Buß- und Bettag (16. November 2022)

Autorin / Autor:
Pfarrer Florian Link, Stuttgart [Florian.Link@elkw.de]

Offenbarung 3,1-6

IntentionDer Buß- und Bettag fragt: Wie leben wir?
Johannes will zu neuem Denken und Glauben führen, weil die Gemeinde ihren Alltag lebt, als ob es Gott nicht gäbe.

3,1 Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe:
Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne:
Ich kenne deine Werke:
Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.
2 Werde wach und stärke das andre, das schon sterben wollte,
denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.
3 So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast,
und halte es fest und tue Buße!
Wenn du nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb,
und du wirst nicht wissen,
zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
4 Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.
5 Wer überwindet, soll mit weißen Kleidern angetan werden,
und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.
6Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!


Wer steht in meinem Adressbuch, im Buch meines Lebens?Haben Sie noch ein altes Adressbuch daheim? Ein Buch, in dem die Anschriften all der Menschen gesammelt sind, mit denen Sie sich verbunden wissen? Oder haben Sie mittlerweile Ihre Adressliste auf dem Computer oder dem Handy gespeichert? Eine solche Adresssammlung, sei es digital oder in Form eines Buches, brauchen wir oft im Alltag – und machen uns dabei selten bewusst, dass sie etwas Kostbares ist. Denn sie ermöglicht es, verbunden zu bleiben und Beziehungen zu pflegen.

Viele werden in der anstehenden Adventszeit auch wieder Weihnachtspost schreiben– und dabei stellt sich zugleich die Frage, wen man denn grüßen will, wem man zeigen möchte, dass man an ihn, an sie denkt. Und wenn man dann die Liste durchgeht oder die Namen liest von A bis Z, dann treten vertraute Gesichter wieder vor Augen. Erinnerungen an Begegnungen werden wach, an Feste, an gemeinsame Wegstrecken, vielleicht noch in der Schule, im Studium, während der Ausbildung, an verschiedenen Arbeitsstellen oder im Urlaub.

Vermutlich sind auch wehmütige Erinnerungen darunter, weil man sich aus den Augen verloren und lange nichts mehr von-einander gehört hat. Und da überlegen wir dann: Soll ich den oder die vielleicht aus der Liste der nahen Menschen streichen, weil man sich auseinandergelebt hat und nicht mehr weiß, was man an Persönlichem schreiben soll? Die Grüße bereiten dann mehr Mühe als Freude, weil sie zu leeren Formeln werden und sich in nichtssagenden Allgemeinheiten verlieren.
Es tut immer weh, wenn es zu so einem Schritt kommt. Des-halb sagt man sich meist: Noch nicht, versuchen wir es noch einmal.
Vielleicht ist doch noch mehr da, als es den Anschein hat.

Die Gemeinde im reichen Sardes: Eine Streichkandidatin?Genauso bedrückt es auch Johannes in diesem Sendschreiben an die Gemeinde in Sardes, wenn er sie in der Reihe seiner Gemeinden ansieht. Im Hinblick auf jene hat er viele lebendige Beziehungen vor Augen. Er sieht Weggefährtinnen und -gefährten vor sich, die eng mit ihm verbunden sind, weil sie wie er aus der Hoffnung auf den Auferstandenen leben.

Die Gegend von Sardes nennen wir heute die türkische Ägäis. Auch die Gemeinde dort gehörte bisher zur Reihe der dem Johannes vertrauten Gemeinden. Aber die Beziehungen sind kühler geworden, der Abstand groß. Es ist gewiss nicht so, dass es keine Menschen mehr gäbe dort, die sich Christinnen und Christen genannt hätten. So war es sicher nicht! Im Gegenteil!

Sardes war eine Gemeinde, die sich einen Namen gemacht hat. Anscheinend ungehindert kann sie ihre Gottesdienste feiern - und das in einer Zeit, in der die Christen sonst im ganzen Römischen Reich grausam verfolgt wurden. Im Sendschreiben an die Gemeinde in Sardes jedoch klingt von diesen Verfolgungen gar nichts an. Die Anhänger Jesu scheinen dazuzugehören in dieser reichen und selbstbewussten Stadt, wo es den Bürge-rinnen und Bürgern gut geht. Oder genauer: wieder gut.

