Buß- und Bettag (16. November 2016)

Autorin / Autor:
Pfarrer Rainer Köpf, Weinstadt-Beutelsbach [pfarrer@koepf.de]

Römer 2, 1-11

Liebe Gemeinde,

Buße tun heißt Umkehren. Warum tut der verlorene Sohn, von dem Jesus erzählt, Buße? Warum bricht er im fremden Land urplötzlich auf und kehrt heim zu seinem Vater? Ist es die Abscheu über den „Saustall“ seines alten Lebens? Spürt er, dass er mehr dahinvegetiert als wirklich zu leben? Ist es der Ekel über eine sinnlose Existenz, die ihn dazu bringt, umzukehren und Buße zu tun?

Aber warum tun das dann so viele andere Menschen nicht? Viele leben doch mit diesem Konjunktiv „man sollte eigentlich etwas verändern“, aber dann bleibt doch alles beim Alten. Die Veränderungsresistenz scheint fast etwas Naturgesetzliches zu haben. Die Nase hat sich an den Geruch im Stall gewöhnt, und man singt mit den Schweinen: „Denn wo ist’s so gemütlich und wo lebt sich’s so friedlich als hier bei uns im Dreck, bleib bei uns und wirf dich weg“ (Ulrich Gohl). Braucht es erst das Bewusstwerden der Entfremdung, damit Menschen aufbrechen und Buße tun?

Zuerst in den Wunden wühlen und dann ein Trostpflaster geben?Es gibt ein Predigtmodell, das die Menschen sozusagen doppelgleisig zur Buße bringen will: Die Predigt muss dem Sünder zuerst die Abscheulichkeit seines Lebens vor Augen führen. Man muss alle Einzelheiten seiner Irrwege kriminalistisch genau herausarbeiten und aufzeigen, wie entsetzlich dieses verfehlte Leben doch sein muss. Der Sünder wird zuerst zusammengestaucht, um ihn dann mit dem Evangelium wieder aufzubauen. Eine Schwarz-Weiß-Botschaft nach dem Motto: „Nimm Jesus und alle deine Probleme sind gelöst.“

Beim Apostel Paulus scheint das auf den ersten Blick auch so zu sein. Von Kapitel 1,18 an ist er im Römerbrief damit beschäftigt, nachzuweisen, dass alle Menschen schuldig sind, dass sozusagen alle im Schweinestall leben. Weit weg von Gottes Vaterhaus.

Alle sind schuldig vor GottZuerst sind die Heiden dran. Ihre Schuld ist es, dass sie zwar wissen, dass es Gott gibt, aber dass sie ihm nicht den schuldigen Dank geben. Jeder Mensch ist wie eine Fußspur Gottes und lebt umgeben von den Wundern des Schöpfers. Eigentlich weiß er es. Auch die „Coolen“ aus der Generation Y ahnen, dass sie sich nicht selber erschaffen haben. Sie spüren, dass sie von Voraussetzungen leben, die sie sich nicht selber erworben haben. Aber sie wollen Gott nichts verdanken. Sie leben mit der Haltung „Alles meins“. Aus der Sicht Gottes ist das aber ein lebensgefährlicher Irrtum. Dies nicht anzuerkennen, ist ihre Schuld.

Nun kann man sich vorstellen, wie die Anderen, die Frommen, applaudieren und jubeln: „Das sagen wir schon lange: Den Heiden hat er’s gegeben. Die sind schuldig!“ Doch da wendet sich Paulus auch schon ihnen zu. Jetzt geht er mit seinen Leuten ins Gericht, mit den Frommen, mit Gottes auserwähltem Volk. Er stellt fest: „Ihr seid genauso schuldig. Ihr kennt nämlich die Sicht Gottes. Ihr habt seine Gebote, aber ihr befolgt sie nicht. Ihr gebraucht das Gesetz nicht zum Leben. Ihr benützt es, um die Gebote wie einen Meterstab an andere anzulegen und Maß für Maß nachzuweisen, wie schuldig sie sind. Ihr benutzt das Gesetz nicht zur Liebe, sondern zum zerstörerischen Vergleichen. Darum seid auch ihr schuldig.“ Das ist das niederschmetternde Fazit seiner Argumentation: „Alle ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. Die Liberalen und die Frommen, die Selbstverwirklicher und die Selbstgerechten verfehlen das Ziel ihres Lebens.“

Paulus wird persönlichUnd was folgt daraus für uns? Vielleicht sagen wir: „Na, dann können wir uns ja wieder alle ein Stück zurücklehnen. Wenn alle schuldig sind, dann bringt mich das nicht aus der Fassung. Ich kann mich beruhigen und weiß: Da, wo alle anderen sind, bin ich auch. In der großen Menge der Verlorenen fühle ich mich wohl. Doch Paulus tritt aus diesem großen Schuldaufweis aller Menschen aus und wird jetzt persönlich und ganz direkt: „Darum, o Mensch…“ Wie in einem Spiegel findet sich in diesen drei Worten die eindringliche Grundhaltung der nachfolgenden Gedanken: „Ganz gleich, ob du Heide oder Jude bist, du bist ein Mensch, von Gott gerufen!“

