Menschen, die sich auf ein bestimmtes Tun verpflichten.
Menschen, die wissen, dass sie ihr Leben und ihre Hoffnung dem Gott verdanken, der ein Gedächtnis gestiftet hat für seine Wunder.
Amen.


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