Estomihi (02. März 2025)

Autorin / Autor:
Professor Dr. Bernhard Mutschler, Reutlingen [Theologie@MutschlerMetzingen.de ]

Lukas 10,38–42

IntentionAktiv oder kontemplativ? Wie wollen wir leben? Was ist „dran“ für mein Leben? Was ist dran für unser gemeinsames Leben als Familie, Gemeinschaft, Gemeinde und Gesellschaft? Der Einsatz für den Nächsten braucht auch einen Ort für Begegnung mit Gott. Wie kann alles Wirken und Werkeln im Einsatz für den Nächsten in der Spur Jesu bleiben? Wenn sein Wort nicht gehört und zu Herzen genommen wird? Die Erzählung von Maria und Marta ist weithin bekannt und wurde oft einseitig ausgelegt.

Eine Seligpreisung Jesu„Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.“

Gottesliebe und NächstenliebeLiebe Gemeinde, „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben (…) und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Darüber sind sich Jesus und ein jüdischer Rechtsgelehrter einig.

Wie Nächstenliebe Gestalt gewinntWie Nächstenliebe Gestalt gewinnt, erzählt Jesus am Beispiel des barmherzigen Samariters. Der reisende Samariter ließ sich berühren von der Not eines Menschen in seiner Nähe. Er half ihm, bis jener wieder Verantwortung für sein Leben übernehmen konnte.

Und Gottesliebe?Wie Gottesliebe Gestalt gewinnt, zeigt die gleich darauf folgende Geschichte von zwei Schwestern. Aus dem Lukasevangelium Kapitel 10:
„Als sie aber weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“

Eine Frau nimmt Jesus aufUnüblich ist es schon: Marta handelt und lädt Jesus in ihr Haus ein. In der antiken orientalischen Gesellschaft ist es unüblich, dass eine oder mehrere Frauen einen Mann in ihr Haus einladen.

Marta geht voranMarta tut es. Ihr aramäischer Name bedeutet übersetzt „Herrin“ oder auch „Herr, komm!“ Genauso handelt sie. Sie ist gastfreundlich. Marta hieß Jesus willkommen. Sie nahm ihn auf. Marta nahm Jesus auf, und es war Marta, die dies entschied und die dies tat. Von einem Mann oder von einer anderen Frau ist dabei keine Rede.

Maria hört Jesus zuAls Jesus bei Marta im Haus ist, kommt eine weitere Person ins Spiel: Ihre Schwester Maria. Die findet Jesu Worte vom Reich Gottes spannend. Deshalb setzt sie sich als seine Schülerin zu Jesu Füßen, ganz nah bei Jesus. Und Jesus lässt das zu. Möglicherweise saßen noch einige weitere Personen mit dabei. Schließlich war Jesus meist in Begleitung seiner zwölf Jünger und weiterer Frauen und Männer unterwegs. Die Erzählung lässt jedoch offen, ob überhaupt und wie viele Personen mit Jesus ins Haus gekommen waren.

Marta dient Jesus und MariaErneut geht Marta in Führung: „Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen.“ Sie erfüllt Gastgeberpflichten und will, dass sich der Gast willkommen fühlt. Sie werkelt, schafft und möchte, dass etwas Gutes auf den Tisch kommt. Marta verhält sich ausgesprochen gastfreundlich. Irgendwann, vielleicht beim Gemüseputzen oder beim Teigkneten, fällt ihr aber auf: Von den zwei Bewohnerinnen im Haus arbeitet nur eine in der Küche. Die andere sitzt bei dem Gast, den sie, Marta, eingeladen und im Haus aufgenommen hat. Wie kann das sein? Martas Schwester tut nichts, hilft nicht und lässt sich bedienen, als ob sie ebenfalls ein Gast wäre. Marta empfindet das als unsolidarisch und unfair. Sie wird immer unzufriedener mit dieser Situation.

Störungen haben VorrangMarta sinnt auf Abhilfe und überlegt. Irgendwann handelt sie: Hier entwickelt sich die Erzählung unerwartet – und doch irgendwie typisch. Warum bittet Marta nicht Maria direkt, sondern auf dem Umweg über Jesus? Vielleicht erhofft sie sich von ihm leichter Unterstützung als von ihrer Schwester. Geschwister kennen sich genau; sie haben oft eine lebenslange Geschichte miteinander. Vielleicht wählt Marta deshalb den Umweg. Es ist ja auch für Jesus offensichtlich, dass Maria gerade nichts und Marta schon seit einiger Zeit alles tut.
Marta behelligt ihren Gast mit hausinternen Differenzen. Sie beteiligt ihn und erwartet von ihm, dass er einseitig Partei ergreift – natürlich in ihrem Sinn. Marta spricht Jesus an, meint aber Maria. Sie spielt über Bande.

UnerwartetDoch das geht schief. Der Gast hat zwar eine Meinung und äußert sie sogar. Allerdings ist sie nicht im Sinn von Marta. Was für eine unerwartete Entwicklung: Jesus spricht nicht – wie erbeten – Maria an, sondern antwortet Marta direkt. Seine Intervention enthält drei Aspekte.

