9. Sonntag nach Trinitatis (06. August 2023)
1. Könige 3,5-15
IntentionMan muss sich nicht gleich mit einem König vergleichen, um wie Salomo zu spüren, dass es guttut, sich Gott anzuvertrauen und von ihm Hilfe – bzw. ein hörendes Herz – zu erbitten für die Herausforderungen des Lebens. Als Übersetzung schlage ich die Basisbibel vor, wo von einem „hörenden“ Herz gesprochen wird im Unterschied zum „gehorsamen“ Herz bei Luther. Intention ist auch, die Nuancen der unterschiedlichen Übersetzung bewusst zu machen.
Liebe Gemeinde,
wie ist das bei Ihnen: Fällt es Ihnen leicht, sich bei politischen Fragen eine Meinung zu bilden? Mir geht es so, dass ich das immer schwieriger finde, z.B. bei ethischen Fragen wie der, welche zusätzlichen Waffensysteme noch in die Ukraine geliefert werden sollten, oder bei Einschätzungsfragen wie der, wann eine Äußerung rassistisch ist oder einfach ein Scherz, oder bei Entscheidungsfragen, wenn widersprüchliche Aussagen im Raum sind und ich beurteilen soll, was wahr und was Lüge oder fake news sind. Was hilft, gerechte Urteile zu fällen und die richtigen Entscheidungen zu treffen?
In den alttestamentlichen Königsbücher wird von einem König erzählt, der alles richtig gemacht zu haben scheint, der für seine Weisheit gerühmt wird und dessen Urteile legendär waren: Salomo. Das ist insofern besonders, weil sonst oft sehr negativ über die Könige in Israel und Juda geurteilt wird, meist deshalb, weil sie sich nicht an Gott hielten. Bei Salomo war das anders.
Der heutige Predigttext erzählt vom Geheimnis seiner Weisheit. Ich lese 1.Könige 3,5-15 nach der Übersetzung der Basisbibel:
Der HERR erschien Salomo nachts im Traum. Gott sagte ihm: „Was immer du bittest, will ich dir geben.“ Salomo antwortete: „Deinem Knecht, meinem Vater David, hast du immer viel Gutes getan. Denn er war treu und gerecht und sein Herz war stets auf dich gerichtet. Er hat sein ganzes Leben nach dir ausgerichtet, und du hast ihm die Treue gehalten. Du hast ihm einen Sohn gegeben, der heute auf seinem Thron sitzt. Ja, so ist es jetzt, HERR, mein Gott! Du selbst hast deinen Knecht zum König gemacht anstelle von meinem Vater David. Dabei bin ich doch noch ein junger Mann und weiß nicht aus noch ein. Als dein Knecht stehe ich mitten in deinem Volk, das du erwählt hast. Es ist ein großes Volk, so groß, dass es weder geschätzt noch gezählt werden kann. Gib mir, deinem Knecht, ein hörendes Herz. Nur so kann ich dein Volk richten und zwischen Gut und Böse unterscheiden. Wie sonst könnte man Recht schaffen in deinem Volk, das doch so bedeutend ist.“ Es gefiel dem Herrn gut, dass Salomo genau darum gebeten hatte. Gott sagte ihm: „Du hast weder um ein langes Leben gebeten noch um Reichtum oder den Tod deiner Feinde. Stattdessen hast du um Einsicht gebeten, um auf mich zu hören. Nur so kannst du gerechte Urteile fällen. Darum werde ich deine Bitte erfüllen: Hiermit gebe ich dir ein weises und verständiges Herz. So wie du ist niemand vor dir gewesen, und nach dir wird es keinen geben wie dich. Ich gebe dir sogar etwas, worum du nicht gebeten hast: Reichtum und Ehre. Kein anderer König wird sich mit dir vergleichen können, solange du lebst. Ich werde dir ein langes Leben schenken. Richte dein ganzes Leben nach mir aus, wie dein Vater David es getan hat. Befolge also meine Gesetze und Gebote!“ Da erwachte Salomo und merkte: er hatte geträumt. Er ging nach Jerusalem zurück, trat vor die Bundeslade des Herrn und brachte Brandopfer und Schlachtopfer dar. Danach veranstaltete er ein Festmahl und lud dazu alle seine Beamten ein.
Du hast einen Wunsch frei„Du hast einen Wunsch frei, wünsche dir, was immer du willst.“ Aus Märchen kennen wir das. Und dann ist es spannend, was sich der Held der Geschichte wünscht. Denn natürlich wissen wir, dass es immer auch eine Charakterprüfung ist, einen Wunsch frei zu haben. Jeder ahnt: Macht, Reichtum oder bleibende Gesundheit dürfen nicht gewünscht werden, sondern etwas, durch das die Verbindung zum Geber der Gabe erhalten bleibt, und was zur Gerechtigkeit und zum guten Leben vieler hilft.
Salomo wünscht sich etwas, bei dem wir gleich spüren, dass es ein guter Wunsch ist: ein hörendes, weises, verständiges Herz, um ein Leben nach Gottes Weisung und Gebot führen zu können. Ein bescheidener Wunsch ist das keineswegs, auch wenn es im ersten Moment vielleicht so klingt. Ein solches Herz ist vielmehr der Schlüssel zu allem anderen und genau das, was einer braucht, der viel Verantwortung hat und andere be- oder verurteilen muss.
Spannend finde ich, dass das Herz in den unterschiedlichen Bibelübersetzungen verschieden charakterisiert wird. Martin Luther übersetzt, dass Salomo sich ein „gehorsames“ Herz wünscht. Er betont damit, wie wichtig Gottesfurcht und direkte Bindung an Gott für einen König sind. In der Übersetzung der Basisbibel ist von einem „hörenden“ Herz die Rede, das nötig ist, um Gut und Böse zu unterscheiden, und dessen Besonderheit es ist, dass es Gottes Gabe ist und nicht erschlichen wie in der Paradiesgeschichte, als Eva dem Adam von der Frucht eines Baumes zu essen gibt. Ich meine, dass beides zusammengehört: Es geht um das Erkennen von Gut und Böse in Rückbindung an Gott.
