Altjahresabend (31. Dezember 2018)
Prälat i.R. Dr. Christian Rose, Eningen [christian@rose-eningen.de ]
Jesaja 51, 4-6
IntentionMit dem angefochtenen und klein gewordenen Gottesvolk leben wir zwischen Bangen und Hoffen. Was wird werden? Mit Israel ist uns gesagt: Merkt auf. Hört zu. Schaut hin. Traut dem Verheißungswort Gottes.
Liebe Gemeinde!
Am Ende eines jeden Jahres halten wir inne. Blicken zurück, auf das, was war. Und schauen voraus, auf das, was kommen mag. »Zwischen den Jahren«, so nennt der Volksmund die Zeit von Weihnachten bis Neujahr. So, als ob es ein zeitliches Niemandsland zwischen Vergangenheit und Zukunft gäbe. Aber das gibt es nicht. Was uns bleibt, ist die Gegenwart. Und die ja auch nicht. Sie dauert allenfalls einen Wimpernschlag. Und huscht weiter wie ein flüchtiges Reh. Die Zeit, so hat es Marc Chagall einmal ausgedrückt, ist ein Fluss ohne Ufer. Umso wertvoller sind Momente des Innehaltens. So wie jetzt. Und plötzlich ertönt eine Stimme, wie aus einer anderen Welt.
Predigttext Jesaja 51,4-6
4 Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen.
5 Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm.
6 Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.
Gott spricht zu seinem Volk. Er spricht es direkt an. „Mein Volk, meine Leute“. Das klingt innig, vertraut. So wie wir es uns manchmal wünschen. Der verborgene Gott lässt sich hören. Mischt sich ein in unsere kleine, und dann auch in die große Welt. Manchmal würde ja eine Kurznachricht genügen, ein Tweet, wie man heute sagt: SMS, Twitter, WhatsApp. Irgend so was, möglichst direkt. Und eindeutig. Klartext. So dass wir uns zurechtfinden. »Zwischen den Zeiten«, und dann auch morgen, im neuen Jahr.
Gottes Recht befriedet die Welt (V. 4)So eine Sehnsucht nach Orientierung und heilsamer Unterbrechung wohnt im Gottesvolk, damals in ferner Vergangenheit. Wir schreiben vielleicht das Jahr 540 vor unserer Zeitrechnung. Israel lebt irgendwo zwischen Euphrat und Tigris, an den Wassern von Babel. Sitzt dort, weint. Träumt vom Zion, von Jerusalem, der Gottesstadt in Trümmern, und vom zerstörten Tempel (Psalm 137). Das, was war, klingt irgendwie nicht gut. Und was ist, tröstet die Menschen nicht. Wie gerne würden sie Gottesdienst feiern, so wie wir das heute können. Aber ohne Gotteshaus? Unvorstellbar, das geht nicht. Gedrückte Stimmung herrscht im Volk. Die verschleppte Gemeinde ist klein geworden und fern der Heimat. Und plötzlich, die Stimme Gottes, die alles unterbricht: „Hört mir aufmerksam zu, mein Volk! Merkt auf, meine Leute! Ich sende mein Recht in die Welt, so dass es zum Licht für die Völker wird.“ (Jesaja 51,4)
Was vertraulich zwischen Gott und Israel beginnt, weist hinaus in die Welt. Mitten hinein in die Wirren unserer Zeit, wo niemand mehr so recht weiß, wie es eigentlich weitergehen soll. Zwischen den Völkern, diesseits und jenseits des Teiches. Willkür da, Egoismus dort. Auch in unserem Land ergreifen Angstprediger das Wort. Doch die Muttersprache Gottes klingt anders: „Fürchtet euch nicht!“ (Jesaja 51,7) „Merkt auf, mein Recht wird zum Licht für die Völker.“ Die Sätze möchte ich mir merken. Mehr noch, ich lasse sie mir von Gott ins Herz schreiben. Quelle des Glaubens und der Verantwortung. Gottesworte für das Herz und für die Hände. Auswendiglernen, dass es drinnen wohnt und draußen wirkt. Der Engländer sagt dazu: to learn by heart. Mit dem Herzen lernen. Was einmal im Herzen ist, kann uns niemand mehr nehmen. Auch kein Angstprediger.
Je mehr Menschen dieses Gotteswort zu ihrer Muttersprache machen, umso mehr wird das Recht zum Licht für die Völker. Je mehr zuhören, umso mehr durchdringt Gottes Recht unsere Welt. Deshalb ist es so wichtig, liebe Gemeinde, dass wir uns von Gott in den Dienst nehmen lassen und seine frohe Botschaft weitersagen. Bis zu den Inseln, am Ende der Welt. Das wird wirken. So klein wir sein mögen. Das wird wirken. Gott schafft durch sein Recht heilsame Strukturen. In der Welt und in der Kirche: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen“ (Jesaja 42,3). Gottes Recht zerbricht nicht das Angeknackste. Es löscht nicht, was glimmt. Es richtet das Krumme auf, weist den Weg zum Reich Gottes. So wie auch Jahrhunderte später Jesus, in der Synagoge von Kapernaum seine Botschaft vom Reich Gottes ausrichtet: Verkündet den Armen gute Nachricht, den Gefangenen Freiheit, den Blinden das Augenlicht und den Zerschlagenen den aufrechten Gang (Lukas 4,18f). Gottes Recht stützt die Schwachen, befriedet die Welt und bringt die Völker zurecht
Gottes Gerechtigkeit bringt die Völker zurecht (V. 5)„Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm“ (Jesaja 51,5). Das klingt vertraut und ist doch weit weg. Gerechtigkeit und Heil, zwei Worte, die so fromm klingen. Und es auch sind. Damals wie heute. Israel wusste: Gerechtigkeit und Heil, davon leben wir. Das bestimmt unseren Glauben und die Gemeinschaft. Was hält ein Volk zusammen in dürftiger Zeit? Gerechtigkeit und Heil. Israel weiß, es ist gut gemeint. Aber ist es auch gut? Erreichen die Worte das Herz? Das Volk ist gefangen in seinen Gedanken, dreht sich um sich selbst. Findet keinen Ausweg aus dem Irrgarten.
