Drittletzter Sonntag des Kirchenjahrs (11. November 2018)

Autorin / Autor:
Pfarrer Dr. Martin Weeber, Stuttgart [martin.weeber@elk-wue.de]

Hiob 14, 1-6

Was sollen wir Hiob sagen?„Alles ist vergänglich, alles ist vergeblich.“ Diese Einsicht ist es, die Hiob nicht mehr aus dem Kopf geht. Alles vergänglich, alles vergeblich. Ja, so ist der Mensch: Er blüht auf wie eine Blume, ist eine Zeitlang schön – aber dann verwelkt er auch schnell wieder. Er bleibt nicht, nichts bleibt. Alles vergeht. Hiob erlebt das an sich selbst.
Hiob lebte vor langer, langer Zeit, im Lande Uz, irgendwo im Orient. Aber Hiob lebt auch heute noch. Er hat eine Wohnung in unserem Dorf, in unserer Stadt. Mag sein, dass auf seinem Türschild unser eigener Name steht.
Hiob hat schreckliche Verluste erlitten: Er war reich und ist nun bitterarm. Er hatte Kinder – und er musste sie begraben. Eine Hiobsbotschaft, eine schlechte Nachricht nach der anderen, musste er entgegennehmen. Hiob hat wirklich Schreckliches erlebt.
Aber es genügt oft schon viel geringeres Unglück, dass einem Hiob-Gedanken durch den Kopf gehen: Alles vergänglich, alles vergeblich.
Was sagt man einem Menschen wie Hiob? Was sagt man zu sich selber, wenn einen ähnliche Gedanken quälen wie Hiob?
Das Hiobbuch berichtet davon, dass drei Freunde zu Hiob kommen. Die sagen viel zu ihm. Aber zunächst einmal schweigen sie. Sie hören zunächst einmal einfach nur zu. Sieben Tage und sieben Nächte lang: „Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ Sie warten, bis Hiob selber zu reden beginnt. Dann hören sie ihm erst einmal zu. Sie lassen ihren Freund zu Wort kommen.
Später reden sie dann. Sie reden dann viel, sehr viel. In vielen, vielen Kapiteln des Hiobbuches wird uns geschildert, welche Gedanken Hiobs Freunde ihm vortragen und mit ihm besprechen. Eigentlich alles, was einem in solch einer Lage einfallen kann, fällt ihnen ein.
Sie suchen Gründe für sein Unglück, und sie suchen nach einem Sinn, der in all dem Unglück stecken könnte. Aber das hilft alles nichts. Das Hiobsgefühl kann man nicht wegdiskutieren und nicht wegargumentieren. Am Ende redet sogar Gott mit Hiob. Und ganz am Ende geht es Hiob wieder gut: Äußerlich und innerlich. Aber was das bewirkt hat, dass es ihm wieder gut geht, äußerlich und innerlich wieder gut geht: Das weiß niemand so recht. Vielleicht haben wir das ja auch schon mal so erlebt: Dass es uns dann doch irgendwann mal wieder gut gegangen ist, obwohl wir das eigentlich gar nicht mehr für möglich gehalten hatten.
Manche sagen, das Hiobbuch sei nur eine großartige Dichtung, und Hiob habe es als eine einzelne Person gar nicht gegeben. Und am Ende habe der Dichter (oder irgend jemand, der seine Dichtung bearbeitet hat), einfach ein Happy End angefügt, weil sich das für den Leser schlecht aushalten lasse, wenn es kein Happy End gibt.
Ich sage: Hiob gibt es, solange Menschen leben. Denn immer wieder machen Menschen die Erfahrung Hiobs: alles vergänglich, alles vergeblich.
„Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“
Und dann auch noch: alles voller Unglück, und die Gründe für das Unglück – undurchschaubar.
Manche erhalten ja tatsächlich eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Bei ihnen reiht sich Unglück an Unglück.
Was sagt man solch einem Menschen? Manchmal am besten gar nichts. Manchmal, ja meistens, ist es am besten, zunächst einfach einmal zuzuhören. Oder vielleicht, wenn es passt, den Menschen, dem es so schlecht geht, einfach wortlos in den Arm zu nehmen. Argumente und Gründe helfen im Unglück wenig.

