Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs (12. November 2023)
Pfarrerin und Studienrätin Stephanie Kscheschinski, Lörrach [stephanieloeffler@t-online.de]
Römer 8,18-25
IntentionOft fragen wir Menschen nach dem Warum angesichts von Leid. Wir grübeln nach Ursachen und verlieren uns in der Vergangenheit. Segen hingegen kann darin liegen, sich auf das, was kommt, in Hoffnung vorzubereiten.
8,18 Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. 20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat – doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. 23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.
Liebe Gemeinde!
In der Lutherbibel hat unser Predigttext die Überschrift: Hoffnung für die Schöpfung und Gewissheit des Heils.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Menschheit gerade beides abhandenkommt: Hoffnung und Gewissheit.
Das Leiden der Welt und der SchöpfungUnsere Zeit ist geprägt von vielen Schrecken. Die Politik sucht nach Lösungen. Alle sind gefragt. Alle müssen ihren Beitrag leisten, um die weitere Klimaerwärmung zu stoppen. Viele Betriebe in unserem Land leisten Großartiges, rüsten um und nehmen viel Geld in die Hand, um umweltfreundlicher zu produzieren. Und trotzdem: Es reicht nicht! Das hören wir immer wieder. Viele Menschen stellen sich auch im privaten Alltag um, sparen Strom, Gas und Wasser, achten beim Einkaufen auf möglichst wenig Verpackung und vieles mehr. Und doch haben wir den Eindruck: Es reicht nicht. Unsere Welt ist zu komplex und zu verwoben. Das alles kann Angst machen. Es wirkt unlösbar. Es raubt uns manchmal die Lebensfreude. Wenn zumeist junge Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten der sogenannten „Last generation“ – der letzten Generation – sich wieder irgendwo auf die Straße kleben oder auf die Marathonstrecke oder auf die Startbahn eines Flughafens, dann wollen sie Aufmerksamkeit erregen für den Klimaschutz. Die einen in der Bevölkerung finden das Engagement gut. Andere hingegen fühlen sich massiv gestört und reagieren sogar aggressiv. Und wieder andere fragen sich, warum sind die Klimaaktivistinnen so hoffnungslos? Warum der lebensmüde Name: letzte Generation?
Der leidende Mensch als Teil der leidenden SchöpfungWir Menschen erleben uns aber nicht nur durch die Umwelt- und Klimakrise bedrängt, sondern auch durch den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Angst vor einer steigenden Inflation und Rezession scheinen zur Zeit vieles an Erneuerungen und nötigen Investitionen in unserem Land lahm zu legen. Dazu kommen Leiderfahrungen, die Menschen im nächsten Umfeld betreffen oder sogar uns selbst. Und da wird uns auf der einen Seite klar, dass alles Leben vergänglich ist und nichts auf der Erde so bleibt, wie es war. Und wir erfahren, dass wir Teil eines Ganzen sind. Und dass die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist, wie es Paulus in unserem Bibelabschnitt sagt.
Auf der anderen Seite verstehen wir aber diese Vergänglichkeit nicht. Wir fragen nach dem Warum? Warum lässt Gott Leiden zu? Was ist das für ein Gott, von dem die Bibel uns lehrt, dass er uns liebt, wenn er uns und die ganze Schöpfung leiden lässt? Oft unterscheiden wir beim Nachdenken nicht zwischen Leid, das quasi einfach geschieht, zum Beispiel durch Naturgewalten und Leid, das durch Menschen verursacht wird. Verzweifelt machen wir Menschen dann Gott für alles verantwortlich.
Paulus sagt, die ganze Schöpfung und auch wir Menschen seufzen und ängstigen uns. Wir sehnen uns nach der Kindschaft. Wir wollen spüren, dass wir Gottes Kinder sind und Gott für uns sorgt. Wir sehnen uns nach der Erlösung unseres Leibes aus allem Leid.
Die Blickrichtung wechseln: nicht zurück in die Vergangenheit schauen, sondern nach vorne in die Zukunft
Grübeln bringt uns in diesen Fragen nicht wirklich weiter. Die Suche nach Ursachen für das Leid in der Welt und das Hadern, Alternativen verpasst zu haben, verlieren sich in der Vergangenheit.
Paulus wendet hier den Blick in eine andere Richtung. Von der Vergangenheit in die Zukunft. Paulus ist sich sicher, dass es uns nicht gelingt, mit der Vergangenheit klar zu kommen. Vergangenes kann uns so einnehmen und besetzen, dass wir keine Luft mehr zum Atmen haben. Dass wir keine Zukunftsperspektive mehr für uns sehen.
