Heiligabend/Christvesper (24. Dezember 2017)
Jesaja 9, 1-6
Liebe Gemeinde! Ich weiß nicht, wie Sie über Gott denken. Sie mögen ganz unterschiedliche Einstellungen zu ihm haben. Aber ich darf Ihnen versichern: Gott freut sich, dass Sie alle da sind. Er will jetzt mit Ihnen reden. Sie sollen ein Wort hören, das Ihnen weiterhilft. Und nachher dürfen auch Sie ihm etwas sagen. Sie dürfen Ihr Anliegen vor ihn bringen. Dann wird er uns hören. Und ich bin gewiss: Er wird es nicht beim Hören belassen. Er wird auch handeln.
Erwartungen am Heiligen AbendSie haben vermutlich unterschiedliche Erwartungen, mit denen Sie heute in die Kirche gekommen sind. Vielleicht wollen Sie Ihrem Kind oder Enkel beim Krippenspiel zusehen. Oder es gehört in Ihrer Familie zur guten Tradition, am Heiligen Abend in die Kirche zu gehen. Oder Sie mögen die Stimmung, die Ihnen für den Beginn des Weihnachtsfestes noch fehlt.
Wir alle sehnen uns nach einer heilen und geheilten Welt. Wir sehnen uns nach Glück und himmlischem Frieden auf Erden, Friede zwischen den Völkern und in unseren Familien. Wenn das endlich wahr werden würde, dann ginge es uns wirklich gut. Diese Sehnsucht ist tief in uns verwurzelt. Deswegen sollten wir uns nicht damit begnügen, in die Weihnachtsstimmung zu kommen. Denn mit einer bloßen Stimmung sind auch die mit ihr verbundenen Erwartungen und Hoffnungen nur allzu schnell wieder verflogen.
Möglicherweise erwarten wir von diesem Gottesdienst aber auch eine Aufbesserung unserer Sozialmoral. Wir sind ja nicht einfach nur Egoisten. Mit diesem Gottesdienst wollen wir nicht nur uns selbst wohltun. Sondern wir wollen uns gerade auch neu auf bedürftige Menschen einstellen. Im Gebet denken wir an sie. Und auch unser Opfer am Ausgang soll ihnen weiterhelfen.
Aber reicht eine gute Sozialmoral wirklich aus, damit es besser wird in unserer Welt? Damit es bei uns und bei anderen rücksichtsvoller und gerechter, friedfertiger und fröhlicher zugeht? Reichen unsere Kräfte zu einer positiven Veränderung: zu mehr Menschlichkeit?
Deprimierende Lebensumstände zur Zeit des Propheten JesajaAuch vor über 2 500 Jahren hatte man im Staat Juda Erwartungen und Hoffnungen. Denn die Lebensumstände waren traurig bis verzweifelt. Wie das Vieh fühlte man sich geknechtet: über einem die Jochstange erzwungener Arbeit und hinter einem der Gewalt androhende Stecken des Treibers. Unter fremden Belastungen und harten Herren keuchte und stöhnte das Volk.
Dazu kam auch die Situation des Krieges: das schauderhafte Gedröhn von Soldatenstiefeln und der verstörende Anblick von Uniformen voller Blut. Die Atmosphäre war bestimmt von Angst und Schrecken, von Blut und Tod. Keiner in der Regierung hatte wirklich eine gute Lösung. Keiner fand einen wirklichen Ausweg aus der Krise.
In diese deprimierenden Lebensumstände sandte Gott den Propheten Jesaja. Der stimmte nicht mit ein in das Gejammer über die persönlich verzweifelte und politisch verfahrene Lage. Jesaja verkündete ein Wort wie aus einer anderen Welt. Im Auftrag Gottes sagte er eine hoffnungsvolle Zukunft an.
