Altjahresabend (31. Dezember 2024)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Christina Jeremias-Hofius, Oberndorf am Neckar [christina.jeremias-hofius@elkw.de]

Jesaja 51, 4-6

IntentionDer Gottesdienst am Altjahrsabend ist ein Kasualgottesdienst. Abschied vom alten Jahr. Der Ausblick in das neue Jahr gehört an den Anfang desselben. Was die Predigt bewirken will? Getrost und im Frieden gehen lassen. Das Jahr und die Gemeinde.

(I Das Jahr 2024 auf dem Sterbebett. Wir Zeitliche nehmen Abschied, danken, entschuldigen uns und suchen Frieden und Segen)
Liebes Jahr 2024,
heute Abend möchte ich zur Sprache bringen, was viele von uns beschäftigt.
Wir sind hier, um uns von Dir zu verabschieden. Und damit Du das Zeitliche segnest. Uns Zeitliche segnest mit unserer Zeit, die wir mit Dir verbracht haben.
Du gehst. Wir bleiben.
Wir sind hier, um uns zu verabschieden. Danke für das, was Du uns gebracht hast: Winter, Frühling, Sommer, Herbst und jetzt wieder Winter. Viel Regen hast Du uns beschert. Hat gut getan. Danke.
Danke für einen extra Tag. Mehr Zeit! Wobei ich schon gar nicht mehr weiß, was ich am 29. Februar gemacht habe. Dafür müsste ich in den Kalender sehen, dieses Ding, das Dich so strukturiert und aufteilt in Tage und Monate, in Stunden und Viertelstunden.
Und entschuldige, wo wir sorglos mit Dir umgegangen sind. Uns unnötig aufgeregt, vielleicht sogar entrüstet haben, statt sachlich mit der Zeit und ihren jeweiligen Herausforderungen umzugehen.
Ob Du wohl enttäuscht bist, was so politisch passiert ist? Naja, Du hast die Rahmenbedingungen gegeben, die Zeit. Die inhaltliche Füllung war nicht deins. Aber gell, manchmal wünscht man sich schon das, was man selbst für das Beste hält, und trauert, wenn es anders kommt.
Ein Kind sagt vielleicht: Danke für die warmen Tage und das Freibad. Für die Schulferien und die Adventszeit. Und für das Feuerwerk, als Du noch ganz neu warst! Statt einem Schrei bei Deiner Geburt hat’s geknallt. Und wie! Manchmal hab ich mich auch gelangweilt. Aber das macht nichts. Es ist schön, dass Du da warst.
Und die Alten sagen: Wie konntest Du nur so schnell verfliegen? Hast doch gerade erst angefangen. Und jetzt gehst Du schon wieder. Hab mich gerade an Dich und die 24 gewöhnt. Irgendwie gehen alle. Nur ich bleibe. Meine Mutter hat zwischendrin geglaubt, Gott habe sie vergessen. Aber dann hat sie doch gehen dürfen. Mach‘s gut, 2024. Und ich hoffe, dass Gott Dich genauso in seiner Ewigkeit bewahrt wie meine Mutter. Schließlich hast Du mich ja auch geprägt.
Was wohl nach Dir kommt? Klar, wieder ein Jahr, dass wir durchleben und gestalten – so Gott will und wir leben. Wieder ein Jahr, das etwas mit sich bringen wird, worauf wir so kurzfristig keinen Einfluss haben: Das Klima. Die Regenmenge. Das Artensterben. Du warst uns vertraut. Mal sehen, wie es weitergeht.

Segnest Du uns jetzt? Ach, Du willst uns noch etwas mitgeben? Zum Mitnehmen und Weitergehen. Einen Text aus dem Buch des Propheten Jesaja. Ich lese ihn vor:

(II Am Ende des Jahres, zum Abschied bekommen wir etwas mit)
(Jesaja 51,4-6)
(So spricht Gott:) Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm. Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

