Buß- und Bettag (20. November 2024)
Lukas 13, 6-9
IntentionEs gibt zwar ein „Zu spät“ in unserem Leben, aber Gott nimmt sich unserer mit Engelsgeduld an. So ist immer noch Zeit, ein Feigenbäumchen zu pflanzen, auch und gerade, wenn morgen die Welt unterginge.
(In der Predigt werden die Verse 1 bis 5 nur kurz zusammengefasst, da dieser Streit so voller Details steckt, dass sie das Gleichnis, welches gerade durch seine Prägnanz beeindruckt, zu überdecken drohen.)
Erntezeit: Von Bäumen und FrüchtenLiebe Gemeinde, in den vergangenen Jahren habe ich immer wieder meinem Schwiegervater beim Ernten der Obstbäume geholfen. Wir haben zusammen viele Äpfel und Kirschen gepflückt und die Früchte zum Pressen und Brennen gebracht. Aus der Arbeit folgte Genuss. Doch mein Schwiegervater wurde schwächer, meine Zeit begrenzter und vor allem die Ernten immer schlechter. Die Bäume trugen kaum etwas aus und das, was wuchs, wurde nicht mehr gesammelt. Ein trauriges Bild. Was für private Gartenbesitzer wie meinen Schwiegervater verkraftbar ist, stellt Landwirte vor schwerwiegende Folgen. Wenn ein Baum nichts trägt, wozu ist er dann gut?
Lesezeit: Predigttext (Lukas 13, 6- 9 nach der Lutherbibel 2017)Im Lukas-Evangelium wird uns berichtet, wie Jesus von einem Baum erzählt, der nichts austrägt. In seinem Gleichnis nimmt er die bäuerliche Erfahrungswelt auf.
Jesus ist es ein dringendes Anliegen, dass wir Menschen unserer Schuld ins Auge blicken, uns von falschen Wegen in unserem Leben abkehren und zu Gott umkehren. Mit einem alten Wort ausgedrückt: Buße tun. Um zu verdeutlichen, wie dringend diese Buße ist, erzählt Jesus von einer spannenden Szene zwischen zwei Menschen. Es geht um einen Baum:
„Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.“
Endzeit: Zu spät?In aller Kürze erzählt uns Jesus von einer alltäglichen, aber herausfordernden Situation für einen Weinbergbesitzer und seinen Weingärtner. Bäume, die nichts tragen und Felder, die nicht zu ernten sind: In vielen Regionen unserer Welt ist das leider nichts Außergewöhnliches. Auch in unserem Land erleben wir immer öfter extreme Wetterereignisse, die durch den Klimawandel bedingt sind. Dieser Klimawandel vermittelt uns eine Gewissheit, die ich erschreckend finde und mit der ich früher so nie gerechnet hätte: Es gibt ein „Zu spät“. Es gibt wahrscheinlich einen Kipppunkt, ab dem der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist. Kurioserweise ist ausgerechnet das Feigenbäumchen, von dem Jesus erzählt, ein Zeuge dieses Klimawandels. Obwohl der Feigenbaum eine kälteempfindliche Pflanze ist, wächst er auch immer häufiger in unserem Land, weil es wärmer wird. Der Klimawandel zeigt einen allgemeinen Schuldzusammenhang: Niemand von uns ist allein schuld am Klimawandel, aber wir sind bei allem guten Willen verstrickt in eine Schuld, der wir nicht entkommen. Diese Verwicklung und Verstrickung ist ein Bild dessen, was in der Bibel Sünde genannt wird und Buße einfordert. Und wie beim Klimawandel scheint es auch in der Sünde einen Kipppunkt zu geben.
Es gibt einen Moment, in dem es zu spät ist. Das berührt auch den Blick auf mein eigenes Leben. Gibt es vielleicht auch ein „Zu spät“ für meine Buße, meine Abkehr von falschen Wegen, für meine Umkehr zu Gott? Meine Schuld ist mehr als das, was ich zum Klimawandel beitrage. Mir ist bewusst, dass ich die 10 Gebote immer wieder verletze; mir ist bewusst, dass ich mein Leben nicht so gottesfürchtig führe, wie ich es wünschte; ich weiß um meine Schuld und meine Fehler. Und vermutlich kann ich manches gar nicht sehen. In diesem Bewusstsein treffen mich die Worte des Weingärtners aus dem Gleichnis mit voller Wucht: „Vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.“ Ich sehe mich und uns alle in dem Gleichnis als Feigenbaum, über den Gott eine Art Selbstgespräch führt. Ein Baum, der schon zu lange keine Früchte bringt. Die Frage steht im Raum, ob er abgeschlagen wird.
Diese Warnung, so unbequem sie ist, ist real und will ernstgenommen werden, obwohl sie so wenig zu dem Jesusbild passt, das wir so gern vor Augen haben, Uns begegnet hier der Jesus, der ein starkes Bild zeichnet, um uns zur Umkehr zu rufen. Gerade am Buß- und Bettag gilt es, das auch auszuhalten.
Gottes Zeit: Mit EngelsgeduldDiese Warnung ernst zunehmen heißt aber nicht, sie einfach so stehen zu lassen und in Angst und mit schlechtem Gewissen zu leben. Gott will beim Wort genommen werden. Und so steht in der Bibel neben jeder Ansage auch eine Zusage, neben allen Warnungen auch eine Verheißung. Gottes Gerechtigkeit ist größer als unser Schuld und seine Gnade größer als sein Wille, uns zu strafen. Die Liebe Gottes wird in diesem Gleichnis deutlich: Der Weingärtner erbittet vom Besitzer eine Schonfrist für den Baum. Dabei sind drei Jahre ohne Früchte schon eine außergewöhnlich lange Zeit und jetzt kommt ja sogar noch ein Jahr dazu. Selbst wenn der Baum lange keine Früchte getragen hat, wird er nicht aufgegeben. Kein Mensch wird von Gott je aufgegeben. Unser Gott ist ein menschlicher Gott, ein leidenschaftlicher Gott. Ein Gott, der dem Sünder entgegenkommt. In Jesu Ruf zur Umkehr liegt eine Chance für mich. Ich möchte ein Mensch sein, der gute Werke vollbringt, im Bild des Gleichnisses: Ein Baum, der Früchte trägt. Manches wird mir gelingen, manchmal gibt es eine reiche Ernte; ein anderes Mal werde ich scheitern, und die Früchte meines Tuns bleiben aus. Das muss ich aushalten und kann mich dabei an den Gott halten, der mich immer wieder nachsichtig anschaut. Gott kommt mir entgegen, wenn ich scheitere und ich kann immer wieder umkehren.
Der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel brachte diese liebevolle Nachsicht mit folgendem Satz auf den Punkt: „Geduld ist der lange Atem der Leidenschaft.“ Die Vorstellung, dass mich Gott mit einer Engelsgeduld betrachtet und auch mehrere Jahre ohne Früchte aushält, ist eine wunderbare Liebeserklärung. Gott hat Geduld mit mir. Trotzdem kann es auch ein „Zu spät“ geben. Hoffentlich gibt es Menschen wie den Weingärtner, die mir helfen, umzukehren. Menschen, die eingreifen, Situationen, die mir das Umdenken leichter machen. Schließlich hat auch der Verbrecher am Kreuz noch eine Chance, dem Jesus das Paradies verspricht (Lk 23,43). Auch wenn es manchmal so aussieht, als ob meine Welt untergeht: Weil Gott solche Engels- oder besser gesagt Gottesgeduld hat, kann ich voller Hoffnung noch ein Apfel- oder auch Feigenbäumchen pflanzen.
Amen.
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