Christi Himmelfahrt (21. Mai 2020)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Karin Keck, Plochingen [Karin.Keck@elkw.de]

Johannes 17, 20-26

IntentionWeil wir durch Jesus an Gottes Glanz und Herrlichkeit teilhaben, sind wir auch eingeladen zur Einheit in Liebe.

Liebe Gemeinde,
Himmelfahrt: Endlich wieder hinaus ins Freie. Die Saison der Gottesdienste im Grünen fängt wieder an. Und wenn wir uns heute in einer Kirche versammeln, dürfen wir dennoch in Gebeten, Liedern und Lesungen spüren, dass sich der Himmel auftut. Was bei Jesu Geburt mit dem Gloria der himmlischen Heerscharen und bei seiner Taufe mit dem offenen Himmel über ihm begann, geht nun weiter: Jesus geht zu Gott in den Himmel. Und auch für uns wird sich mit dem heiligen Geist, den er uns zuspricht, der Himmel öffnen.
Aber oft bleiben die Sätze aus dem Bekenntnis „aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes“ doch eher abstrakt. Der Evangelist Johannes weiß, dass die Beziehung von Jesus zu Gott etwas ganz Besonderes ist. Ein Geheimnis, etwas Unbeschreibliches, Unsagbares. Aber in einer für Johannes typischen Kreisbewegung nähert er sich dem Unsagbaren an. Hören wir heute als Bibelwort Verse aus Johannes 17, den Schlussabschnitt aus dem sogenannten hohenpriesterlichen Gebet Jesu. Dabei befiehlt er sich selbst und seine Wegbegleiter Gott an:

20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war. 25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen (Johannes 17,20-26).

Jesus nimmt Abschied. Ab Kapitel 18 berichtet Johannes von seiner Gefangennahme, von seinem Leiden und Sterben. In Kapitel 16 hat Jesus Abschiedsworte an seine Jünger gerichtet, hier kommt seine Botschaft in Gebetsworten, die an Gott gerichtet sind. Dabei befiehlt er sich selbst und seine Wegbegleiter Gott an. Sie werden ihn bald nicht mehr sehen und müssen damit klarkommen. Mit unserem Abschnitt kommt nochmal ein neuer Aspekt dazu: Jesus bittet auch für die, die durch seine Wegbegleiter zum Glauben kommen werden. Also für uns, für die ganze Kirche. Was wird sein, wenn er weg ist? Was ist unser Platz, unsere Aufgabe in der Welt? Und wo ist Jesus dann?
Johannes kreist um etwas, das nicht zu fassen ist und nicht in Worten begreifbar gemacht werden kann. Er weiß nur: Es kommt von oben, von Gott. Johannes wird ja mit dem Adler symbolisiert und so passt hier das Gedicht von Reiner Maria Rilke:

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

Drei Themen finde ich, um die Johannes und damit auch Jesus in diesem Gebet kreist: die Herrlichkeit Gottes, die Einheit der Christen mit Gott und untereinander und die christliche Liebe.