Was sagt Hiob zu Gott?Er sagt zu ihm: „Blicke weg von mir, damit ich Ruhe habe. Schau mich nicht auch noch an in meinem Elend.“ Ohne Gott könnte Hiob sein Schicksal leichter tragen – meint Hiob.
Wir sagen ja gerne: „Mit Gott lässt sich alles leichter ertragen.“ Aber so einfach und eindeutig ist das nicht. Hiob jedenfalls empfindet es als eine Erschwerung seiner Last, dass er sie unter den Augen Gottes tragen muss.
Wir mögen es ja oft schon nicht, wenn andere Menschen sehen, wie schlecht es uns geht. Aber dass Gott ihm auch noch zuschaut in seinem Unglück: Das ist für Hiob schwer zu ertragen.
Nein, es ist wirklich nicht so, dass Menschen, die an Gott glauben, immer jedes Unglück einfacher ertragen. Manchmal haben es diejenigen leichter, die einfach überall und immer den blinden Zufall am Werk sehen.
Unser Predigttext ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Hiobbuch. Und was wir hier lesen, ist beileibe nicht alles, was über das Verhältnis von Hiob zu Gott zu sagen ist.
Aber es ist sicherlich gut, wenn wir hier am Beispiel des Hiob gezeigt bekommen, dass auch das vorkommen kann, wenn ein Mensch mittendrin im Leiden steckt: dass er sich Gott wegwünscht, dass er nichts mehr von Gott wissen will, dass er nicht mehr von Gott angesehen werden mag.
„Blicke weg von mir, damit ich Ruhe habe. Schau mich nicht auch noch an in meinem Elend.“

Was sagt Hiob uns?Hiob mahnt uns, dass wir es mit unserem Gottesbild nicht zu einfach machen. Gott ist nicht einfach der Garant für Glück und Sonnenschein im Leben. Menschen machen im Leben immer wieder Erfahrungen, die sich nicht so leicht mit einem naiven Bild vom „lieben Gott“ zusammenbringen lassen. Gott kann sich uns auch als sehr fern und rätselhaft zeigen.
Das Hiobbuch erinnert uns daran, dass nicht alles aufgeht in unserem Leben – und dass auch Gott nicht der ist, der alles Unglück von uns abwendet. So einfach und eindeutig, wie wir es manchmal gerne hätten, ist das Leben mit Gott keineswegs.

Was wäre außerdem noch zu sagen?Gut ist es, dass das Hiobbuch in unserer Bibel steht. Gut ist es aber auch, dass das Hiobbuch nicht unsere ganze Bibel ist. Gut ist es, dass die Bibel als Ganze uns einen Horizont eröffnet, der den Horizont des Hiobbuches übersteigt. Im ganzen Hiobbuch gibt es nur eine einzige Stelle, die von einer Hoffnung redet, die über unser irdisches Leben hinausgeht. Und man kann sich darüber streiten, ob diese Stelle wirklich so viel hergibt, wie wir als Christinnen in ihr sehen. Hiob 19, 25-27: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“
Für uns als Christen ist es im Glauben klar und gewiss: Unser Erlöser lebt. Und er wird uns aufnehmen in sein ewiges Leben. Wir werden ihn sehen, ihn schauen von Angesicht zu Angesicht, von Person zu Person. Diese Gewissheit ist die Gewissheit des Neuen Testaments, die Gewissheit derer, die an Christus glauben und auf ihn ihre Hoffnung setzen.
Zu sagen wäre auch noch, dass unser irdisches Leben zwar in der Tat vergänglich ist. Das kann man schlecht bestreiten. Aber deshalb muss es nicht vergeblich sein. Wir können es auf sinnvolle Weise leben.
Der heutige Sonntag fällt auf den 11. November. Und der 11. November ist bekanntlich der Martinstag. (1) Und die Geschichte vom Heiligen Martin, von Sankt Martin, die gibt uns da den entscheidenden Hinweis. Ich will in aller Kürze an sie erinnern: Der Heilige Martin war ein römischer Soldat. Und er hat, als er eines Tages einen frierenden Bettler sah, seinen warmen Umhang (seinen Mantel, wie wir meist sagen) mit Hilfe seines scharfen Schwertes geteilt und die eine Hälfte davon dem Bettler gegeben, damit der sich gegen die Kälte schützen konnte. In der folgenden Nacht ist ihm dann im Traum Christus erschienen, bekleidet mit dem halben Mantel, den Martin dem Bettler gegeben hatte. Martin ist damals etwas aufgegangen. Er hat gemerkt, dass unser Leben sinnvoll ist und nicht vergeblich, wenn wir andere Menschen unterstützen, wenn wir mit anderen teilen, was wir haben und können.
„Ja, lieber Hiob, du hast schon recht: Unser Leben ist vergänglich. Aber vergeblich ist es deshalb noch lange nicht.“
Das können wir zu Hiob sagen. Aber erst, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.

Anmerkungen
1 Die Idee mit dem Martinstag verdanke ich einer Predigtmeditation von Michael Werner, in:
a und b (Für Arbeit und Besinnung. Zeitschrift für die Evangelische Landeskirche in Württemberg), Nr. 19/2018, 1. Oktober 2018, 9-15.

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