(III Wir bekommen mit: Die Erinnerung, Gott trägt uns. In und trotz unserer Vergänglichkeit)Abschied von einem Jahr. In dieser Nacht. Und dann Hineingehen in etwas Neues, in ein neues Jahr. 2024 ist dann unwiederbringlich vorbei. 2025 wird uns dann prägen und wir es. Ein Weg des Abschieds liegt in dieser Nacht vor uns. Gottes Mitgehen ermöglicht es – hoffentlich! – zurückzulassen, was wir geschafft haben. Und das Unerledigte für heute, für diese Nacht liegenzulassen. Offene Fragen hingegen mitzunehmen und das Ungeklärte auszuhalten. Und sich fallen zu lassen. Eugen Eckert hat in seinem Abendlied gedichtet: „Trägt uns Gott, dein Flügelschlag, wird gewiss ein neuer Tag.“ Tragen uns Gottes Flügel hinein in das Neue, wird der Übergang gelingen. Darin zeigt sich das Heil, das Gott selbst angekündigt hat. Gottes Flügel, seine gefiederten Arme lassen uns hinübergleiten: Es geht weiter.
Gottes Flügel lassen uns hinübergleiten. Egal ob ein Jahr vergeht. Oder der Himmel, die Atmosphäre sich verflüchtigt wie der Rauch in der Nacht (Jes 51,6), die aus den Kaminen aufsteigt. Während der Rauch sich verflüchtigt, haben wir es warm und sind geborgen.
Gottes Flügel lassen uns hineingleiten in das Neue. Egal, ob ein Jahr vergeht oder die Erde unter der Kälte knirscht und bricht oder in der Hitze Risse bekommt, sich verhärtet und keine Nahrung hervorbringt. Nicht tut, nicht tun kann, was sie tun sollte: Gras und Kraut und Bäume aufgehen lassen. Lebendiges Getier hervorbringen (vgl. 1.Mose 1,11.24). Egal, ob die Erde sich verhält wie ein Sweatshirt, zu oft getragen und gewaschen, und einreißt. Während die Erde hart und spröde wird, spüren wir den Boden unter den Füßen. Wir haben eine Basis.
Gottes Flügel lassen uns hineingleiten. Egal ob ein Jahr vergeht, der Himmel sich auflöst oder die Erde ihren Job aufgibt. Sogar egal, dass die Bewohner von Himmel und Erde wie die Fliegen sterben. Vor Gott müssen sie ja wie Eintagsfliegen wirken. Bei Gott sind schließlich 1000 Jahre wie ein Tag. Natürlich könnte man fragen, ob es denn nachhaltig ist, sich überhaupt um diese Wesen mit so kurzer Haltbarkeitsdauer zu kümmern. Doch Gott findet sie offensichtlich der Fürsorge wert, lässt sie leben, die Eintagsfliegen am Fenster, die Fruchtfliegen am Obst, das Gras, das am Morgen blüht und abends verdorrt, hält die Sterne zusammen (Jes. 40,26), freut sich am Schrei der Neugeborenen (Ps. 8,3), wird sogar selber Kind in der Zeit und geht dem Verlorenen nach. Während wir sterben, sind wir zum Leben bestimmt. Und darum tragen uns Gottes gefiederte Arme, seine Flügel hinüber.

Lied: EG 511,1-3 (mindestens bis 2!) Weißt du, wieviel Sternlein stehen

(IV „Trägt uns, Gott, dein Flügelschlag, wird gewiss ein neuer Tag.“ (E. Eckert))Das alte Jahr verabschieden. Würdigen, was es uns war. Gott danken für die gemeinsame Zeit in seiner Welt. Solange Erde und Himmel noch stehen und Winter und Sommer und Saat und Ernte noch geschehen und wir leben. Den Segen des Jahres und Gottes Segen mitnehmen. Mitnehmen mit den offenen Fragen, den Träumen und dem ungelebten Leben. Die Spuren und die Wunden, von Gott verbunden, teilweise schon vernarbt. Und sich fallen lassen. Denn bei aller Brüchigkeit bleibt es, das Heil, Ausdruck von Gottes Zuwendung. Und seine Gerechtigkeit, die uns leben lässt. Weil Gott sich selbst als Lebendiger gerecht wird. Unbedingt.
„Trägt uns, Gott, dein Flügelschlag, wird gewiss ein neuer Tag.“ Und die auf den Herren harren, werden auffahren mit Flügeln wie Adler. Mit neuem Schwung starten, hinein in das Neue. Die Nacht hinter sich lassen. Wir. Alle Bewohner von Himmel und Erde. Geschöpfe und Gestirne. Die Völker. Und die Inseln auch. Die untereinander Verbundenen und die Einzelgänger. Und Orientierung gibt im Weitergehen Gottes Idee vom gemeinsamen Leben. Von Nächstenliebe und Selbstrespekt. Von tiefer Dankbarkeit ihm gegenüber und himmelhochjauchzender Freude. Von unserer Antwort auf seine Idee. Morgen geht es weiter.

(V Das Jahr 2024 segnet das Zeitliche – wir segnen das Jahr 2024)Wie wohl der Segen des Jahres 2024 lauten würde, wenn es jetzt uns Zeitliche segnete? Wäre schön, wenn das Jahr sprechen könnte. Doch darin bleiben wir – anders als bei Gott! – im Dunkeln. Träumen erlaubt.
Bleibt die Frage, welchen Segen wir dem Jahr mitgeben. Vielleicht den? Gott segne dich von Kopf bis Fuß, von A bis Z, deinen Anfang und dein Ende. Gott behüte in seiner Ewigkeit das Getane und Gelassene, das Verdankte und Ermöglichte. Gott vollende an Dir, was wir Dir schuldig blieben, und nehme Deine Zeit auf in seine Ewigkeit.
Und so gehe in Frieden. Amen.

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