Gründonnerstag (13. April 2017)
Dekan i.R. Ulrich Poguntke, Kressbronn [e.u.poguntke@googlemail.com]
Markus 14, 17-26
Liebe Gemeinde!
Am heutigen 13. April kommen Christinnen und Christen zur Feier des Heiligen Abendmahls am Gründonnerstag zusammen. Morgen ist Karfreitag, der Tag des Todes Jesu am Kreuz. Und von da aus am dritten Tag wird Ostern gefeiert.
Zur selben Zeit, dieses Jahr vom 11. bis 18.April, feiern unsere älteren Geschwister im Glauben, die Jüdinnen und Juden, das Passah-Fest. Mit diesem Fest wird der Leidensgeschichte Israels gedacht. Es knüpft an an die Zeit des Auszugs aus Ägypten und der Flucht und Befreiung aus der Unterdrückung.
Der Evangelist Markus, von dem der heutige Predigttext stammt, gibt kaum Hinweise, dass das letzte Mahl Jesu ein Passah-Mahl gewesen sei. Anders Matthäus, der dieses letzte Mahl Jesu bzw. dieses erste Abendmahl an Passah geschehen lässt.
Und so kommen sie zusammen – Jesus und die Zwölf, seine Jünger. Zum Passah-Fest. Zur Feier der Teilhabe Israels am Heil der Befreiung. Zum Lob Gottes, der sein Volk nicht in Unfreiheit verkommen lässt, sondern es in die Freiheit führt. Teilhabe an der Befreiung, das wollen sie feiern.
Teilhabe an der Befreiung nicht nur aus der Unfreiheit in Ägypten, Fest der Befreiung aus der Knechtschaft von Schuld und Tod, das wird der Gastgeber Jesus ihnen bereiten.
Die Tischgesellschaft JesuDa sitzt nun Jesus oder liegt er mit seinen Jüngern zu Tisch. Mit denen, die mit ihm zusammen Gott „unseren Vater“ nennen, mit seinen Brüdern, – und mit seinen Schwester, die wohl auch dabei waren.
Wer sind Jesu Brüder und Schwestern? Das sind doch die, von denen Jesus einmal sagte: „Wer Gottes Wille tut, der ist mein Bruder und meine Schwester“ (Mk 3,35). Ja, das wollten die Zwölf wohl gerne sein, solche Brüder und Schwestern Jesu.
Das wollen wohl auch wir in der Gemeinde Jesu gerne sein: Menschen, die nach Gottes Willen fragen – in einer Welt, in der zunehmend durch Regierende und in Parlamenten und oft auch im Alltag eher gefragt wird nach dem, was mir selber nützt, nach dem eigenen Vorteil, nach der Größe des eigenen Landes.
Menschen, die nach Gottes Willen fragen, so würden wir wohl auch gern die christliche Gemeinde verstehen: als eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern, die das Rechte tun. Und das ist ja wirklich ein großes Ziel. Dass die Gemeinde Jesu aus Leuten besteht, die nicht zuerst fragen: Was bringt mir das? Sondern die mit offenen Augen nach rechts und links zu ihren Mitmenschen schauen und fragen: Wie geht es euch, den Ärmeren, den Besorgten, den Übervorteilten, den Benachteiligten?
Und die Tischgemeinschaft, mit der Jesus diesen Abend begeht, wie sah sie aus? Wie redet Jesus sie an? Ganz anders. Überraschend. Er sagt zu dieser Tischgemeinschaft, zu dieser ersten Urgestalt von Gemeinde: „Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ So also beginnt die Gemeinde Jesu, als eine Gemeinschaft, von der ihr Herr sagt: „Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten.“ Und so hören wir Jesu Worte noch heute, bei jedem Abendmahl: Als ob dieser angekündigte Verrat nicht die Ausnahme von damals sei, sondern die Regel – fast konstitutiv für die Jesus-Gemeinschaft.
Bin ich’s?Die Worte Jesu lösen Unruhe unter den Jüngern aus, Verwirrung, ja – Entsetzen. Leonardo da Vinci hat diese Situation auf seinem Abendmahlsfresko festgehalten, als einer nach dem anderen vollkommen verunsichert fragt: „Bin ich’s?“ Aufregung und Entsetzen. Keiner schließt aus, dass er dazu fähig wäre: „Bin ich’s? Bin ich’s?“ Es ist, als ob sie alle etwas davon ahnen, wer sie sind, wer sie sein könnten. Eine gebrochene Identität.