Jesus geht in Gottes HerrlichkeitDaher ist dieser Text für Himmelfahrt ausgewählt worden. Herrlichkeit steht hier für Himmel. Das Wort Himmel fällt nur am Beginn des Kapitels: „Jesus hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche.“
Wie und wo genau der Himmel ist, wissen wir ja nicht. Darum trifft es sich ganz gut, dass hier ein anderes Wort steht. Vielleicht hilft uns die „Herrlichkeit“, etwas über den Himmel zu erfahren.
Für den Begriff Herrlichkeit steht im Hebräischen das Wort „kabod“ bzw. im Griechischen „doxa“. Das bedeutet Schwere, Gewicht, Gewichtigkeit, Glanz, Ehre. Das lateinische Gloria gibt die letzten Aspekte gut wieder. Kabod, das „Gewicht“, meint etwas, das sich Menschen erwerben als Ansehen und Bedeutung in einem sozialen Zusammenhang – sie sind wichtig. So wird es zum Beispiel von Josef in Ägypten erzählt, der zum zweitwichtigsten Mann im Land geworden ist (Gen 45,13). Kabod als Wort für Gott meint dann die Art, wie Gott Menschen erscheint. Wir erleben zum Beispiel in Naturphänomenen Gottes majestätische Pracht, aber auch Glanz und Glorie im Gottesdienst. Dieser Glanz Gottes kann auch auf Menschen übergehen, so hat etwa Mose einen blendenden Glanz auf seinem Angesicht, als er von der Begegnung mit Gott zurück kommt (Ex 33f).
Auf einmal merken wir, dass der Himmel, den Jesus meint, nicht nur im Jenseits ist. Es ist Gottes Himmelreich, das hier auf der Erde anfängt und erlebt werden kann. An dem wir mitwirken. Und das will Jesus auf jeden Fall auch erbitten von Gott: Wir alle, die ganze Welt, sollen Anteil bekommen an dem Glanz Gottes. Wir sollen ebenfalls die Verbundenheit mit Gott spüren, die Jesus selbst gespürt hat.

EinheitJesus betet für die Einheit im Glauben, die sich aus seiner Einheit mit Gott ableiten lässt. So wie er mit Gott eins ist, sollen wir mit ihm und mit Gott eins sein. Und dann auch untereinander einig sein.
Aber was ist diese Einheit? Wenn wir an unsere verschiedenen Konfessionen und Denominationen denken, haben wir ja keine Einheitlichkeit. Unter der fehlenden Einheit leidet unsere Glaubwürdigkeit. Freilich gibt es ökumenische Gottesdienste oder Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden. Aber viel öfter wollen wir uns profilieren und das oft auf Kosten von Mitchristen. Wie einladend wirkt denn dann unser Glaube? Einmal ist es in einer Kirchengemeinde passiert, dass sie eine neue Jungschar gründen wollten. Dabei hatten sie nicht beachtet, dass die Süddeutsche Gemeinschaft am Ort zur selben Zeit schon eine Jungschar hatte. Das hat etliche Eltern sehr irritiert. Ist die eine Jungschar besser als die andere? Sind die einen schlechtere Christen als die anderen Warum kocht jeder sein eigenes Süppchen?
Die Einheit muss immer wieder neu erkämpft und bewahrt werden. Ohne dass alle gleich sein müssen. Denn das hat Jesus auch nicht gemeint. Er, der menschgewordene Sohn, ist ja auch nicht dasselbe wie der Vater im Himmel, er ist verschieden und doch eins. So ist es auch in der Musik: Verschiedene Instrumente können denselben Ton spielen und es klingt einheitlich. Ja, sogar wenn derselbe Ton eine Oktave höher erklingt, spürt man die Einheit.
Nun ist aber diese Einheit, wie schon am Anfang gesagt, ein besonderes Geschenk, schon unter Menschen. Erst recht ist die Einheit von Jesus und Gott etwas Geheimnisvolles, Unsagbares. Deshalb tun sich viele schwer damit, sie zu fassen. Auch von Rilke ist überliefert, dass er sich mit dem Glauben an Jesus und mit dem Verstehen von Kreuz und Erlösung schwer tat. Rilke schrieb:
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Kreuz bleiben sollte (). Es sollte uns gewiss nicht überall aufgeprägt werden, wie ein Brandmal. In …[Christus] selber sollte es aufgelöst sein. Denn, ist es nicht so: er wollte einfach den höheren Baum schaffen, an dem wir besser reifen könnten. Er, am Kreuz, ist dieser neue Baum in Gott, und wir sollten warme glückliche Früchte sein, obendran (…) Dieser Baum, scheint mir, sollte mit uns so eines geworden sein, oder wir mit ihm, an ihm, dass wir nicht immerfort uns mit ihm beschäftigen müssten, sondern einfach ruhig mit Gott, in den, uns reiner hinaufzuhalten, doch seine Absicht war.“
Rilke wünschte sich also, dass wir Gott nicht mehr nur durch Jesus vermittelt, sondern unmittelbar finden und in unserem christlichen Leben bezeugen könnten. Wenn wir mit Jesus so verbunden sind wie die Früchte an einem Baum, sind wir zugleich mit Gott verbunden. Dann können wir reifen und wachsen bis in den Himmel hinauf. Hier hat Rilke offensichtlich mit dem Bild vom Weinstock gespielt, das Jesus selbst in Johannes 15 verwendet: Wenn wir als Reben mit ihm verbunden sind, können wir wachsen und Frucht bringen.
Mit diesen Bildern können wir uns die Einheit vielleicht ein wenig vorstellen. Aber wenn sie nicht nur poetische Bilder bleiben sollen, muss die Einheit konkret werden, und das geschieht durch die Liebe.