Denn einige Jahrzehnte zuvor hatte ein schreckliches Erdbeben die seit Jahrhunderten für ihren sagenhaften Reichtum bekannte Stadt vollständig zerstört. Aber der römische Staat unter Kaiser Tiberius ließ sie nicht im Stich. Sardes wurde wieder aufgebaut. Handwerk, Handel, Baumwollproduktion, Färberei sowie die Goldgewinnung blühten wieder auf und davon profitierten die Bürger – und offensichtlich auch die Christinnen und Christen.
Und das verwundert dann doch. Denn wo der Kaiser so allgegenwärtig war, da blühte gewiss auch der Kaiserkult. Da standen die Tempel mit den Bildern des Imperators, der göttlich verehrt wurde. Dort knieten die Tempelbesucherinnen und -besucher nieder und brachten – so wie es für jeden Bürger Pflicht war – dem Kaiser ihr Opfer dar. Sie beteten Macht, Ruhm und Stärke an.
Die Christinnen und Christen von Sardes scheinen Mittel und Wege gefunden zu haben, beides zu vereinen: den Kaiserkult zu betreiben und doch zugleich auch christliche Gemeinde zu sein.
In Johannes‘ Augen sind sie nachlässig geworden und haben sich besudelt.
Deshalb schreibt er ihnen: Wie ein Dieb wird Gott deshalb über die Stadt kommen, weil die Leute so oberflächlich und gedankenlos sind. Genauso, wie es der Stadt Jahrhunderte vorher bei einem Angriff der feindlichen Perser passiert war.

Damals wie heute – Alltag und Feiertag klaffen auseinanderLiebe Gemeinde, Sardes liegt nicht irgendwo in der Ferne und es liegt erst recht nicht zweitausend Jahre hinter uns. In Sardes ist schlicht geschehen, was sich durch die ganze Geschichte der Christenheit bis hin zu uns zieht: Alltag und Feiertag klaffen auseinander. Religion ist zum privaten Sonderbereich, Glaube und Leben sind zweierlei geworden. Nicht dass beides nichts mehr miteinander zu tun hätte, aber was eigentlich gilt, was die Herzen bewegt und das Handeln antreibt, das ist unklar geworden. Wo einst lebendiger Glaube war, da ist Routine eingezogen. Das Wort des Herrn bewegt nicht mehr viel. Es findet keine Antwort mehr durch gelebtes Leben, keine Resonanz. Die Christinnen und Christen haben aufgehört, Salz der Erde zu sein.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich Johannes jetzt die Frage: Muss er die Brüder und Schwestern in Sardes aus dem Buch der Lieben und Vertrauten, aus der Adressliste der Kinder Gottes streichen? Ist es nun so weit, dass sie nicht mehr genug verbindet?

Was ist es uns wert, im Adressbuch Gottes zu stehen?Das Sendschreiben an diese Gemeinde ist eine bleibende, auf-rüttelnde Frage: Die Frage, ob unser Leben denn eine Antwort auf das Leben Jesu ist. Es ist die Frage, wieviel es uns eigentlich noch wert ist, im Adressbuch Gottes zu stehen als seine nahen und vertrauten Menschen.

Jesus will in uns und mit uns lebendig am Werk sein. Der Gott der Liebe will der alleinige Gott sein. Er will unser Vertrauen – ganz. Er will unsere Hoffnung sein – in allen Bereichen. Er will der Grund unseres Lebens sein. Nicht weil er ein despotischer Tyrann wäre, sondern weil ihm das Gelingen unseres Lebens am Herzen liegt. Weil er uns davor bewahren will, unser Herz an vergängliche, tote Dinge zu binden und darüber unser Leben zu versäumen. Weil er uns herausholen will aus der Angst vor der Zukunft und aus der aufreibenden Sorge um unser Leben.

Gott will uns zu freien Menschen machen. Er will es uns ersparen, dass wir uns Macht, Gewalt oder Eigennutz ausliefern und darüber den Blick für das Menschliche verlieren. Er will uns hinführen zum dem, was bleibt und was uns Halt und Tiefe gibt für jeden Tag. Und deshalb lenkt Johannes den Blick hinaus über die Zeitlichkeit des Lebens auf Jesus von Nazareth, den Erlöser.

Das Anliegen des Buß- und BettagesGenauso will uns der Buß- und Bettag die Augen öffnen. Er will uns in die Stille rufen und zur Tiefe des Lebens führen und von da aus Schritt für Schritt zu einem neuen Denken und Verstehen.
„So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast,
und halte es fest und tue Buße!“, schreibt Johannes.
So oft erleben wir, dass die faulen Kompromisse nicht mehr tragen und dass bürgerliche Rechtschaffenheit noch kein Leben nach dem Willen Jesu ist. Was Johannes der Gemeinde von Sardes vorhalten muss, ist so aktuell wie eh und je: dass die Gemeinde ihren Alltag lebt, als ob es Gott nicht gäbe.

Der Buß- und Bettag fragt: Wie leben wir?
„Werde wach und stärke das andre, das schon sterben wollte“, ruft Johannes im Namen des lebendigen Gottes.
Wir stehen in Gottes Buch. Uns lässt er seine frohe Botschaft vom neuen Leben zukommen. Lassen wir uns wachrütteln aus unseren verbrauchten Gedanken, unseren festgefügten Prinzipien, unseren stumm gewordenen Fragen und hinführen zum Leben in seiner Kraft.
Amen.

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