Kommt einem bekannt vor: Ein Thema beherrscht Denken und Leben. Als ob es nichts anderes mehr gäbe: Macht die Grenzen zu. Schiebt die Menschen ab. Egal wohin. Wir schaffen es nicht. Bloß gut, es gibt auch andere Stimmen in unseren Städten. Es gibt auch in unseren Gemeinden beherrschende Themen: Wir werden kleiner, ja. Der Gedanke daran lähmt manchmal. Aber muss dies alles bestimmen? Unsere Gedanken und Blicke total gefangen nehmen? So dass wir das Neue nicht sehen: „Es wächst auf, erkennt ihr es nicht?“ (Jesaja 43,19). Das Trostbuch Israels, der „zweite Jesaja“, weitet den Blick. Gott selber rüttelt wach: „Hört mir zu, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt, die ihr den Herrn, die ihr mich sucht. Schaut Abraham an, euren Vater, und Sara, von der ihr geboren seid. Durch sie will ich Segen vermehren. Will euch trösten inmitten der Trümmer. Eure Wüste mache ich zu Eden. Das Ödland zu meinem Garten, dass man Freude und Jubel, Lobgesang und Saitenklang darin findet.“ (Jesaja 51,1-3)
Gott verspricht eine andere Welt, mitten im Trümmeralltag. Zugegeben, man kann sich das nur schwer vorstellen. Aber es verändert das Denken. Freude und Lob verändern das Denken. Und das steckt an. Das hören auch die fernen Inseln, die Völker der Welt. Sie hoffen und harren auf Gottes Gerechtigkeit. Gottes Arme reichen weit. Es ist ein geheimnisvolles und vieldeutiges Wort: Gottes Gerechtigkeit. Es umfasst in der biblischen Sprache zweierlei: Das Heil, das Gott schenkt und die Gemeinschaftstreue unter den Menschen. Gott wendet sich uns zu, verändert die Welt und schenkt uns Bilder der Hoffnung: „Wasser für Durstige und dürres Land, seinen Geist für unsere Kinder und Segen für die Kommenden“ (Jesaja 44,3f). Wenn wir miteinander auf das Recht achten, dann „kehrt Friede ein wie ein Wasserstrom und Gerechtigkeit wie Meereswellen“ (Jesaja 48,18). Alle Furcht wird weichen und Schmähungen haben ein Ende (Jesaja 51,7). Deshalb hört zu, merkt auf,
Gottes Rettung überdauert die Zeiten (V. 6)„Hebt eure Augen auf zum Himmel und schaut nach unten auf die Erde“ (Jesaja 51,6). Dann werdet ihr sehen, wie vergänglich und zerbrechlich alles ist: „Die Himmel vergehen wie Rauch“, sie gleichen einem dünnen Tuch, das leicht zerreißt (Jesaja 40,22). Die Erde wird veralten wie ein Gewand (Psalm 102,27), zerfallen wie ein Kleid und die Bewohner der Erde sterben wie die Mücken (Hiob 4,19-21). Das klingt wie Weltuntergang, mutet am Altjahrabend an, wie das Ende aller Zeiten. Es meint aber ganz nüchtern die Realität unseres Lebens. Unser Leben ist zerbrechlich, und die „Schöpfung seufzt unter dem Werden und Vergehen“ (Römer 8,21f). „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Heilswort unseres Gottes bleibt ewiglich“ (Jesaja 40,8). Seine Rettungstat ist wirksam für immer, sie wird nicht zerbrechen. Sie wird die Zeiten überdauern und am Ende einen neuen Himmel und eine neue Erde heraufführen. Bis es soweit ist, „gibt Gott den Müden Kraft, und Stärke genug den Unvermögenden. Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“ (Jesaja 40,29f).
Das tut müden Körpern und verzagten Herzen gut. Damals wie heute. Was hält eine Gesellschaft zusammen? Das Gottesvolk aller Zeiten lebt von den Verheißungen und den Rettungstaten Gottes. Hoffentlich war und ist das Gottesvolk aus Juden und Christen aufmerksam. Hoffentlich schaut es gut hin. Gottes Friedensreich bricht an mit der Botschaft der Propheten (Jesaja 2,2-5). Es bringt die Völker zurecht und stiftet Gemeinschaftstreue unter den Menschen.
Ja, die Welt wartet schon lange, dass Gott sein Reich vollendet. Nicht nur am Christfest oder am Ostermorgen. Da ganz besonders. Und dann auch jeden Tag durch das Jahr hindurch. „Werft euer Vertrauen nicht fort, denn ihm ist große Belohnung verheißen“ (Hebräer 10,35). Das Wichtigste steht fest. Und es lässt sich tatsächlich in Twitterlänge zusammenfassen: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Römer 8,39). Darauf dürfen wir vertrauen. Daran dürfen wir uns freuen. Auch im neuen Jahr. Und einen kurzen Tweet mit Herz, Mund und Verstand ist es allemal wert. Lob sei Dir, guter Gott. Danke, lieber himmlischer Vater. Amen.
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