Erwartungen an den kommenden KönigEs handelt sich um ein Kind, von dem Jesaja spricht: Dieses Kind wird der künftige glanzvolle König auf dem Thron Davids sein. Seine Thronnamen heben die besondere Bedeutung dieses Herrschers hervor. Als „Wunder-Rat“ rettet er durch seine Anordnungen aus Not und Elend. Als „Gott-Held“ lässt er in seiner Person göttliche Eigenschaften aufscheinen. Als „Ewig-Vater“ offenbart er seine unbeirrbare Fürsorge für das Volk. Und als „Friede-Fürst“ bewahrt er erfolgreich den von Gott geschaffenen Frieden.
Durch diesen Sohn wird Gott eingreifen und für Freiheit und Frieden sorgen. Er wird die Knechtschaft beenden. Er wird das Volk in die Freiheit entlassen. Er wird den Krieg abschaffen. Er wird ihm seinen Frieden schenken. Er wird das tun, was alle menschlichen Bemühungen nicht zustande brachten. Ihr werdet es noch sehen: Die finsteren Trübsale des Volkes Gottes werden durch aufstrahlendes Licht ersetzt. Und ihr werdet es noch erfahren: Die jammervolle Bedrückung wird in unbändige Freude verwandelt.
Mit dieser Ansage einer hoffnungsvollen Zukunft waren bei Jesaja politische Erwartungen verbunden. Die Geburt eines Nachfolgers auf dem Thron Davids gab Anlass zu solchen Hoffnungen. Der Kronprinz sollte stark sein und den Staat Juda zu neuer Größe führen. Aber was dann in der politischen Wirklichkeit kam, waren nur Schwächlinge auf dem Thron in Jerusalem. Zwar errichtete ein späterer König erneut das Großreich Davids, aber ein „Friede-Fürst“ war er nicht. Es musste noch ein anderer kommen, der dem Volk Gottes das wahre Licht bringt.
Gottes Handeln und die Reaktion der WeltGott selbst handelt in unserer finster gewordenen Welt. Die Strahlen seines Lichts erhellen die Dunkelheiten unseres Lebens. Und das geschieht auch nicht nur irgendwie. Auf seine ganz eigene Weise erfüllt Gott das prophetische Wort: Er sendet seinen Sohn in die Welt. In Jesus Christus kommt das Licht Gottes zu uns.
Auf den ersten Blick scheint das die Welt nicht zu berühren: Was kann schon einer bewirken, der in einem Winkel des Römischen Reiches in einen ärmlichen Stall hineingeboren wird und durch einen Justizmord endet?! Und doch will Gott uns Menschen gerade in dem begegnen, dessen Leben so ärmlich und erbärmlich zu sein scheint. Denn der, der die Dunkelheiten menschlichen Lebens kennt, wird für uns zum hellen Licht.
Angesichts dieser Behauptung erhebt sich freilich sogleich der Verdacht, dass die Vorstellung von Jesus als dem großen Licht ein schöner, aber eben doch utopischer Gedanke ist – ein Gedanke also, für den es keinen realen Platz in dieser Welt gibt. Und so ganz abwegig ist dieser Verdacht ja auch nicht. Denn ohne den Bezug zur jenseitigen Welt bleibt Jesus eine Figur der Weltgeschichte: ein gescheiter, aber letztlich gescheiterter jüdischer Lehrer.
Mit Jesus kommt das wahre Licht Gottes zu unsWeihnachten lässt sich jedoch nicht anders als von Ostern her verstehen. Denn Gott hat diesen Jesus auferweckt. Gott hat damit anerkannt, dass der Lebensweg Jesu seinem Willen entsprach. Daher bekennt die Christenheit, dass Gott und Jesus zusammengehören: Dieser Jesus ist Gottes Sohn. Zu unserem Heil ist er von Gott gekommen und hat Menschengestalt angenommen. Seine Geburt feiern wir an Weihnachten. Wohl dem, der ihn bei sich aufnimmt! Wohl dem, der ihm Raum gibt in seinem Leben!
