9. Sonntag nach Trinitatis (13. August 2017)

Autorin / Autor:
Pfarrerin Angelika Volkmann, Tübingen [Angelika.Volkmann@elkw.de]

Matthäus 7, 21-29

Liebe Gemeinde!
„Das Leben ist eine Baustelle“, so lautet der Titel eines Films, der in Berlin spielt und vor 20 Jahren in die Kinos kam, vor 20 Jahren, als Berlin selber eine einzige große Baustelle war nach der Wende. In diesem Film halten alltägliche Widrigkeiten und überraschende Chancen neben schwereren Schicksalsschlägen einen jungen Mann in ständiger Bewegung. Wenn man an seinem Lebenshaus baut, dann kann es schon geschehen, dass man einmal den Überblick verliert, dass eine eben errichtete Wand wegen eines Materialfehlers nicht stehen bleibt oder doch am falschen Ort steht.
Im Film gibt es ein Happy End. Im wirklichen Leben ist das Ende offen, ungewiss.
Wir fragen uns: was gibt mir Halt im Trubel der alltäglichen Herausforderungen? Was stützt mich, wenn ich herbe Enttäuschungen erlebe? Auf welches Fundament baue ich mein Lebenshaus? Was hilft mir, wenn sich die Dinge anders entwickeln als erhofft, wenn ich zu spät Fehlentscheidungen erkenne, wenn ich verletzt werde oder der Boshaftigkeit anderer begegne?
Richte ich mich ausschließlich nach Vorlieben und Bedürfnissen, wenn ich mein Lebenshaus baue? Gebe ich meiner Bequemlichkeit nach? Ist das klug?
Und worauf baut unsere Gesellschaft ihr Haus? Wer gestaltet die Welt in der wir leben? Ist wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis anzustreben? Auch um den Preis, dass Menschen dabei auf der Strecke bleiben?

MatthäusMatthäus führt uns in diesem Abschnitt am Ende der Bergpredigt diese Parabel vor Augen. Auf Fels bauen! Ja, das muss man doch. Auf Sand bauen? Wie kann man nur!
Dabei geht die Deutung der Parabel schon voraus, das lesen wir zuerst: „Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ (V 24) „Meine Rede.“ Gemeint ist die Bergpredigt.

Gottes Wort auf dem BergJesus will überzeugen. Sie sind auf dem Berg. Haben sich gelagert, um ihm zuzuhören. Die vielen Menschen mit ihren Lebensfragen. Sie sind herausgetreten aus ihren Verpflichtungen und Aufgaben, haben Zeit für das Wesentliche. Das ist eine gute Voraussetzung für das Hören. Für das Hören auf Gott.

Seid klug!, sagt Jesus. Das versteht sich von selbst, dass jeder das will. Wer ist klug? Der Mensch, der richtig hört. Das ist der Mensch, der hört und tut. Hören und Tun ist eine Einheit. Jesus denkt vollkommen jüdisch. Die Trennung von Glaube und Werken, auf die unsere evangelische Kirche viel Wert legt, hat er gerade nicht vor Augen. Die Haltung: „Gott nimmt mich an, wie ich bin – und dann ist es doch nicht so wichtig, wie ich mich verhalte“, ist ihm fremd. „Kein Wort von der Tora wird weggenommen“, so lehrt er auf dem Berg in Galiläa (5,17-19).

Das erinnert an einen anderen Berg, an den Sinai. Auch Mose war weit weg vom alltäglichen Geschehen. In der Stille und ganz auf Gott ausgerichtet. Mose hat auf dem Berg Sinai die Tora von Gott empfangen: Kostbare Gabe, Wegweisung, lebendige Anrede. Göttliche Zuwendung. „Höre Israel“, so fordert Gott sein Volk auf. „Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ So beten Juden jeden Morgen und jeden Abend. Höre und liebe. Auch Jesus betet so.

Jesus lehrt auf dem Berg am See die Tora. Gibt sie mündlich weiter. Und wieder ist das richtige Hören am wichtigsten.
Höre! Höre! Höre!
Höre mit dem Herzen. Wenn du wirklich hörst, wirst du dein Verhalten ändern. Wenn du wirklich hörst, wirst du danach handeln. Dann bist du so klug wie ein Mann, der sein Haus auf Fels baut.
Hören. Den Sinn der Gebote entdecken. Den Sinn der Tora Jesu entdecken. Was hat er gelehrt? Was hat er geboten? Was sollen wir tun? Treten wir ein in die Szene und setzen wir uns dazu. Hören wir auf seine Worte auf dem Berg.

