Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs (06. November 2022)

Autorin / Autor:
Rundfunkpfarrerin i. R. Dr. Lucie Panzer, Stuttgart [lucie.panzer@web.de]

Lukas 17,20-21

IntentionIn Krisenzeiten wie diesen fragen Menschen: Wie lange soll das denn noch so gehen? Die Predigt macht Hoffnung auf das kommende Reich Gottes. Wie schlimm die Zeiten sind, wissen die Zuhörerinnen selber, das muss die Predigt ihnen nicht noch bestätigen. Die Predigt beschränkt sich auf die Verse Lk 17, 20f.

17,20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Liebe Gemeinde,
die Zeiten sind schwer. Ich will Ihnen gar nicht aufzählen, was alles einen in diesen Wochen und Monaten bedrückt – Sie wissen das selber. Aber, Hand aufs Herz: Wann war es anders?

War die Welt früher besser?Vor 50 Jahren vielleicht, als die Energiekrise uns Sorgen gemacht und uns zu autofreien Sonntagen verholfen hat? Vor 75 Jahren, als nicht nur Stuttgart und diese Kirche hier in Schutt und Asche lagen und die Menschen sich noch dazu schämen mussten, dass es so weit gekommen war durch deutsche Schuld? Vor 99 Jahren, als im Mai in Berlin ein Kilo Brot 474 Mark gekostet hat? Zwei Monate später ist der Preis auf 2200 Mark gestiegen, Anfang Oktober sind es 14 Millionen. Noch einmal vier Wochen später kostet der Brotlaib 5,6 Milliarden Mark. Heute reden wir manchmal von der guten alten Zeit!
Oder war es zur Zeit Jesu besser, als die Römer in Israel lange Reihen von Kreuzen aufstellen ließen, um jeden Widerstand im Keim zu ersticken? Wer nicht geglaubt hat und gesagt, was die Besatzer verlangten, der musste damit rechnen, dort qualvoll zu enden.
Kein Wunder, dass die Schriftgelehrten Jesus damals gefragt haben: „Wann kommt das Reich Gottes?“ Jesus hat geantwortet: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Anzeichen erkennen kann. Man wird auch nicht sagen: ‚Schau her, hier ist es! Oder: ‚Dort ist es!‘ Denn seht doch: Das Reich Gottes ist schon da – mitten unter euch.“ (Übersetzung: Basisbibel)

Wann kommt das Reich Gottes?Wann kommt denn nun endlich das Reich Gottes? Manche fragen das inzwischen ein bisschen zynisch, andere mit Misstrauen und Ungeduld. Die neue Welt, die Jesus uns versprochen hat, wo alles anders wird und besser: Wo bleibt sie denn? Wo die Menschen friedfertig sind und barmherzig miteinander umgehen, wo die getröstet werden, die Leid tragen, wo die Erde den Sanftmütigen gehört (und nicht den Kämpfern), wo die Menschen nach Gerechtigkeit streben und wo alle selig sind, die sich für die neue Welt einsetzen: Wann endlich ist es soweit? Man könnte meinen, wir geraten immer weiter weg von der neuen, der besseren Welt. Und manche versuchen und haben versucht, sie selber herbeizuführen, die neue Welt und den neuen Menschen noch dazu. Bisher haben alle diese Versuche zu großem Unglück geführt. Wenn man sich umschaut auf der Erde und in der Geschichte der Menschen, dann bewegt einen das ganz schön, und manchmal zieht es einem den Boden unter den Füßen weg. Das ist wohl wahr.

