Ewigkeitssonntag / Totensonntag (24. November 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrer im Amt für Kirchenmusik Frieder Dehlinger, Tübingen [Frieder.Dehlinger@elkw.de]

Psalm 126

IntentionDie Predigt will den Trost aus Psalm 126 zu Gehör bringen und ermutigen, auch in Trauer und Ängsten weiter die Saat der Liebe auszustreuen.

PredigttextEin Wallfahrtslied.
Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Da wird man sagen unter den Völkern:
Der HERR hat Großes an ihnen getan!
Der HERR hat Großes an uns getan;
des sind wir fröhlich.
HERR, bringe zurück unsre Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und tragen guten Samen
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.
Psalm 126

Liebe Schwestern und Brüder,
ist das denn wahr,
dass wer „mit Tränen sät, mit Freuden ernten“ wird?
Und ist es wahr,
dass, die heute weinend aufs Feld gehen und ihre Saat ausbringen,
dass sie mit Freudenliedern die Erntegarben
in die Scheune einbringen werden?

TränenTränen gibt es heute wieder viele.
Tränen, weil die Stadt in Trümmern liegt.
Tränen, weil der Papa an der Front ist.
Tränen, weil das Geld nicht reicht.
Tränen der Trauer über Trennung, Abschied, Alleinsein.

Dann sagt das Sprichwort: „Auf Regen folgt Sonnenschein.“
„Alles wird gut!“, spricht der freundlich gefloskelte Trost,
und „Aufstehen, Krönchen richten“.
Und das ist gut, jede echte Anteilnahme tut gut,
doch wenn der Grund für die Tränen tief liegt,
braucht es auch tieferen Trost.
„Die mit Tränen säen.
Die aufs Feld gehen und weinend ihren Samen ausstreuen.“

In Trauer nicht verlassenHör ich genau hinein in unseren Psalm,
dann ist das erste Wunderbare nicht die künftige Ernte;
das erste Wunderbare hier ist,
dass der Weinende in seinem Elend nicht allein ist.
Sie sind viele, die da weinen,
und es weint nicht jede für sich,
vielmehr sie wissen sich verbunden durch ihre Tränen.
Ja, es sind viele Tränen.
Und Ja, wir sind viele, die weinen,
und Ja: wir fühlenden und weinenden Menschen
sind über unsere Tränen miteinander verbunden.
Mitfühlen können ist eine Gottesgabe an uns Menschen,
und miteinander und umeinander weinen können
ist ohne Worte ein Gebet.

Das erste Wunderbare hier im Psalm ist,
dass die Weinenden in ihrem Elend nicht allein sind.
Sie sind viele und sie sind verbunden.

In Trauer auf Gottes Zukunft vertrauenDas zweite Wunderbare für mich ist,
dass die Weinenden sich nicht vergraben.
Sondern sie stehen auf und gehen hinaus.
Hinaus aufs Feld.
Sie tun, was zu tun ist.
Jeder Bauer, jede Gärtnerin weiß das:
Wenn ich heute nicht säe, werde ich übers Jahr nicht ernten.
Ich werfe einen Anker in die Zukunft
und ziehe mich an ihm heraus aus meinem Loch.

Tun, was zu tun ist.
Und wenn es auch heute noch kalt ist und dunkel,
dann gehe ich doch hinaus und säe für morgen.
Und selbst wenn ich heute mein Korn mir einteilen muss,
und das Brot knapp wird,
dann werfe ich doch einen Teil davon als Saatkorn in die Erde,
damit ein Morgen kommen kann.
Und selbst wenn heute die Feindschaften übermächtig werden,
werfe ich doch die Saat des Friedens in die Erde,
damit ein Morgen kommen kann.
Sie „säen mit Tränen,
weinend gehen sie und streuen ihre Samen aus.“
Aber sie gehen, und sie säen.
Sie tun, was zu tun ist.
Sie tun es im Vertrauen auf Gott.

Biblisch-geschichtliche VerankerungIsrael, Gottes Volk,
von dem wir Christen die Psalmen gelernt haben -
Israel im 6. Jahrhundert vor Christi Geburt
hatte den großen Krieg gegen Nebukadnezar verloren.
Jerusalem, die Stadt und der Tempel auf dem Zionsberg
lagen in Trümmern, wie heute Gaza in Trümmern liegt.
Das Volk weggeführt zur Zwangsarbeit im fernen Exil:
an den Ufern Babylons saßen sie und weinten.
Aber sie weinten nicht nur.
Sie beteten, klagten,
feierten miteinander Gottesdienst
und sie schrieben und sangen Psalmen.
Und im Beten und Singen blieb ihre Zuversicht lebendig:
„Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird,
dann werden wir sein wie die Träumenden,
dann wird unser Mund voll Lachens
und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Dann wird man sagen unter den Völkern,
Gott hat Großes an uns getan!“

Sie werfen in Gottes Namen einen Anker in die Zukunft
und ziehen sich an ihm heraus aus ihrer Not.