Noch spannender ist die Frage, wie Salomo wohl zu seinem Wunsch gekommen sein mag. Wer sich ein hörendes Herz wünscht, ist der nicht eigentlich schon weise und weiß, worauf es ankommt? Andererseits wird in den Anfangskapiteln des ersten Königsbuchs nichts beschönigt: Salomo kann seinen Herrschaftsanspruch als König und Nachfolger des großen David nur durchsetzen und befestigen, indem seine Mutter intrigiert und er selbst drei Menschen hinrichten lässt. Zu Beginn seiner Herrschaft lässt er sich also leider von einer Logik der Gewalt leiten.
Wie kommt er dann aber zu seinem Wunsch? Salomo weiß, dass er sein Königtum Gott verdankt. Er weiß, dass Gott ihm schon viel Gutes getan hat. Und er weiß auch, dass er sein Leben lang dranbleiben muss. Dass Gottes Wille für uns nicht immer eindeutig zu erkennen ist, sondern von Fall zu Fall entschieden werden muss. Er fühlt sich wirklich jung. Er fühlt den Druck des Lebens, die Last der Verantwortung. „Ich weiß nicht aus noch ein“, „ich habe wichtige Erfahrungen, die einen Menschen innerlich wachsen lassen, noch nicht gemacht“, denkt er. Wer sich traut, sich so etwas einzugestehen, hat sich schon auf den Weg gemacht, ist zumindest schon ein bisschen weise. Was Salomo meines Erachtens aber vor allem verändert, das ist die direkte Begegnung mit Gott im Traum. Gott traut ihm etwas zu. Gott reicht ihm die Hand. Und dann erfüllt Gott seinen Wunsch – und mehr.
Ein salomonisches UrteilSalomos Weisheit wird berühmt. Überliefert ist die Geschichte zweier Frauen, die beide behaupten, die Mutter eines Kindes zu sein. Er soll entscheiden. Salomo gibt vor, das Kind in zwei Hälften zerteilen zu wollen. Das löst bei der einen Frau in ihrer großen Mutterliebe aus, dass sie ihr Kind lieber der anderen gibt, als es tot zu wissen. Daran erkennt der König sie als die wahre Mutter und spricht ihr das Kind zu.
Gerecht ist, das wird hier deutlich, der Wahrheit zum Recht zu verhelfen. Die Wahrheit ans Licht zu bringen, ermöglicht Leben für das Kind und seine Mutter. Ein salomonisches Urteil sucht nicht nach einem gleichmachenden Kompromiss, sondern nach der Wahrheit, und entscheidet dabei nicht einfach über Menschen, sondern mit ihnen oder durch sie, indem die Menschen an ihren eigenen Aussagen gemessen werden.
Ich finde das eine durchaus risikoreiche Sache. Aber ich denke, es ist so: Wer ein verständiges, hörendes Herz hat, ist gegebenenfalls auch bereit, sich selbst einzubeziehen, auch zu möglichen Fehlern zu stehen – immer im Vertrauen auf Gott. Damit handelt Salomo so, wie es auch Jesus in der Bergpredigt fordert (Mt 6,33): „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“
Unser eigener WunschLassen Sie uns, dies vor Augen, zurückkehren an den Anfang der Geschichte. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Würden Sie lange nachdenken und versuchen, alle möglichen Konsequenzen des Wunsches zu bedenken? Das wäre sicher nicht schlecht, aber ich befürchte, es würde ziemlich lange dauern. Vielleicht könnten wir es uns aber auch leichter machen. Wie wäre es, wenn wir uns einfach auch ein hörendes Herz wünschten – wie Salomo? Wenn wir uns Gott anvertrauten und unsere Träume träumten, egal, ob es Nacht ist oder Tag?
Was würde das heißen? Sicher nicht, dass wir keine Fehler machen würden. Das wäre unrealistisch. Aber ich glaube auch kaum, dass immer alle glücklich waren mit Salomos Urteilen, die entlarvend gewesen sein müssen, Unrecht aufgedeckt und Menschen aus Bequemlichkeiten herausgeholt haben.
Aber es würde heißen, bei dem, was jemand tut, immer mit dem eigenen Herzen dabei zu sein. Es würde heißen, den eigenen von Gott gegebenen Gaben zu trauen. Es würde heißen, die kleinen Schritte zum Frieden nicht geringzuschätzen, sondern sie zu gehen.
Wichtig wäre dabei zu wissen, dass man selbst Teil des Ganzen ist, einerseits dazugehört zu den Kindern Gottes und andererseits sich selbst nicht ausschließen kann beim Bedenken der Folgen des eigenen Tuns. Wichtig wäre dabei, nicht aufzugeben – zum Beispiel bis alle sicher und in Würde leben können, ohne Angst und mit einem Zuhause. Wir würden gemeinsam träumen und an das Gute glauben, das Gott für uns vorgesehen hat, ohne gutgläubig zu werden. Wir würden auf die achten, die sonst durchs Netz fallen und Schritt für Schritt Gerechtigkeit und Frieden realisieren. Wir wären offen für Gottes gute Weisung für uns, würden uns immer wieder hörend an ihn wenden, um im Einklang mit seinem Willen zu leben, soweit uns das möglich ist. Wir würden das Leben feiern im Vertrauen auf Gott, und wir würden das gemeinsam tun. Was sollte uns daran hindern? Amen.
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