LiebeDie Einheit bewährt sich in der Liebe, denn an uns soll die Welt Gottes Liebe erkennen. Er hat uns zuerst geliebt. Jesus sagt (V.23): „Auf dass sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.“
Und diese Liebe können wir weitergeben. Das sagt Jesus schon in Kapitel 15: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe“ (15,12). Und wie groß seine Liebe ist, zeigt sein Tod am Kreuz: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (15,13).
Wenn unser Glaube mehr sein soll als Glanz und Gloria, muss er sich im irdischen Miteinander beweisen. So wie Jesus sich den Menschen bis zuletzt in Liebe zugewendet hat. Nun ist er aber weg. Ist seine Himmelfahrt nur der Versuch einer Erklärung, warum er nicht mehr da ist? Ist sie nur ein Taschenspielertrick, eine Notlösung – sie ist ja nicht zu beweisen?
Christi Himmelfahrt darf Christus nicht so sehr in den Himmel erheben, dass sie uns den Blick auf den irdischen Jesus verstellt. Der Glaube an Jesus im Himmel darf nicht seine Hoffnung auf das Himmelreich hier auf Erden zunichtemachen. Denn für Jesus ist das Reich Gottes keine Vertröstung auf ein Jenseits, sondern die noch ausstehende Zukunft Gottes hier auf Erden. Er fordert uns auf, Gottes Herrlichkeit hier schon Gegenwart werden zu lassen, hier unsere Früchte zu bringen. Rilke sagt auch noch: „Lasst uns endlich dieses Erlöstsein antreten! Welcher Wahnsinn, uns nach einem Jenseits abzulenken, wo wir hier von Aufgaben und Erwartungen und Zukünften umstellt sind.“ Und er warnt davor, unsere Hoffnungen auf irdischen Frieden und Freude „hinter unserm Rücken an den Himmel zu verkaufen“.
Darum ist Christi Himmelfahrt eine Einladung zur Einheit in Liebe. Durch Jesus haben wir an Gottes Glanz und Herrlichkeit teil. Nach seinem Weggang sind wir herausgefordert: Jetzt sind wir dran! Wie Kinder dran sind, wenn ihre Eltern nicht mehr können, wie Schüler irgendwann selbständig Aufgaben lösen, wie Mitarbeiter letztlich ohne die Chefin klarkommen müssen, weil sie nicht immer und nicht überall da sein kann.
Wie es uns gelingt, ob als Falke, als Sturm oder als großer Gesang, das wird sich weisen. Aber von Gott bekommen wir die Gaben: Anteil an Gottes Herrlichkeit, Einheit mit Jesus und seine Liebe zu uns. Und die Aufgaben bleiben auch dieselben: Gottes Glorie weitergeben, untereinander eins sein und in Liebe leben. Da kreisen wir gemeinsam um Gott und versuchen, ihm in wachsenden Ringen immer näher zu kommen. Da würde sicher auch Rilke sagen: „Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“
Amen.

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