Was Jesus lehrtSehen lernen, wie Gott sieht. Selig sind, die da Leid tragen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Selig sind die Friedfertigen. Eben nicht: Selig sind, die alles haben, die Gewinner, die Starken. Sondern: die liebevoll sehen lernen, in jeder Situation. Die Hoffnung haben, in jeder Situation. Die Gottes Gegenwart suchen, in jeder Situation. Die sich nicht abfinden mit Ungerechtigkeit. Die sind selig.
Nicht töten. Und mehr noch als das: nicht zürnen. Nicht vernichtend über jemanden denken. Das ist harte Arbeit an sich selbst. Wer sich auf das wirkliche Hören einlässt, auf einen spirituellen Weg, der kommt an sich selbst nicht vorbei. Bin ich veränderungsbereit? Gehe ich diesen Weg, auch wenn er unbequem für mich ist?
Beten. Gott zu segnen in allen Alltagsbegegnungen, ob sie mir groß und wichtig oder bedeutungslos erscheinen. Mich in allem vor Gott einfinden.
Großzügig sein. Mich nicht unbedingt verteidigen müssen. Mit ungerechten Vorwürfen zurechtkommen. Dahinter schauen, und auch die Not sehen. Von Gottes gütigem Blick leben, von meiner Bindung an ihn. Frei sein zu verzeihen. Den Feind lieben.

Kinder Gottes werden durch das rechte Tun„Wir tun’s, wir hören’s!“ Es gibt eine Situation am Sinai, in der das Volk die sonst übliche Reihenfolge von Hören und Tun umdreht (2.Mose 24,7). „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.“
Und Rabbi Elieser schreibt dazu: „Als Israel diese Worte sprach, da rief Gott den Todesengel und sagte ihm: ‚Obwohl ich dich zum Oberherrn über die Menschen gemacht habe, so hast du über dieses Volk keine Gewalt, denn es sind meine Kinder.‘“
Und Jesus sagt: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel (5,45).

Ahnen wir, was wirkliches Hören ist? Dass wir da ein Leben lang hineinwachsen, ein Leben lang lernen können? Dass wir da richtig gefordert sind? Feinde zu lieben ist nicht leicht. Liebt eure Feinde, damit ihr Kinder Gottes seid. Jesus erwartet viel. Er lädt dazu ein. Er lockt und sucht zu überzeugen. Das wollt ihr doch! Kinder Gottes sein. Klug sein. Ein festes Lebenshaus bauen.

Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.
Das Gute hören und tun stellt das eigene Lebensmodell infrage. Richtig zu hören und zu tun ist anstrengend, verlangt Treue, führt zur Selbsterkenntnis. Es lädt dazu ein, Freude am Mitempfinden mit anderen zu lernen und eine wertschätzende Haltung einzuüben. Es fordert dazu auf, dafür offen zu sein, etwas oder jemanden von einer neuen Seite kennenzulernen. An sich selbst zu arbeiten. Sich verwandeln zu lassen. Und dabei eine neue Welt entstehen zu lassen.
Zu hören und zu tun bedeutet nicht, sich selber aufzugeben oder klein zu machen, um es anderen recht zu machen. Zu hören und zu tun im Sinne der Tora Gottes führt dazu, dass unsere Seele Heimat findet, dass unsere Seele ihr Haus findet, das ihr niemand nehmen kann, ein Haus, in dem sie sicher wohnen kann.
Und manchmal entsteht dabei eine neue Welt.

Ein gutes EndeIn dem Film „Das Leben ist eine Baustelle“ gibt es eine Szene, in der eigentlich alles schon völlig verfahren und verloren ist, die Verletzung nicht mehr zu heilen. Dann sieht er sie von ferne vorbeifahren, rennt ihr hinterher und sie stehen sich tatsächlich wieder gegenüber. Und er macht keine Vorwürfe, sondern stellt Fragen zu Dingen, die er nicht versteht. Sie entgegnet: „Du hast ja keine Ahnung!“ Und er: „Gut. Du erzählst mir deins und ich erzähl dir meins.“ Durch alle Unmöglichkeiten der Situation hindurch hielt er es für möglich, dass sie sich verstehen könnten. Dass es gelingen könnte, zumindest für die Länge des Zuhörens von sich selber abzusehen und mit den Augen des anderen auf die Situation zu blicken, zu erfahren und mitzuempfinden, was er empfindet.

Wollt ihr das verpassen?Solches Hören ermöglicht wirkliche Begegnung. Solches Hören erschafft eine neue Welt. Wollt ihr das verpassen? Am Ende der Bergpredigt wird Jesus eindringlich.
Wer nicht offen ist für den Weg des Hörens und Tuns, wer sich nicht an die Güte Gottes bindet, dem wird dergleichen entgehen und beim ersten Platzregen ist alles verloren und Bitterkeit stellt sich ein. Das will Jesus nicht, das wünscht er niemandem. Darum wirbt er: Seid doch klug!
Aufrüttelnd ist er dabei, ja, nicht moralisierend.
Er lehrt mit Vollmacht. Die Volksmenge ist tief beeindruckt.
Lassen wir seine Worte an unser Herz dringen?
Lassen wir uns verlocken zum Hören und Tun?
Die Möglichkeit dazu ist immer gegeben.
Amen.

Verwendete Literatur: Michael Volkmann, 9.Sonntag nach Trinitatis: Mt 7,24-27, Hören um zu tun, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, Zur Perikopenreihe III, Herausgegeben von Studium in Israel e.V.; Wernsbach 2010

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