Gottes neue, gute Welt ist schon daAber – Gott sei Dank: Das andere ist ja auch wahr. Es gibt diese wunderbaren Momente, wo man sich fühlt „wie im Himmel“. Wo man auf einmal spürt, dass sie ganz nah ist, vielleicht sogar schon da, die neue, gute Welt Gottes. Jedenfalls für einen Moment. So hat das offenbar auch Jesus gesehen. „Seht doch“, hat er seinen Jüngern gesagt, „seht doch: Das Reich Gottes ist schon da. Mitten unter euch.“
Seht doch! Was haben sie denn gesehen, damals? Sie haben ihn gesehen: Jesus. Sie haben gesehen, wie er einen Mann besucht hat, mit dem sonst keiner zu tun haben wollte. Denn bei diesem Mann haben alle gemerkt, was die anderen vielleicht bloß gut versteckt haben: dass Menschen nicht genug kriegen können. Deshalb haben sie mit dem Finger auf ihn gezeigt, vielleicht nur, um von sich selber abzulenken. Jesus hat diesen Zachäus besucht. Und auf einmal ist diesem Mann klar geworden, worauf es wirklich ankommt und was zählt und wie das Leben wirklich gut wird. Da hat er aufgehört, die anderen abzuzocken und hat zurückgegeben, wo er sich auf Kosten anderer bereichert hatte. Da war sie da, die neue, bessere Welt. So einfach kann das sein. Für einen Moment haben sie es gesehen, damals, als sie Jesus gesehen haben. Das hat ihnen Hoffnung gemacht. So einfach könnte es sein! Da ist über ihnen der Himmel aufgegangen und hat sie bewegt.
Wer damals mit Jesus unterwegs war, konnte es sehen. Seht doch! Wenn Menschen teilen, was da ist – dann reicht es für alle. Wenn man einem Mann seine Schuld vergibt, dann kommt er wieder auf die Beine. Wenn man eine Frau nicht verdammt wegen eines Fehlers, sondern ihr einen neuen Anfang möglich macht – dann fängt das Leben neu an. So bewegt einen der Himmel. So bringt der Himmel in Bewegung, was auf Erden nicht bleiben kann, wie es ist.
Das Reich Gottes, die Welt, in der es nach Gottes willen zugeht: In den Geschichten von Jesus kann man sie entdecken. Und in den Geschichten, die Jesus erzählt hat, auch. Da kann man entdecken, wie das Leben gelingt. Dass das Leben sein kann „wie im Himmel“. Seht doch. Eigentlich müsste man noch dazu sagen: Hört doch! Wir Christen haben diese Geschichten von gelingendem Leben. Geschichten von der neuen, guten Welt Gottes. Ich denke, diese Geschichten sollten wir nicht für uns behalten. Seht doch, sagen sie. Das Reich Gottes ist schon da. Mitten unter euch. Hört doch!

Der Himmel geht aufWo das Reich Gottes anfängt, da wird man ein anderer Mensch. Und auf diese Veränderung kommt es an. Es kommt nichts in Bewegung, wenn wir uns nicht bewegen. Sie und ich. Wenn wir uns nicht ändern.
Ich sage ziemlich oft: Das kann nicht bleiben, wie es ist. Bloß: Ich – ich möchte doch am liebsten bleiben, wie ich bin. Aber so wird das nichts mit den Veränderungen. Deshalb ist es so wichtig und nötig, dass mich der Himmel bewegt: Damit ich mich verändern kann. Damit ich mich bewegen kann. Damit wir etwas bewegen können.
Wenn die Geschichten der Bibel vom gelingenden Leben mich inspirieren, wenn die Liebe mir das Herz öffnet, wenn die Musik mir glauben hilft: Dann verändert sich was bei mir. Dann bewegt mich der Himmel.
Dann geht der Himmel auf. Und auf einmal sieht man die Erde im Licht Gottes. Nicht dass dann alles überstrahlt wäre so wie auf überbelichteten Fotos, auf denen man eigentlich gar nichts mehr sieht. Nein. So nicht. Die neue Welt Gottes ist nicht das Paradies, wo auf einen Schlag alles sehr gut ist. Wenn der Himmel aufgeht, im Licht Gottes, sieht man auch die, die sonst im Schatten stehen. Dann sieht man auch das, was man sonst lieber übersieht. Aber es entmutigt einen nicht. Denn mitten in der Welt mit ihren Schatten, mit den Enttäuschungen und Frustrationen geht eben doch der Himmel auf. Seht doch! Mitten in der Welt mit ihren Schatten gibt es gelingendes Leben. Das Reich Gottes, mitten unter uns.

AlltagsbeispieleEs gibt Menschen, die können einem die Welt schön machen, gerade dann, wenn alles dunkel und trübe scheint. Ich denke nicht an die, die einem das Blaue vom Himmel herunter versprechen, und dann ist die Enttäuschung hinterher umso größer. Ich denke zum Beispiel an die Großmutter, die davon hört, dass der Enkel noch nicht so gut rechnen kann wie die anderen in seiner Klasse. Die schimpft nicht, die verordnet nicht Extra-Übungsaufgaben, die verzweifelt nicht, weil der Junge nichts kann: Sie freut sich über seine Hilfe beim Kuchenbacken, sie freut sich, weil er beim Fußball das entscheidende Tor geschossen hat. Und manchmal, zwischendrin rechnet sie mit ihm um die Wette. Da verliert sie meistens. Aber der Junge gewinnt Selbstbewusstsein, und irgendwann klappt es auch mit dem Rechnen. Ich denke an die Politiker, die nicht bloß schwarz malen und Panik schüren und an die Medien, die nicht bloß Katastrophennachrichten bringen. Die sagen: „Wir schaffen das!“ und davon reden, dass vieles geht, wo Menschen zusammenhalten und nicht bloß jeder an sich selber denkt. Ich denke an die Nachbarin, die sagt: Ich bete für Sie und für Ihren Mann und Mittagessen vorbei bringt, wenn mir die Kraft ausgeht. Da überall geht der Himmel auf. Manchmal mitten in der Katastrophe. Unsere Welt ist nicht das Paradies. Aber das Reich Gottes kann sich zeigen – mitten unter uns. Amen.



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