Die Saat ausbringen:
das babylonische Exil dauerte an die 60 Jahre.
In diesen 60 Jahren sind große Teile der Bibel entstanden.
Die alten Erinnerungen an Mose und Mirjam,
an Abraham, Isaak und Jakob wurden weiter erzählt
und neu aufgeschrieben;
die alten Schriften
der Befreiung und der Wüstenwanderung und der Erwählung
wurden diskutiert und neu zusammengefügt.
In der Auseinandersetzung mit der babylonischen Kultur und Religion
lernte Israel sich selbst und seinen Gott besser verstehen:
dass nur ein Gott ist
und dass dieser eine alles und alle erschaffen hat,
und dass er jedes Bild, das wir uns vorstellen, sprengt,
und dass er wirkt, nicht nur an einem Ort, nicht nur an einem Volk,
sondern überall und an allen Geschöpfen seines Erdenrunds.
Diese kleine Gruppe Menschen aus Israel,
geknechtet im fremden, großen Babylon,
sie säen,
säen mit Tränen!
Und noch wir Heutigen leben von ihrer Tränensaat, -
leben von ihrer Tränensaat, singen ihre Psalmen,
meditieren die Schöpfungsgeschichte, die sie aufgeschrieben haben.
Wir lesen ihre Hebräische Bibel, unser Altes Testament,
und beten mit ihnen zum großen Gott,
dem Schöpfer des Himmels und der Erde
dem Einen, dem Treuen,
beten mit ihnen zu dem Gott,
der die Saat der Güte aufgehen lässt
und die Tränen trocknen wird.

Ermutigung zu säen - generell„Die mit Tränen säen.“
Braucht es die Tränen, damit die Saat aufgehen kann?
In jedem Fall braucht es Sä-Leute.

Wer sät, weiß nicht, ob die Saat aufgeht.
Kein Regen, zu viel Regen.
Keine Sonne, zu viel Sonne.
Wüstenwind oder Hagel oder Insekten oder Inflation
oder Feinde, die die Ernte zertreten.
Es kann so viel passieren.

Bleib ich lieber daheim, mach‘ mein Saatkorn zu Brot,
dann bin ich wenigstens heute satt und morgen.

Wer sät, sät auf Hoffnung.
Genauer noch: Wer sät, investiert Vertrauen.
60 Jahre im Exil hat Israel Vertrauen in seinen Gott gelegt.
Zwei ganze Generationen!
Dann kam die Befreiung.
Dann – unter dem Perserkönig Kyros –
zogen die Enkel der Verschleppten ins gelobte Land zurück,
richteten den Tempel auf,
bauten die Stadt wieder auf,
„ernteten mit Freuden“
und dankten ihrem Gott.

Ermutigung zu säen - aktuell+direktNun wir Heutigen.
Tränen gibt es viele.
Und noch mehr: verzagte Stimmen gibt es viele.
dass die Politik nichts hinkriegt.
Dass der Mensch die Erderwärmung nicht stoppt.
Dass die Kriege immer weiter und immer mehr zerstören.
Dass wir hier ärmer werden,
also manche richtig arm und viele nicht mehr so reich.
Und dass uns die Haare grau werden
und Menschen um uns wegsterben
und wir alleine sind.

So viele verzagte Stimmen!
Sie können uns lähmen,
und manches bringt uns zum Weinen.

Wir aber sollen säen.
Mit Tränen. Auf Hoffnung.
Wir sollen hinausgehen auf die Äcker der Welt
und sollen säen:
und die Saat, die Gott uns in die Hand gibt
ist sein Wort,
ist seine Güte
ist seine Gerechtigkeit.
Die Saat, die wir ausbringen sollen, ist,
was Jesus uns in die Hand gibt:
Liebe und Vergebung und Vertrauen,
Vertrauen in Gottes Güte,
Vertrauen, dass sie da ist – die Kraft des Heiligen Geistes
und dass sie wirkt – die Weisheit Gottes
und dass es kommen wird: das Reich der Himmel.
Jesus erzählt von Reich Gottes
wie von einem Schatz im Acker,
wie von einer Saat, die von selbst wächst,
wie von einer Ernte, die eingeholt werden wird
zuletzt.

Wir aber sollen säen.
In Jesu Namen,
mit Tränen, mit Liedern.
Mit Hoffnung.
AMEN.

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