Exaudi (16. Mai 2021)
Johannes 7, 37-39
IntentionDie Predigt möchte zeigen, wie Jesus den Lebensdurst stillt und wie wir, was wir empfangen haben, weitergeben können.
7,37-39 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief:
Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Liebe Gemeinde!
Der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry berichtet, wie es ihm und seinem Partner nach einem Flugzeugabsturz in der Wüste ergangen ist. Tagelang irren sie durch die Wüste. Der Durst wird immer lebensbedrohlicher und spiegelt ihnen Sinnestäuschungen vor. „Ich fühle keinen Hunger, nur Durst. Der Durst ist allmächtig“, schreibt er. Als ein Beduine sie findet und ihnen zu trinken gibt, ist ihr Leben gerettet. Dann folgt in dem Bericht ein Loblied auf das Wasser: „Es ist nicht so, dass man dich zum Leben braucht, du selbst bist das Leben! Du durchdringst uns als Labsal, dessen Köstlichkeit keiner unserer Sinne auszudrücken fähig ist. Dank deiner Segnung fließen in uns wieder alle bereits versiegten Quellen der Seele.“
Wasser und Dursterfahrungen haben es mit unseren elementaren Bedürfnissen zu tun.
Um Wasser geht es auch beim größten Fest Israels, dem Laubhüttenfest. Die Stadt Jerusalem ist voller Menschen. Alles ist auf den Beinen. Und alles dreht sich ums Wasser.
Von Pilgern begleitet, schöpfen die Priester mit einer Kanne Wasser aus der Siloah-Quelle.
In feierlicher Prozession wird das Wasser zum Tempel gebracht und über dem Brandopferaltar ausgegossen.
Verschiedene biblische Traditionen sind dabei im Blick.
Man erinnert sich an die Versorgung des Volkes Israel durch Gott in der Wüste, als Mose mit seinem Stab auf den Felsen schlug und Wasser heraussprudelte und den Durst des Volkes löschte.
Man blickt auf die Verheißungen der Propheten Hesekiel und Sacharja, dass am Ende der Zeit im Tempel eine Quelle entspringen wird, von der aus lebendiges Wasser zu den Völkern fließen wird und ihnen Gottes Heil bringt.
Vor allem aber sieht man die Tage des Festes als Erfüllung der Verheißung des Propheten Jesaja: „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils“ (Jes 12,3).
Das religiöse Hochgefühl, in dem die Pilger diese Tage erleben, könnte kaum größer sein. Mitten in dieser Feststimmung, auf dem Höhepunkt des Festes tritt Jesus auf und ruft:
„Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“
Wie kommt Jesus dazu, mitten in diese Feststimmung hinein, bei der sich alles ums Wasser dreht, Durstige zu sich zu rufen?
Jesus sieht tiefer.
Er sieht den ungestillten Durst von Menschenherzen.
Er weiß: Man kann mit all seiner Religiosität doch innerlich auf dem Trockenen sitzen.
Jesus sieht tiefer.
Im Gespräch mit der Frau am Jakobsbrunnen bei Samaria, bei dem es ja auch um die Frage nach dem lebendigen Wasser geht, wird das deutlich.
Jesus spricht die Frau auf die Männer an, mit denen sie zusammen war. Er deckt damit die tiefe Sehnsucht der Frau nach Liebe und Geborgenheit auf.
Jesus kennt auch die Sehnsüchte unseres Lebens.
Den Durst nach Liebe und Geborgenheit, nach Anerkennung,
nach Gemeinschaft und Begegnung in Zeiten von Corona-Distanz,
nach Glück und einem erfüllten Leben,
nach einem Halt, der auch in Krisenzeiten trägt,
nach Trost, der die Tränen trocknet und uns den Mut zum Weitergehen gibt.
Im Tiefsten ist es die Sehnsucht nach Gottes Nähe.
Der Beter des 42. Psalms drückt es mit den Worten aus:
„Wie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.“
Jesu Einladung zum Kommen und Trinken kann aus dem Griechischen in doppelter Weise übersetzt werden.
Manche Ausleger übersetzen:
„Wenn jemand Durst hat, der komme zu mir,
und es trinke, wer an mich glaubt.
Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Die Ströme lebendigen Wassers gehen bei dieser Übersetzung von Jesus aus.
Die zweite Übersetzungsmöglichkeit findet sich in den meisten Bibelausgaben:
„Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke.
Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt,
Ströme lebendigen Wassers fließen.“
Die Glaubenden werden damit zur Quelle des lebendigen Wassers für andere Menschen.
Man muss sich vielleicht gar nicht für eine Übersetzung entscheiden.
Beide Möglichkeiten sprechen eine wichtige Wahrheit aus.
Ganz gewiss gehen die Ströme lebendigen Wassers von Jesus aus.
Wer an ihn glaubt, wer sein Leben Jesus anvertraut, dessen Lebensdurst wird gestillt.
Der Frau am Jakobsbrunnen verspricht Jesus:
Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird nie mehr dürsten.
Dieses Wasser wird für ihn zur Quelle des ewigen Lebens.
„Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden. Komme, wen dürstet und trinke wer will“, heißt es in einem Liedvers unseres Gesangbuchs.
Gnade, Vergebung, die Liebe Gottes und die Geborgenheit bei ihm kommen damit in unser Leben.
Und wir werden erfahren, was Antoine de Saint-Exupéry in seinem Loblied aufs Wasser ausgesprochen hat:
Die bisher versiegten Quellen der Seele werden wieder in uns fließen.
Das hat Konsequenzen.
Was jetzt geschieht, lässt sich wohl am besten mit dem Bild eines römischen Brunnens anschaulich machen.
Am Brunnen im Kloster Maulbronn kann man es sehen und Conrad Ferdinand Meyer hat es in seinem Gedicht „Der römische Brunnen“ beschrieben:
„Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
er voll der Marmorschale Rund,
die, sich verschleiernd überfließt
in einer zweiten Schale Grund.
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut.“
Jesus ist die Ursprungsquelle, und wir sollen solchen Schalen gleichen, aus denen das Wasser weiterströmt.
So wird christlicher Glaube konkret. Wir können die Gabe, die wir empfangen, an andere weitergeben und so zu Vermittlern der Gnade und des Segens werden.
Dafür schenkt uns Jesus seinen Heiligen Geist als Ausrüstung.
Die samaritanische Frau, der Jesus am Jakobsbrunnen begegnet ist und deren Lebensdurst er gestillt hat: Sie erzählt es den Menschen an ihrem Ort weiter, dass sie dem verheißenen Messias begegnet ist.
So bereitet sie den Weg, dass auch diese Menschen zum Glauben an Jesus finden.
Der frühere Landesbischof Theo Sorg hat es in einer Predigt so formuliert:
„Unser kleines Leben kann für andere zu einem Brunnen werden, aus dem Hilfe und Ermutigung und guter Rat fließen.
Wer zur Quelle des Lebens gefunden hat, kann zur Quelle des Segens für seine Umgebung werden.“
Amen.
Literatur:
Antoine de Saint- Exupéry: Durst, Reclam Nr. 7847 (S.50.55); Theo Sorg: Jesus entdecken. Geschichten aus dem Johannesevangelium, Stuttgart 1983, S. 84-94.
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