Paulus sagt uns klar: Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld. (Verse 24 und 25)
Es liegt also vielmehr Segen darin, sich auf das, was kommt vorzubereiten. Und zwar voller Hoffnung. Voller Vertrauen. In tiefem Glauben.
Und daran festzuhalten, dass wir Kinder Gottes sind, durch die Taufe angenommen von Gott selbst. Er sorgt für uns, im aktuellen Leben und weit darüber hinaus. Daran dürfen wir voll Zuversicht glauben.
Diese Glaubenshoffnung habe ich als junge Pfarrerin in meiner Gemeinde erlebt. Er Mann, Anfang 70 war schwer an Krebs erkrankt, und die Ärzte haben ihn aus der Klinik in Basel nach Hause geschickt. Sie konnten ihm nicht mehr helfen. Die Ehefrau rief mich an und bat um einen Besuch. Auf einem Pflegebett, das im Erdgeschoss in der Wohnküche stand lag der Patient. Er freute sich sehr über meinen Besuch. Noch mehr freute er sich, dass ich mit seiner Frau an seinem Kranken- und Sterbebett Kaffee trank, mit selbstgebackenem Kuchen. Quasi stellvertretend für ihn. Er konnte nichts mehr essen.
Mit tiefem, fast kindlich anmutendem Glauben sagte er immer wieder, bei den vielen Besuchen, die ich in den folgenden Wochen machte: „Ach wissen Sie, Frau Pfarrer, ich bin getauft. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Gott hat mir versprochen, er nimmt mich zu sich.“ Von Woche zu Woche verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Aber er freute sich immer auf meinen Besuch. Und immer gab es Kaffee und Kuchen, wie das letzte Abendmahl an seinem Sterbebett. Stellvertretend haben seine Frau und ich das für ihn getan. Und dann seufzte er manchmal auf, erzählte von neuen Leiden, zeigte sie mir auch, und sagte: „Ja, Frau Pfarrer, das hab ich jetzt halt auch noch. Aber ich bin ja getauft.“ Wir sprachen viel über die Taufe, über das Leid Jesu am Kreuz, über Ostern und die Auferstehung. Und darüber, dass der Tod nicht der letzte Schritt in eine dunkle Unterwelt ist. Sondern dass der Tod ein Übergang ist in der Hoffnung auf eine Neuwerdung. Quasi wie eine neue Geburt hinein in das Leben ganz in Gottes Nähe. Ein gemeinsames Gebet und ein Segen rundeten meinen Besuch immer ab.
Dieser Mann fragte nie nach dem Warum seines Leides. Zumindest mich nicht. Für mich ist er ein Beispiel tiefen Glaubens und Vertrauens geworden.
Segen liegt in der HoffnungDie Hoffnung, die diesen Mann erfüllte, hat ihm die nötige Geduld und Kraft gegeben mit seinem Leid klarzukommen. Es anzunehmen. Es als seinen ganz persönlichen Weg anzunehmen, um ganz in Gottes Nähe zu kommen.
Ist Hoffnung nicht eine ganz irre Illusion? Lässt uns Hoffnung nicht Visionen und Träumen regelrecht auf den Leim gehen? So wie es das Sprichwort sagt: Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.
Paulus sagt uns hier ja auch ganz klar, dass er unter Hoffnung versteht, auf etwas in Geduld zu warten, das wir nicht sehen.
Es ist also Vertrauen nötig, wenn wir in Geduld hoffen wollen.
Aber woher sollen wir dieses Vertrauen nehmen? Ich denke, Jesus Christus kann uns hier ein großes Vorbild sein. Auch er kannte das tiefe Seufzen und auch Angst vor dem, was da kommen würde. Aber er hat sich ganz Gott anvertraut. Am Karfreitag musste er sterben. Aber wir Christen feiern Ostern, das Fest der Auferstehung. Und genau das, soll uns ein Zeichen sein, dass das Leid und sogar der Tod nicht das letzte Wort über uns und unser Leben haben.
Diese Glaubenshaltung kann uns auch Zuversicht schenken, dass wir eben nicht die letzte Generation sind. Diese Glaubenshaltung kann uns stark machen, uns für die Krisen in unserer Welt und in unserem Alltag, in unserer Gesellschaft und Umwelt einzusetzen. Durchaus im Kleinen, in unserem Ort, in unserem Umfeld.
Und wenn wir dies tun, in der Hoffnung, dass Gott bei uns ist, dann liegt auch Segen in unserem Tun.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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