In der Begegnung mit Jesus werden sich auch bei uns mehr Gottvertrauen und mehr Mitmenschlichkeit einstellen. Wir dürfen jubeln und uns freuen über Gottes freundliches Handeln. Wir dürfen so richtig in Stimmung kommen. Und uns zugleich besinnen auf das, was unserem Nächsten guttut. Eben weil Gott uns guttut.
Die Dunkelheiten um uns herum müssen uns nicht länger fesseln. Gott handelt: Mit Jesus fällt das wahre Licht Gottes in unsere Welt, in unser Leben hinein. Das ändert alles! „Und seht, was in dieser hochheiligen Nacht der Vater im Himmel für Freude uns macht.“ Amen.
Nachbemerkungen
Exegetische GrundentscheidungenDie Lutherbibel 2017 präsentiert zwei Übersetzungen von Jes 9,1f.: im Haupttext die traditionelle im Präsens (so auch Hans Wildberger, Jesaja, BKAT X/1, 1972, 363) und in einer Fußnote die grammatisch präzisere im Präteritum. Aus Gründen der Grammatik ist man daher geneigt, die entscheidende Aussage auf die Vergangenheit zu beziehen (so Gabriele Wulz, Das Licht scheint in der Finsternis, a+b 22/2017, 16). Immerhin spricht aber auch die traditionelle Übersetzung von einer das Volk jetzt imponierenden Epiphanie des Lichts. In ihrer Aussage sind also beide Übersetzungen nicht sehr weit voneinander entfernt: Es muss im Volk ein Ereignis gegeben haben, das Hoffnung aufkeimen lässt. Im Anschluss an diese Übersetzungen finden sich aber in V.4 und V.6b futurische Worte, die in der Auslegung mit zu bedenken sind. Insofern bleiben „die zeitlichen Relationen in der Schwebe“ (Jörg Jeremias, Theologie des Alten Testaments, ATD.E 6, 2015, 422). Der Text selbst will freilich nicht nur als Verweis auf ein politisch erfreuliches Ereignis im Staat Juda, sondern gerade auch als „messianische Weissagung“ (a. a. O., 421) gelesen werden.
In sachlicher Hinsicht stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den eine universale Perspektive einnehmenden Thronnamen (V.5) und dem Bezug auf das Reich Davids (V.6a). Vermutlich dürfte tatsächlich an einen Davididen gedacht sein, dessen glanzvolle Friedensherrschaft auf die übrige Welt ausstrahlt. Alexander Jannaios (103-76 v. Chr.) konnte es nicht sein: Der Hasmonäer stellte zwar das Großreich Davids wieder her, aber ein „Friede-Fürst“ war er wahrlich nicht. Es musste ein anderer kommen.
Die auf das Handeln JHWHs bezogene Aussage in V.6b erscheint wie eine schlichte Nachbemerkung. Diese ist freilich von erheblicher Bedeutung für das in V.1-6a beschriebene Geschehen. Denn das Freude und Jubel auslösende Ereignis der Befreiung ist allein auf Gottes Handeln zurückzuführen. „Der kommende Heilskönig braucht keine Kriege mehr zu führen, sondern nur noch den Frieden zu bewahren, den Gott zuvor geschaffen hat“ (a. a. O., 423).
Zur homiletischen SituationUm die Hörerinnen und Hörer, die den Gottesdienst vermutlich eher selten besuchen, in ihren Erwartungen am Heiligen Abend abzuholen, nimmt die Predigt einen längeren Anlauf zum Thema. Der Kasus stellt der Predigt die Aufgabe, elementar, aber theologisch nicht unreflektiert zu reden. Wegen des Krippenspiels fällt die Predigt kürzer aus. Das Opfer am Ausgang ist für einen wohltätigen Zweck außerhalb der eigenen Gemeinde bestimmt.
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