Wer will schon der sein, als der sich gleich Judas zeigen wird? Und doch ahnt jeder etwas von der dunklen Seite seiner Existenz. Wie gern wäre man einer, der aus eigenen Stücken mit erhobenem Haupt dastehen kann. Wie belastend aber, wenn man ahnt, wer man sein kann, und was einem gebühren könnte. In der Matthäus-Passion ist sie zu hören, diese gebrochene Identität. Dort singt Jesu Tischgemeinschaft im Chor elfmal – einer der Zwölf weiß ja, dass er es ist – elfmal singt der Chor: „Herr, bin ich’s?“. Bis sie dann im Chor antworten:
„Ich bin’s, ich sollte büßen / an Händen und an Füßen /
gebunden in der Höll; /
die Geißeln und die Bande / und was du ausgestanden, /
das hat verdienet meine See.“
Der Verrat: statt Feier des Lebens Hingabe in den TodUnd dann die Klarheit. „Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht.“ Also nicht irgendeiner ist der Verräter – von weit draußen. Die Schuld ist nicht das Terrain der anderen. Sondern einer von den Zwölfen ist es, einer von euch, einer von uns.
Was hat Judas getrieben, dass er den, der ihn einlädt zum Lebensmahl, dass er den in den Tod geben will? Er mag seine Gründe gehabt haben. So wie es auch in unserer Welt und Zeit Menschen, Mächte gibt, die anderen nicht das Leben, sondern den Tod wollen – weil sie angeblich ihre Gründe dafür haben: eine andere Religion, Hautfarbe oder Nationalität. Feindschaft zum Tode hin. Und man meint auch heute, Gründe dafür zu haben – wie Judas.
„…der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht“Jesus lädt ein zum Fest der Befreiung aus ägyptischer Sklaverei, zum Passah, zum Lob des Befreier-Gottes. Aber statt Fest des Lebens macht sich die Feindschaft zum Tode breit.
Und Jesus – wie begegnet er dieser dunklen Seite seiner Tischgemeinschaft, wie begegnet er Judas, der den, in dem Gott zur großen Freude gekommen ist, die allem Volk widerfahren soll, der den in den Tod geben will?
Jesus weiß, was Judas vorhat. Jesus weiß um die dunkle Seite der Feindschaft seines Tischgenossen. Aber – und hier beginnt das Unverrechenbare, das Wunder dieses Mahls – Jesus will seinen Bissen Brot mit Judas zusammen in die Schüssel tauchen. Jesus kündigt ihm nicht die Tischgemeinschaft. Jesus schließt ihn nicht aus vom Fest der Befreiung. Jesus lässt nicht zu, dass die Feindschaft zum Tode das letzte Wort behält gegen die menschgewordene Versöhnung, sondern ER: „Nehmet, das ist mein Leib. Und das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.“
In diesem letzten Mahl feiert Jesus mit seinen Brüdern und Schwestern: Mein Leib für euch. Ich bin für euch. ER ist das Ende der Feindschaft, das Ende der Feindschaft von Judas zu ihm, das Ende der Feindschaft mit Gott und den Menschen. Das bedeutet in der Tiefe: das Ende des Todes. Und wo man in unserer Zeit noch meint, Gründe haben zu können, andere in den Tod zu geben, da befindet man sich in einem archaischen Denken, das schon vor 2000 Jahren durch den Tischherrn vom Gründonnerstag beendet wurde, der am nächsten Tag damit Ernst machte, was er mit seinen Worten meinte: „Mein Leib, für euch dahingegeben“.
Das Fest der Befreiung mündet in das HallelDie, die an diesem Abend eben noch verstört fragten: „Bin ich’s?“ Von denen heißt es am Schluss des Abends, dass sie den Lobgesang gesungen haben, wohl das Hallel aus der Passah-Liturgie.
Die, die eben noch mit gebrochener Identität verstört fragten: „Bin ich’s?“, die haben den Befreier-Gott Israels gehört, wie er durch Christus spricht: Ich bin’s. Mein Leib für euch. Mein Leben für euch.
Das ist unsere neue Identität: Nicht, dass wir aus eigenen Stücken mit erhobenem Haupt dastehen müssen oder könnten oder dass es sonst eine christliche Identität der Gleichgesinnten oder gar der Besseren gäbe. Sondern weil uns in dem Stück Brot und in dem Schluck Wein auch heute Abend das Versprechen Christi begegnet: Mein Leib – Ich bin für euch. Ihr seid frei als meine Schwestern und Brüder, frei zum Glauben, Hoffen und Lieben – euch selbst und auch all die anderen mit der anderen Religion, Hautfarbe und Nationalität. Denn ich bin für euch alle, ihr Kinder meines Vaters.
Amen.
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