Kein RiesenaufwandMit der doppelten Anrede „Marta, Marta“ adressiert er Marta zugleich einfühlsam und klar. Er spiegelt ihr, wie er sie wahrnimmt. „Du hast viel Sorge und Mühe“, sagt er. Tatsächlich: Martha ist umtriebig, geschäftig, völlig in Anspruch genommen. Sie macht nichts falsch – außer dass sie zu viel tut: Ich verstehe Jesus so: „Jetzt ist es auch gut mit dem Riesenaufwand, Marta. Willst du nicht herkommen und dich zu uns setzen? Du hast mich freundlich zu euch hereingebeten. Du hast mich gastfreundlich aufgenommen, und jetzt bleibt dir keine Zeit mit mir. Die ganze Zeit bist du am Schaffen.“

Gottes Herrschaft und seine GerechtigkeitAls nächstes geht Jesus auf eine andere, grundsätzlichere Ebene. „Eins aber ist not“, sagt er. Er hat doch schon oft gesagt, worauf es ankommt: Es braucht eine entschlossene persönliche Ausrichtung: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.“

Auf Jesu Wort hörenDas ist das Wichtigste, und von da aus nimmt Jesus dann konkret Stellung zu Martas Wunsch und sagt: „Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ Was ist dieses „gute Teil“? Maria nimmt sich Zeit zum Hören auf Jesu Wort, jetzt, da Jesus bei ihr im Haus ist. Maria hört Jesus ausgiebig zu. Sie sitzt zu Jesu Füßen und hört ihm zu. Und Jesus legt ihr Gottes Wort und Willen aus. Er spricht von der Nähe des Reiches Gottes und davon, wie das Reich Gottes ihr Leben verändert, erneuert, buchstäblich begeistert. Dafür nimmt sich Maria Zeit.

Eingeladen, auf Jesu Stimme zu hörenAuch Marta steht diese Wahl offen – jetzt, da Jesus bei ihr im Haus ist. In ihrer unablässigen „Sorge und Mühe“ verpasst sie sonst das Zeitfenster der Verkündigung Jesu. Sie verpasst sonst die hörende Liebe auf das Wort Gottes. Jesu Antwort auf Martas Bitte ist daher eine Einladung, aufzuhören mit all dem Getue. Weg vom Tun – hin zum Hören: einfach nur hören, aufhören, auf Jesu Stimme hören. Zeit zum Hören, zuhören, auf Jesus hören.

Wie wollen wir leben? Was ist „dran“ für uns?Die Erzählung endet mit Jesu Antwort an Marta. Der weitere Verlauf bleibt offen. Wir wissen nicht, wie Marta auf Jesu Intervention reagierte. Wie würden Sie, wie würde ich darauf regieren? Wie wollen wir leben? Aktiv wie Marta oder kontemplativ wie Maria? Immer wieder fragen wir uns heute: Was ist „dran“ für mein Leben? Was ist dran für unser gemeinsames Leben als Familie, als Gemeinschaft, als Gemeinde und als Gesellschaft? Bei allem Einsatz für den Nächsten braucht es auch Orte und Zeiten für Begegnungen mit Gott. Maria hat damals Ort und Zeit für sich gefunden, als Jesus sie besuchte.

Marta oder Maria?Aber ist „aktiv leben“ und „kontemplativ leben“ eine ausschließende Alternative? Ich meine: „Hörerin“ des Worts sein und „Täterin des Worts“ sein ist kein Entweder-Oder. Es braucht beides; aber heute liegt der Akzent auf dem Hören. Denn wie kann alles Wirken und Werkeln im Einsatz für den Nächsten in der Spur Jesu bleiben, wenn die Ausrichtung auf ihn fehlt? Wenn sein Wort nicht gehört und zu Herzen genommen wird? Gemäß dem Gebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt.“ Es braucht immer wieder eine Unterbrechung der Arbeit, ein buchstäbliches Auf-Hören: auf Gottes und Jesu Stimme hören.

Barmherzige Liebe und hörende LiebeDie übergeordnete Botschaft des heutigen Sonntags ist: Es braucht beides – einmal wie Marta und dann wieder wie Maria zu sein. Lukas macht dies im Erzählverlauf nacheinander am Beispiel des barmherzigen Samariters und der hörenden Maria deutlich. Beides sind zwei Seiten ein und derselben Medaille: barmherzige Liebe und hörende Liebe. In der Wahrnehmung von beidem – jeweils zur Gelegenheit passend – entsteht Leben von bleibendem Wert, „ewiges Leben“. Nachfolge Jesu heißt, dass wir bald wie der namenlose Samariter werden und bald wie Maria, je nach Situation und Gelegenheit.

Gottes Wort schafft LebenÜbrigens, bei einer späteren Begegnung stehen die drei – Jesus, Marta und Maria – vor dem Grab von Lazarus, des Bruders von Marta und Maria.
Spannend finde ich: Was tut Marta in jener späteren Geschichte? Sie hört Jesus zu. Und dann sagt sie: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.“ Marta hat sich entschieden. Da entsteht neues Leben. Lazarus steht auf.
Lasst uns es ihr gleichtun: bald wie der Samariter handeln und bald wie Marta und Maria auf Gott und Jesus hören. „Selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.“ Amen.

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