Als ich einmal einen Jugendlichen ertappt habe, wie er mit seinem Fußball ein Glasfenster unserer Kirche zerstört hat, wie ich ihn bei seiner Schuld behaftet habe, wie es für ihn „persönlich“ wurde, da hat er sich heftig gewehrt: „Die anderen sind schuldig. Die haben mir den Ball so stark auf den Fuß gespielt. Und der Frederik, der hat ja schon zwei Scheiben zerschossen. Den hat man bloß nicht erwischt.“ Statt dass der Mensch zu seiner Schuld steht und um Verzeihung bittet, statt ganz auf das Erbarmen des anderen zu hoffen, will er auch noch in der peinlichsten Situation offenbarer Schuld ein wenig eigenen Wert haben. Man ist vielleicht schuldig, aber nicht so schuldig wie der andere und deswegen immer noch ein wenig besser. Auch im Saustall redet der Mensch seine Situation noch schön und sagt: „Ich bin immerhin noch Oberschweinehirte und deswegen ein bisschen besser als der andere.“ Aber kann sich der Mensch an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen? Halt und Hoffnung kann doch nur von außen kommen.

Der liebevolle Blick sieht auf den GrundPaulus müssen wir uns in der heutigen Bibelstelle vorstellen wie einen Redner, der zuerst die Heiden angeschaut hat und dann die Juden, und jetzt erhebt er seine Augen und schaut uns ganz persönlich an. Und in diesem Blick ist schon alles drin. Es ist der Blick, mit dem Jesus den Zachäus zwischen den Ästen hinter den Blättern liebevoll entdeckt hat. Ein Blick, der hinter die Fassade sieht, unsre Not sieht. Es ist der Blick, mit dem der Vater seinen verlorenen Sohn angeschaut hat, als er heimgekehrt ist. Er sieht nicht auf die Schuld, er riecht nicht den Gestank des alten Menschen. Der Vater sieht nur eines: „Das ist mein Sohn, mein geliebtes Kind.“

Nein, Paulus staucht uns hier nicht zusammen, um uns danach wieder aufzurichten. Er bringt nicht zuerst die bittere Medizin und verdirbt uns den Magen, um dann zu sagen: „Nimm Jesus wie eine Tablette und dann wird alles wieder gut.“ Er kommt seelsorgerlich begleitend, einfühlsam fragend: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr leitet?“ Nicht ein moralinsaurer Knüppel, sondern Gottes aufrichtende Freundlichkeit erscheint uns hier. „Weißt du nicht, wer dieser Gott ist, der so groß ist, dass er so klein werden kann, dass er zum Kind in der Krippe wird? In Jesus Christus beugt er sich ganz nach unten zu dir. So groß ist er, und so tief unten bist du. Bis ans Kreuz muss er gehen, um dich aufzurichten.“
Nicht die Abscheu über sein altes Leben lässt den verlorenen Sohn aus seinem Saustall aufbrechen, sondern die Erinnerung an die Güte des Vaters. Es ist die Attraktivität des Vaters, die ihn aufbrechen lässt. Er weiß: „Wer könnte es besser meinen mit mir als der, der mir das irdische Leben geschenkt hat?“

Buße ist ein fröhliches GeschäftAm Buß- und Bettag ist die Gefahr groß, dass wir einmal im Jahr fast ein wenig künstlich resigniert werden. Man redet prophetisch und klagt über die Sünde der Welt. Alles ist da plötzlich schlecht und wir selber auch. Man sieht die eigenen Schwächen und erkennt die inneren Abscheulichkeiten. Und danach geht man nach Hause, wie im Vorjahr auch. Hat sich etwas verändert?

Geschieht nachhaltige Veränderung nicht immer nur aus Liebe? Es ist gut, dass wir letztlich auch heute nichts anderes tun können als an jedem anderen Sonntag im Jahr: Wir blicken auf Jesus Christus. In ihm wird Gott Mensch. In ihm zeigt der Vater im Himmel seine Güte und sein Erbarmen. In ihm wird Gott so attraktiv und anziehend, dass wir gar nicht anders können, als in seine Arme zu kommen. Auf diesem Heimweg mögen wir uns manchmal verirren. Zur Buße gehört auch das „Immer-Wieder“ und dass es eine lebenslange Sache ist. Aber weil Gott derjenige ist, der uns aufbrechen lässt, ist Buße ein – wie Luther sagt – „fröhliches Geschäft.“

Amen.


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